Deutsche Bahn AG

Baustellen sollen weniger nerven

Seit 2019 gab es bei rund 12 Millionen Zugfahrten oft sehr kurzfristige Änderungen – zum wachsenden Ärger der Kunden. Die Deutsche Bahn AG verspricht Besserung mit neuen Konzepten. Doch Experten wie Matthias Gastel sind skeptisch.

Verschlissene Gleise, Weichen, Unterbau und Leitungen müssen oft kurzfristig repariert werden.

© /Gottfried Czepluch

Verschlissene Gleise, Weichen, Unterbau und Leitungen müssen oft kurzfristig repariert werden.

Von Thomas Wüpper

Im lange vernachlässigten deutschen Schienennetz nehmen Betriebsstörungen seit Jahren massiv zu. Allein seit 2019 gab es bei insgesamt rund 12 Millionen Zügen oft kurzfristige Fahrplanänderungen. Das zeigen Angaben der Deutschen Bahn AG, die unserer Redaktion exklusiv vorliegen. Allein 2023 mussten demnach bei mehr als 2,5 Millionen Zugfahrten die Fahrpläne geändert werden, nur noch 49 Prozent der Änderungen wurden fristgerecht bekannt gegeben. Der Staatskonzern hat die bisher vertraulichen Zahlen auf Nachfrage von Matthias Gastel herausgegeben. Der Verkehrsexperte der Grünen im Bundestag wollte es genau wissen, nachdem im Sommer die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte, dass DB-Fahrpläne wegen vieler oft kurzfristig nötiger Baustellen immer weniger verlässlich seien. Für die Bundesregierung beantwortete Gero Hocker, Parlamentarischer Staatssekretär von Verkehrsminister Volker Wissing, die Anfrage.

Danach haben die Fahrplanänderungen allein seit 2019 um 70 Prozent zugenommen. Zudem ist der Anteil der nicht fristgerecht kommunizierten Änderungen um fast die Hälfte gestiegen. Vor fünf Jahren registrierte der DB-Konzern noch knapp 1,5 Millionen Änderungen, bei 63 Prozent wurde die Mindestfrist für die Bekanntgabe eingehalten. Im laufenden Jahr mussten bis August bei schon fast 1,7 Millionen Zügen die Fahrpläne oft kurzfristig geändert werden, jede zweite Änderung kam verspätet.

Überalterte Infrastruktur

Hauptursache der vielen Störungen sind die überalterte Infrastruktur und die Flut von Baustellen, die oft kurzfristig zur Reparatur von verschlissenen Gleisen, Weichen, Unterbau und Leitungen nötig werden. So mussten allein in diesem Jahr erneut weitere 500 000 bruchanfällige Betonschwellen getauscht werden, fünf Mal mehr als üblich, was zu 450 zusätzlichen Baustellen führte. Auslöser war das schwere Unglück am 3. Juni 2022 bei Garmisch-Partenkirchen, als ein Regionalzug wegen brüchiger Schwellen entgleiste, fünf Menschen starben und 78 Fahrgäste teils schwer verletzt wurden.

Der DB-Konzern ist seit der Bahnreform 1994 für das bundeseigene Schienennetz verantwortlich und hat im Sommer eine „Generalsanierung“ gestartet, mit der bis 2030 insgesamt 41 wichtige Korridore modernisiert werden sollen. „Durch die Verdopplung der Investitionen in die Schiene wird der Sanierungsstau endlich angegangen“, betont Bahnexperte Gastel. Allerdings sorgten die vielen zusätzlichen Baustellen auch für mehr Chaos im Alltagsbetrieb.

Neues Baustellenkonzept

„Die zuständige DB Infra-Go muss ihre Baustellen besser planen und kommunizieren, damit sich alle Beteiligten darauf einstellen können“, fordert Gastel, der selbst im Aufsichtsrat des Netzbetreibers sitzt. Der Konzern wolle den Problemen zwar mit einem neuen Baustellenkonzept begegnen. Doch es müsse sich „erst noch beweisen, dass diese Konzeption wirklich Verbesserungen für die Fahrgäste und Kunden im Güterverkehr bringt“.

Die Infra-Go AG und ihr Vorstandschef Philipp Nagl wollen die sogenannten „unterjährigen Fahrplanänderungen“ bis 2026 halbieren. Dafür soll das „Bauen im Takt“ sorgen. Maßnahmen sollen mehr gebündelt und früher geplant werden, die Instandhaltung von Streckenabschnitten in festgelegten Intervallen durchgeführt werden. Erste Erfolge seien schon sichtbar, sagt Matthias Feil, Leiter Fahrplan der DB Infra-Go.

Komplexer Vorgang

Fahrpläne für den Schienenverkehr sind ein komplexer Vorgang. Im deutschen Netzfahrplan, der jährlich neu erstellt wird und Mitte Dezember in Kraft tritt, müssen rund 18 Millionen Zugfahrten pro Jahr berücksichtigt werden. Lediglich die großen Bauvorhaben sind darin bereits berücksichtigt, die laut DB nur rund ein Fünftel des gesamten Bauvolumens ausmachen. 80 Prozent aller Maßnahmen jedoch müssen während des laufenden Jahres in die aktuellen Fahrpläne „eingepflegt“ werden, wie die DB-Experten betonen.

Konkret bedeute das, dass es bei täglich bundesweit rund 1000 Baustellen mit im Schnitt drei Tagen Dauer insgesamt mehr als 100 000 nötige Regelungen pro Fahrplanjahr gebe, rechnet der Konzern vor. Für das auslaufende Jahr wird erwartet, das insgesamt 2,8 Millionen Zugverbindungen von unterjährigen Baustellen betroffen waren – und damit bei jeder sechsten Fahrt der Fahrplan geändert werden musste.

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Erstellt:
2. Dezember 2024, 17:42 Uhr

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