Drogenmafia

Belgiens harter Kampf gegen die Drogenkriminalität

Im bisher größten Drogenprozess des Landes werden in Brüssel über 120 Angeklagte zu zum Teil langjährigen Haftstrafen verurteilt.

In Brüssel ist der bisher größte Drogenprozess des Landes zu Ende gegangen. Vor Gericht standen mehr als 120 Männer und Frauen.

© dpa/Eric Lalmand

In Brüssel ist der bisher größte Drogenprozess des Landes zu Ende gegangen. Vor Gericht standen mehr als 120 Männer und Frauen.

Von Knut Krohn

Eridan Munoz Guerreros Bitte um Gnade wird nicht erhört. Der Albaner muss für 14 Jahre hinter Gitter. Der mitangeklagte Algerier Abdelwahab Guerni wird sogar zu 17 Jahren Haft verurteilt. Die Richter in Brüssel sehen es als erwiesen an, dass die beiden Männer Drahtzieher eines weit verzweigten, internationalen Drogennetzwerkes sind. Sie sollen über die Häfen von Antwerpen, Rotterdam, Hamburg und Le Havre große Mengen Kokain und Cannabis aus Südamerika und Marokko eingeschleust und dann an verschiedene Orte in Europa geliefert haben.

Die Urteile markieren das vorläufige Ende eines der bisher größten Drogenprozesse in Belgien. Insgesamt waren mehr als 120 Männer und Frauen angeklagt, vielen von ihnen wurde allerdings in Abwesenheit der Prozess gemacht. Dutzende Angeklagte aus Belgien, Albanien, Nordafrika, Kosovo, Ukraine und Kolumbien erhielten am Dienstag zum Teil mehrjährige Haftstrafen. Das Verfahren fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im ehemaligen Nato-Hauptquartier nahe des Brüsseler Flughafens statt.

Späte Einsicht eines Drogenschmugglers

„Ich habe gespielt und verloren“, räumte Eridan Munoz Guerreros bereits zu Beginn des Prozesses vor knapp einem Jahr ein. „Ich bestätige, dass ich eine Gruppe angeführt habe“, versuchte er seine Rolle in dem kriminellen Netzwerk aber herunterzuspielen. „Aber hier sind hundert Leute, die ich nicht einmal kenne“, beteuerte der Albaner, der zeitweise auch in Deutschland lebte. Seine Anwältin Nathalie Gallant hatte das Gericht ebenfalls um Nachsicht gebeten und betont, dass ihr Mandant sich bereit erklärt habe, bei den Ermittlungen mitzuarbeiten. Auch sie versuchte, die Rolle von Eridan Munoz Guerrero kleinzureden: „Er ist nicht der Boss der albanischen Mafia.“

Die Härte des Brüsseler Gerichtes ist offenbar Ausdruck einer neuen Strategie. Zu groß sind in Belgien inzwischen die Probleme, die der ausufernde Drogenhandel mit sich bringt. Fast täglich kommt es in Brüssel und Antwerpen bei Revierkämpfen der verschiedenen Gangs zu tödlichen Schießereien. Die kriminellen Strukturen haben sich inzwischen sogar tief in die staatlichen Strukturen gefressen. Bei Razzien im Drogenmilieu wurden zuletzt auch immer wieder Polizisten festgenommen.

Grenzüberschreitende Kooperation der Polizei

Zu dem Strategiewechsel gehört auch, dass die Polizei verstärkt grenzüberschreitend zusammenarbeitet. In diesem Fall waren Ermittler aus Belgien, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden den Schmugglern über Jahre auf der Spur. Den entscheidenden Schritt machten die Beamten, als es ihnen gelang, Zugang zu den von Kriminellen genutzten Kommunikationsplattformen Sky ECC und Encrochat zu bekommen und dort Nachrichten zu entschlüsseln. Dabei nutzen sie offensichtlich auch technische Fehler in der Software, um Gruppenchats mitzulesen.

Die Verteidiger einiger der Angeklagten kritisierten dieses Vorgehen. Sie machen der Staatsanwaltschaft zum Vorwurf, ein halbes Dutzend Dossiers zusammenzuführen, die nichts miteinander zu tun hätten. Nur so sei es für die ermittelnden Behörden überhaupt möglich, von einem zusammenhängenden Netzwerk zu sprechen. „Da werden Menschen künstlich miteinander in Verbindung gebracht, obwohl zwischen ihnen absolut keine Verbindung besteht“, erklärt Giles Vanderbeck, Anwalt des Hauptangeklagten Algeriers Abdelwahab Guerni. Die Staatsanwaltschaft aber kontert, dass sie seit dem Beginn der Ermittlungen im Jahr 2017 verschiedene kriminelle Gruppen identifiziert habe. Die seien in sich sehr klar strukturiert, hierarchisch aufgebaut und diese Organisationen würden wiederum untereinander belegbare Verbindungen aufweisen.

Belgien ist eine Drehscheibe des Drogenhandels

Belgien hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Drehscheibe für den internationalen Drogenhandel entwickelt. Immer wieder führt die Polizei Razzien durch und berichtet von erfolgreichen Beschlagnahmungen. Als Haupteinfallstor gilt der Hafen in Antwerpen. Die spektakulären Kokainfunde sind aber nur die Spitze des Eisberges - ärgerlich für die Drogenbanden, aber ohne große Auswirkungen auf den Markt. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht schätzt, dass eine Tonne Kokain gefunden wird, gleichzeitig aber neun weitere Tonnen unbemerkt den Zoll passieren. Zur Einordnung: in Antwerpen wurde 2023 die Rekordmenge von 116 Tonnen Kokain sichergestellt.

Die Welle der Gewalt schwappt nach Brüssel

Solange die Kriminellen vor allem in Antwerpen agierten, blieben die Behörden überraschend untätig. Inzwischen schwappt die Gewalt bis nach Brüssel. Als Grund nennt die Polizei, dass der Kampf um die „Territorien“ schärfer geworden sei. In der belgischen Hauptstadt hätten inzwischen albanische Clans die Führung übernommen, für die die Stadt eine Art logistischer Knotenpunkt geworden sei. Die importierten Drogen würden von dort nach Südosteuropa weitertransportiert.

Die europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA in Lissabon betont, dass der illegale Kokain-Handel als eine der lukrativsten Einnahmequellen für die organisierte Kriminalität in Europa gelte. Damit einher gehe Korruption im sehr großen Stil. Vom Hafenarbeiter, über Sicherheitskräfte, die private Wirtschaft und auch Regierungsangestellte würden viele Menschen von Drogengeschäften irgendwie profitieren. Dagegen sei nur schwer anzukommen, es sei ein Kampf gegen eine Hydra.

Zum Artikel

Erstellt:
29. Oktober 2024, 15:17 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen