Bistum forciert Kampf gegen Missbrauch
Diözesanrat von Rottenburg-Stuttgart stellt Maßnahmenkatalog zusammen – Bischof macht sich an Umsetzung
Das Bistum Rottenburg-Stuttgart soll einen Beirat mit Betroffenen von sexuellem Missbrauch einrichten. Diese und viele weitere Empfehlungen hat der Diözesanrat jetzt beschlossen.
STUttgart/Schöntal Stundenlang hat der Diözesanrat des Bistums Rottenburg-Stuttgart am Wochenende erörtert, wie der Kampf gegen den Missbrauch in der katholischen Kirche verstärkt werden kann. Das Gremium, in dem die Laien den Ton angeben und das auch den Haushalt der Diözese beschließt, hat sich dazu die Sicht der Betroffenen schildern lassen, juristischen Rat eingeholt und Experten aus dem Bistum befragt. „Wir anerkennen, was bei uns auf diesem Feld schon angegangen worden ist, aber die Kirche kann noch mehr tun“, sagt Johannes Warmbrunn, der Sprecher des Diözesanrats, unserer Zeitung. Einmütig hat das Gremium am Samstag einen Maßnahmenkatalog beschlossen. Darin wird unter anderem vorgeschlagen, bei der Entschädigung von Opfern nachzusteuern. So sollte laut Warmbrunn darüber nachgedacht werden, ob die Kirche in schweren Fällen auch eine lebenslange Rente an Opfer zahlt.
Außerdem soll das Verfahren zum Umgang mit Entschädigungen bundesweit vereinheitlicht werden. Der Diözesanrat regt zudem die Einrichtung eines Betroffenenbeirats an. Bislang gebe es da keinen derart institutionalisierten Austausch, berichtet Warmbrunn. Zwei andere Vorschläge des Diözesanrats werden aber offenbar bereits verwirklicht: So sollen nur noch die ehrenamtlichen Mitglieder der Kommission zur Aufklärung des sexuellen Missbrauchs Stimmrecht haben. Und außerdem gilt für alle kirchlichen Mitarbeiter die Pflicht, sämtliche Verdachtsfälle dieser Kommission zu melden. Diese Vorschrift, so Warmbrunn, solle jegliche Art von Vertuschung verhindern.
Der Diözesenrat möchte aber auch, dass Beschuldigte und gegebenenfalls Täter angemessen behandelt werden. Der Umgang mit ihnen sei ebenfalls klar zu regeln. Dazu gehöre es, die Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung zu prüfen. „Auch im Strafrecht ist die Rehabilitation schließlich vorgesehen“, sagt Warmbrunn. Nach seiner Darstellung steht der Bischof Gebhard Fürst den meisten Vorschlägen offen gegenüber. Das gilt wohl für die Forderung nach einer stärkeren lebenslangen Begleitung der Seelsorger ebenso wie für die Forderung nach einem Ausbau der Beratungsangebote sowie der Prävention, der Fortbildung und der Forschung. Schwierigkeiten könnte es dagegen bei dem Verlangen des Diözesanrats geben, die Machtstrukturen in der Kirche zu ändern. „Wir brauchen eine stärkere Kontrolle“, sagt Warmbrunn. Momentan gebe es zum Beispiel nur fünf Gemeinden von rund 1000, die von Laien und nicht wie üblich von Klerikern geleitet würden. Derartige Modelle müsse es aber viel häufiger geben. „Das ist fast nichts. Da fehlt noch der Drive“, betont Warmbrunn. Ob der Bischof selbst bereit sei, Macht abzugeben, sei ebenfalls ungewiss.
Nun soll eine Arbeitsgruppe des Diözesanrats Ordnungen und Satzungen der Diözese durchleuchten, ob diese klerikale Machtstrukturen fördern oder begünstigen. Von der Gruppe werden Reformvorschläge erwartet. Außerdem sollen die neu gewählten Kirchengemeinde- und Pastoralräte zum Thema „Umgang mit Macht“ geschult werden, damit künftig mehr Beteiligung gelingt. Daneben blieben die Themen Patriarchiat und der Zölibat auf der Tagesordnung. Ein Zwischenbericht ist für nächstes Jahr geplant. Denn beschließen kann der Diözesanrat die Schritte nicht. Die Entscheidung liegt beim Bischof.
Der Diözesanrat reagiert damit auf die Studie, die die Deutsche Bischofskonferenz im September vorgestellt hat. Laut der Untersuchung haben mindestens 1670 katholische Kleriker in der Zeit von 1946 bis 2014 mindestens 3677 meist männliche Minderjährige missbraucht. Die Forscher hatten in dem Zusammenhang auch die Strukturen in der Kirche kritisiert. Laut einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der FDP von Mitte März ermitteln Staatsanwälte in Baden-Württemberg mittlerweile gegen mindestens 67 Priester, Diakone und Ordenspriester wegen sexuellen Missbrauchs. Die Ermittler prüfen Vorwürfe gegen 22 Personen, die in der Diözese Rottenburg beschäftigt sind oder waren.
Schon seit 2001 werden die Akten im Bistum freilich gesichtet. Seit 2002 gibt es die Kommission zum Missbrauch. Sie beschäftigte sich seitdem mit rund 150 Vorwürfen Betroffener. Bis Ende August letzten Jahres hat die Diözese an Missbrauchsopfer 640 000 Euro Entschädigung gezahlt sowie 130 000 Euro Therapiekosten übernommen.