Nach Wahlniederlage
Belgiens Grüne suchen sich selbst
Die Öko-Partei ist bei der Parlamentswahl abgestürzt. Eine groß angelegte Umfrage im Land soll helfen, die Themen zu finden, die die Menschen ansprechen.
Von Knut Krohn
Belgiens Grüne schwanken zwischen Ratlosigkeit und Verzweiflung. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2024 ist die Partei dramatisch abgestürzt. Nur noch drei „Ecolo“-Vertreter sitzen im Brüsseler Abgeordnetenhaus. Deshalb spielen sie bei der sich seit Monaten zäh hinziehenden Regierungsbildung allenfalls eine unbedeutende Nebenrolle.
Der erste Schock scheint inzwischen verdaut, nun macht sich die Partei auf die Suche nach den Gründen für das Wahldesaster. Dabei stößt sie auf einen Widerspruch: Umfragen belegen, dass 94 Prozent der Belgier den Kampf gegen den Klimawandel für dringend erforderlich halten. Für knapp über die Hälfte der Befragten ist das eine nationale Priorität. Aber bei den Wahlen bekommen die grünen Parteien in Flandern nur noch 4,7 Prozent der Wählerstimmen, in der Wallonie sind es sogar nur 2,9 Prozent.
Die Grünen wollen den Menschen zuhören
„Warum spiegeln sich diese ökologischen Überzeugungen, die von einer großen Mehrheit geteilt werden, nicht an der Wahlurne wider?“, fragt Samuel Cogolati, einer der beiden frischgewählten Ecolo-Chefs. Die frankophonen Grünen haben aber erkannt, dass sie die Antworten auf diese für sie überlebenswichtigen Fragen nicht in parteiinternen Gesprächskreisen finden. Aus diesem Grund will die Partei nun einen Monat lang den Menschen auf der Straße zuhören. Co-Chefin Marie Lecocq verspricht: „Keine vorgefertigten Meinungen, keine Besserwisserei.“ Man wolle „einfach die Ohren weit öffnen, um zu erfahren, was die Belgier von der Ökologiebewegung erwarten“. Zu diesem Zweck werden die beiden Präsidenten und ihre Mitstreiter bei Wind und Wetter auf Wochenmärkten, in Fußgängerzonen und Bahnhöfen so viele Menschen wie möglich befragen.
Mitglieder fordern intellektuelle Neugründung
Die Mitglieder ahnen, dass es die Partei bei der nächsten Wahl in fünf Jahren nicht mehr gibt, sollte sich nichts ändern. Viele erwarten nach der vernichtenden Wahlniederlage deshalb eine Art intellektueller Neugründung. Einige spielen sogar mit der Idee, den Namen zu ändern, um den Neuanfang deutlich sichtbar nach außen zu tragen. Das ist auch eine der möglichen Antworten in einem Fragebogen, der im Internet ausgefüllt werden kann. Mit ein paar Klicks kann jeder Bürger Kritik und Vorschläge einbringen.
Grünen stellen sich thematisch neu auf
Gestellt wird auch die Frage, ob es die Ecolo in der aktuellen politischen Landschaft überhaupt noch braucht, weil andere Parteien deren Anliegen in Sachen Umweltschutz längst übernommen hätten. Angesprochen wird damit ein sehr grundsätzliches Problem der Grünen in allen Ländern. Je wichtiger der Umweltschutz in den Programmen der politischen Konkurrenz wird, desto mehr verlieren die Öko-Parteien ihr Alleinstellungsmerkmal. Diskutiert wird von den belgischen Grünen deshalb, sich stärker auf die wichtige Frage zu konzentrieren, wie der notwendige Klimaschutz sozialverträglich umgesetzt werden kann.
Die beiden Ecolo-Chefs geben sich angesichts der schwierigen Situation kämpferisch und offen für eine „tiefgreifende Transformation“ der Partei. Nur eines steht für Co-Chefin Marie Lecocq schon jetzt fest: „Für Ecolo wird es ein Vorher/Nachher 2025 geben.“ Auf die Partei warte der Aufbruch in eine neue Zeit.