Neue Schädlinge in Baden-Württemberg
Bauernverbands-Chef warnt vor möglichem „Totalausfall“ der Ernte
Joachim Rukwied war vor einem Jahr führende Stimme bei den Bauernprotesten. Was sie gebracht haben, wie er die Neuwahlen bewertet und worüber er sich in Baden-Württemberg aktuell große Sorgen macht, erklärt er im Gespräch mit unserer Zeitung.
Von Sandra Hartmann
Vor rund einem Jahr rollten zahlreiche Traktoren nach Berlin, um gegen die Agrarpolitik zu demonstrieren. Wortführer war Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied.
Herr Rukwied, wie zufrieden Sind Sie mit dem Ausgang der US-Wahlen?
Die amerikanischen Wählerinnen und Wähler haben entschieden. Das gilt es zu akzeptieren. Wichtig ist, dass es auch weiterhin eine starke transatlantische Allianz gibt. Damit wir nicht unter die Räder der neuen US-Regierung kommen, ist natürlich auch ein starkes, einheitliches Europa notwendig. Wir haben zwar ein einheitliches Wertesystem, aber durchaus unterschiedliche – auch wirtschaftliche – Interessen.
Nun gibt es vorgezogene Neuwahlen in Deutschland.
Wir brauchen gerade unter diesem Aspekt schnell Neuwahlen, damit dann eine stabile, starke deutsche Regierung in Europa gemeinsam mit den europäischen Partnern wie etwa Frankreich und Polen wieder eine Führungsrolle übernehmen kann.
Kam die Entlassung von Christian Lindner überraschend für Sie?
Dass es ziemlich kriselt und brodelt, hat man ja tagtäglich spüren können. Die Ampelkoalition hat über die vergangenen Monate hinweg einen zerstrittenen Eindruck gemacht. Somit war das am Ende nicht überraschend. Macron hat mich beeindruckt. Er hat die Vertrauensfrage damals sofort gestellt. Frankreich hat zügig gewählt. Wir brauchen auch in Deutschland schnellstens eine stabile Regierung, die den Menschen und der Wirtschaft wieder Perspektiven aufzeigt. Diese muss die Themen aufgreifen, die die Menschen bewegen, wie Arbeitsplatzsicherung, wirtschaftliche Entwicklung, die Kostenexplosion, die wir seit 2022 haben, innere Sicherheit, Migration. Das sind Punkte, die mit Lösungsansätzen auf den Weg gebracht werden müssen. In dem Fall Deutschland zuerst, dann Parteien, dann Personen.
Wem trauen Sie das am ehesten zu?
Der Bauernverband ist politisch neutral. Insofern ist das höchste Gut das Wählervotum. Wir werden dann zügig mit den jeweils neuen Ministerinnen und Ministern in den politischen Austausch gehen.
Was fordern Sie?
Ein echter Bürokratieabbau ist eine unserer Kernforderungen. Dann das Thema Agrardiesel. Hier erwarten wir, dass die zukünftige Bundesregierung wieder eine europäische Wettbewerbsgleichheit herstellt und in diesem Zusammenhang auch die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft in Europa. Dann brauchen wir klare Perspektiven bei der Tierhaltung. Da ist ja im letzten Jahr der Koalition kaum etwas gelaufen.
Stichwort Pflanzenschutz und Pestizide.
Mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz haben wir ein Zeichen gesetzt, wie man das lösen kann. Das setzen wir um, um den Pflanzenschutzeinsatz weiter zu reduzieren. Pflanzenschutzmittel brauchen wir allerdings auch zukünftig – egal, ob wir ökologisch oder konventionell wirtschaften, um Pflanzen vor Krankheiten und Schadinsekten schützen zu können. Wenn ich aktuell den Blick auf Baden-Württemberg richte, haben wir eine Riesenherausforderung. Da werden Krankheiten wie etwa das Syndrom Basses Richesses und Stollbur durch Zikaden übertragen. Das betrifft mittlerweile Kartoffeln, Zuckerrüben, Karotten, Zwiebeln, Rhabarber, Rotkohl und führt zu einem mindestens 30 bis 50 Prozent reduzierten Ertrag – bis hin zu einem Totalausfall. Hier zeigt sich die Klimaveränderung. Dadurch haben wir Schadinsekten und neue Krankheiten. Das treibt mich mit größter Sorge um.
Starkregenereignisse wechseln sich ab mit langen Trockenperioden. Sind die Äcker dafür gerüstet?
Anfangs waren das Ausnahmejahre. Das hat sich leider verstetigt. Es ist eine immer größer werdende Herausforderung für uns. Aber wir arbeiten bereits seit Mitte der 1990er Jahre dagegen an. Wir verzichten etwa, wenn möglich, auf den Pflug und setzten auf eine nicht wendende Bodenbearbeitung. Nach der Ernte säen wir eine Zwischenfruchtmischung aus. Dadurch haben die Böden eine höhere Wasseraufnahmefähigkeit.
Vor einem Jahr gab es die Bauernproteste. Ihre Bilanz?
In Summe gesehen waren die Proteste erfolgreich. 80 Prozent der Bevölkerung stand hinter uns. Das ist für mich der größte, nicht messbare Erfolg. Wir haben die Bedeutung der Landwirtschaft wieder an die Esstische gebracht. Wir haben fast eine halbe Milliarde Steuererhöhung verhindert. Der Agrardiesel lebt noch. Der Bürokratieabbau ist uns noch nicht gelungen. Die Ampel hat, was Gesetzgebungsverfahren anbelangt, einfach so weitergemacht wie bisher.
Das deckt sich auch mit meiner Einschätzung, dass die Ampel ein Stück weit in ihrer eigenen Bubble gelebt und die Anliegen der Bevölkerung und Wirtschaft nicht aufgegriffen hat. In Brüssel waren wir sehr erfolgreich. Diverse Auflagen, die für uns nicht umsetzbar waren, wurden gestrichen. Am 10. November hätte mein Weizen gesät sein müssen, weil am 15. ein Bestand drauf stehen muss, sonst hätte ich gegen die Vorgabe verstoßen. Wir sind Ackerbauern und keine Kalenderbauern.
Spitze der deutschen Landwirtschaft
Joachim RukwiedJoachim Rukwied wurde in Heilbronn geboren. Der 63-Jährige ist ein deutscher Landwirt und Agrarfunktionär. Er ist seit 2006 Präsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg, seit 2012 ist er auch Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Von 2017 bis 2020 war er zudem Präsident des europäischen Bauern-Dachverbandes COPA.
BauernverbandDer Deutsche Bauernverband mit Sitz in Berlin ist als Spitzenverband der deutschen Landwirtschaft einer der mächtigsten Lobbyorganisationen Deutschlands. Seine Mitglieder sind die Landesbauernverbände und andere führende Organisationen der Land- und Forstwirtschaft sowie ihr nahe stehende Wirtschaftszweige.