BGH stärkt Diesel-Käufer: Klagen gegen Bosch erfolglos
dpa Karlsruhe. Der millionenfache Abgasbetrug bei VW hat auch Aktionäre eiskalt erwischt. Beim Hersteller der Software sind sie mit ihren Schadenersatz-Forderungen allerdings an der falschen Adresse. Gute Nachrichten gibt es für Kläger, die ihr Auto bereits verkauft haben.
Diesel-Kläger, die ihr Auto inzwischen weiterverkauft haben, bekommen trotzdem Schadenersatz von Volkswagen. Ihr Schaden durch den Abgasbetrug sei damit nicht entfallen, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in Karlsruhe (Az. VI ZR 533/20 u.a.). VW kündigte an, die Entscheidung in den noch laufenden rund 1000 Verfahren zu der Frage zu berücksichtigen. VW-Aktionäre, die den Software-Hersteller Bosch für ihre Verluste verantwortlich machen wollten, gehen dagegen leer aus. Ein zweiter BGH-Senat entschied in einem Musterverfahren, dass hier nicht von einer Beihilfe auszugehen sei. (Az. II ZR 152/20 u.a.)
SCHADENERSATZ FÜR DIESELKÄUFER TROTZ AUTOVERKAUF
In seinem ersten und wichtigsten Urteil zum VW-Abgasskandal hatte der BGH im Mai 2020 entschieden, dass Volkswagen Millionen Autokäuferinnen und -käufer hinters Licht führte: Hätten sie gewusst, dass ihr Diesel wegen der eingebauten Prüfstandserkennung in Wahrheit viel mehr giftige Stickoxide ausstößt als in Tests, hätten sie sich möglicherweise für ein anderes Auto entschieden. Nach dieser Entscheidung muss VW betroffenen Klägern den Kaufpreis erstatten, eine Entschädigung für die gefahrenen Kilometer wird allerdings abgezogen. Dafür müssen sie das Auto zurückgeben.
Was passiert, wenn jemand das Auto gar nicht mehr hat, weil es weiterverkauft wurde, war bisher umstritten. Teils wurde die Meinung vertreten, dass sich die Forderungen damit erledigt hätten. Das sieht der BGH anders: „Der Weiterverkauf lässt den Schaden nicht entfallen“, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters bei der Urteilsverkündung. Dieser sei schon beim Kauf entstanden.
Weil das Auto nicht mehr zurückgegeben werden kann, tritt bei der Berechnung des Schadens an die Stelle des Fahrzeugs der „marktgerechte Verkaufserlös“. Vom ursprünglichen Kaufpreis ist also der Betrag für die Nutzung abzuziehen - plus die Summe, die der ursprüngliche Besitzer für das gebrauchte Auto bekam.
In einem zweiten Fall stellten die obersten Zivilrichterinnen und -richter außerdem klar, dass niemandem weniger Schadenersatz zusteht, weil er eine sogenannte Wechselprämie in Anspruch nahm. Der Kläger hatte seinen VW bei einem Audi-Vertragshändler in Zahlung gegeben und dafür 6000 Euro Prämie bekommen. Diese Summe ist dem Urteil zufolge nicht vom Schadenersatz abzuziehen. Denn die Prämie habe nichts mit dem Wert des Wagens zu tun, sondern sei eine Belohnung dafür, dass jemand das Auto oder die Marke wechsele.
VW teilte mit: „Wir werden das Urteil des Bundesgerichtshofs respektieren und in den laufenden Verfahren berücksichtigen.“
KEIN SCHADENERSATZ FÜR VW-AKTIONÄRE VOM ZULIEFERER
Die Verhandlung über mögliche Ansprüchen gegen Bosch war die erste am Bundesgerichtshof, in der es nicht um Autokäufer, sondern um Schadenersatz-Forderungen von Anlegern ging. Viele Investoren hatten Verluste gemacht, als ihre VW-Aktien beim Auffliegen des millionenfachen Betrugs im September 2015 an Wert verloren. Sie werfen VW vor, den Kapitalmarkt nicht rechtzeitig über den Einsatz der unzulässigen Abgastechnik informiert zu haben.
Bosch hatte VW die Motorsteuerungssoftware geliefert, die bei der Manipulation der Abgaswerte zum Einsatz kam. Der weltgrößte Autozulieferer musste deshalb wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht eine Geldbuße von 90 Millionen Euro zahlen. Gegen einzelne Mitarbeiter gab es auch strafrechtliche Ermittlungen.
Beihilfe zu einem Kapitalmarktdelikt sei Bosch aber keinesfalls vorzuwerfen, entschied jetzt der BGH. Die Lieferung der Software sei allem anderen vorgelagert gewesen, und der Schutz der Aktionäre sei dadurch nicht beeinträchtigt worden. Falls Bosch eine Schädigung von Anlegern für möglich gehalten haben sollte, genüge das nicht.
In dem verhandelten Musterfall hatten die Kläger Ende 2013 mehr als 12 200 Euro in VW-Vorzugsaktien investiert. Am 21. September 2015 bekamen sie dafür nur noch knapp 8500 Euro. Für den Verlust machten sie Bosch mitverantwortlich und verlangten rund 3700 Euro.
Solche Anlegerklagen gegen Bosch sind allerdings eher die Ausnahme. Am Unternehmensstandort Stuttgart sind nach Auskunft des Landgerichts Klagen „in einem zweistelligen Bereich“ anhängig. Insgesamt neun solcher Fälle wurden nun am BGH entschieden. Der Vorsitzende Richter Ingo Drescher hatte in der Verhandlung gesagt, man könne sich fragen, warum die Kläger den Umweg über den Lieferanten gewählt und nicht direkt VW in Anspruch genommen hätten.
Wesentlich bedeutender ist das milliardenschwere Musterverfahren gegen VW, das seit September 2018 nach Tausenden Anlegerklagen am Oberlandesgericht Braunschweig läuft. Für dessen Ausgang lasse sich aus dem BGH-Urteil nichts ableiten, betonte Drescher. Um die Beihilfe-Frage klären zu können, hatte der BGH unterstellt, dass der Markt nicht korrekt informiert wurde. Das ist aber noch offen.
Eine Sprecherin teilte mit, Bosch begrüße die Entscheidung und sehe sich in seiner Rechtsauffassung bestätigt. „Wir bitten jedoch um Verständnis, dass wir uns weiter dazu nicht äußern.“
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