Brückenschlag für den Backnanger Bahnhof der Zukunft
Der neue Fußgängersteg über die Gleise wird in Backnang feierlich eingeweiht, die Aufzüge lassen aber noch auf sich warten. In den kommenden Jahren wollen Stadt und Bahn den Bahnhof in eine moderne Mobilitätsdrehscheibe verwandeln.
Von Kornelius Fritz
Backnang. „Die Stadtbrücke ist ein wesentlicher Baustein zur Herstellung der Barrierefreiheit am Backnanger Bahnhof.“ Beim Blick auf das neue Bauwerk, das gestern Nachmittag feierlich eingeweiht wurde, klingt dieser Satz aus der Rede von Oberbürgermeister Maximilian Friedrich wie ein Scherz. Denn aktuell ist der Fußgängersteg von allen Seiten nur über Treppen erreichbar. Aber das soll nicht so bleiben: Der vorderste und der hinterste der vier geplanten Aufzüge werden von der Stadt bezahlt und sollen nach Friedrichs Worten bis Februar 2024 in Betrieb gehen. Die beiden mittleren will die Deutsche Bahn allerdings erst im Rahmen ihres geplanten Modernisierungsprogramms für den Bahnhof bauen, das Ende 2025 starten soll. Bis dahin bleibt Barrierefreiheit am Backnanger Bahnhof also ein Wunschtraum.
Gefeiert wurde gestern trotzdem, immerhin ist es gelungen, eine der kompliziertesten Baustellen der vergangenen Jahre pünktlich abzuschließen. Das war auch dringend nötig, denn der Zeitplan war durch die von der Bahn genehmigten Sperrpausen vorgegeben. Jede Abweichung hätte das Projekt um Jahre verzögern können. „Das Überbauen der Gleise – mehr oder weniger unter rollendem Rad – war und ist in jeder Hinsicht eine echte Herausforderung für alle Beteiligten“, stellte Maximilian Friedrich fest. Die wurde zwar gemeistert, allerdings mit der Folge, dass die Kosten explodierten. Diese gab Friedrich gestern mit 8,8 Millionen Euro an – fast doppelt so viel wie beim Baubeschluss im Juli 2020. Dabei entfallen laut OB aber nur etwa 5,3 Millionen Euro auf die Brücke selbst, rund 3,5 Millionen hätten die „bahnbedingten Maßnahmen“ gekostet, etwa notwendige Anpassungen an den Oberleitungen. Eine gute Nachricht hatte Friedrich gestern aber auch im Gepäck: Die Förderung durch das Land Baden-Württemberg fällt mit 4,5 Millionen Euro deutlich höher aus als gedacht.
Überdimensionales Puzzle mit mehr als 6.000 Teilen
Geplant wurde der 62 Meter lange Fußgängersteg vom Stuttgarter Büro Schlaich, Bergermann und Partner, das in Backnang bereits die Aspacher Brücke, die Brücke beim Wonnemar und den Steg am Kalten Wasser entworfen hat. Bei der Gestaltung habe man eine „schlichte, einfache, aber prägnante Formensprache“ gewählt, erklärte Architekt Andreas Keil. Um den knappen Zeitplan einhalten zu können, wurde der Steg so konstruiert, dass er größtenteils aus vorgefertigten Teilen besteht, die vor Ort nur eingehoben werden mussten. Gefertigt wurden diese beim Stahlbauunternehmen Urfer in Remseck. Heike Urfer sprach bei der Eröffnung von einem „überdimensionalen Puzzle“, das ihr Team aus mehr als 6000 Einzelteilen zusammengesetzt habe.
Die Stadtbrücke, die den maroden Steg aus dem Jahr 1960 ersetzt, ist nur der erste Baustein auf dem Weg zu einem attraktiveren Bahnhofsumfeld. Ende 2025 wolle man mit der Modernisierung des Bahnhofs beginnen, kündigte Michael Groh von der Bahn-Tochter DB Station & Service gestern an. Dann sollen nicht nur die fehlenden Aufzüge kommen, sondern auch die Dächer erneuert und die Bahnsteige erhöht werden. Darüber hinaus plant auch die Stadt weitere Investitionen, um den Bahnhof in eine moderne „Mobilitätsdrehscheibe“ zu verwandeln. Unter anderem will sie einen neuen Busbahnhof bauen. 2018 hatte es dazu bereits einen Architektenwettbewerb gegeben.
„Es wäre in der Verantwortung der Bahn, dass jeder den ÖPNV nutzen kann“
Gestern stand aber erst einmal die neue Brücke im Mittelpunkt. Nachdem OB und Ehrengäste feierlich ein blau-gelbes Band durchschnitten hatten, ging es zu einer ersten Begehung auf den Steg. Juliana Eusebi konnte das alles jedoch nur von unten beobachten. Die Grünen-Stadträtin, die im Rollstuhl sitzt und regelmäßig mit der Bahn zur Arbeit nach Stuttgart pendelt, spricht beim Thema Barrierefreiheit von einem Trauerspiel. Zur S3 kommt sie weiterhin nur mit einem Umweg durchs Parkhaus, die Regionalzüge, die vom mittleren Bahnsteig abfahren, bleiben für sie unerreichbar. „Dabei wäre es in der Verantwortung der Bahn, dass jeder den ÖPNV nutzen kann“, sagt die Stadträtin. Dass die neue Brücke gebaut wurde, findet sie trotzdem gut, denn sie verbindet damit die Hoffnung, dass die lange versprochene Barrierefreiheit irgendwann tatsächlich kommt.
Die neue Brücke wurde aus 6.365 Einzelteilen zusammengesetzt. Insgesamt wurden 124 Tonnen Stahl verbaut. Weitere drei Tonnen wiegen Beschichtung und Lackierung.
Die Schweißnähte, mit denen die Einzelteile verbunden wurden, haben eine Gesamtlänge von acht Kilometern.
Gegründet ist die Brücke auf insgesamt 71 Pfählen mit einem Durchmesser von 15 Zentimetern. Diese wurden bis zu 13 Meter tief ins Erdreich gebohrt.
Das Geländer hat eine Gesamtlänge von 260 Metern und wiegt 8,5 Tonnen.
Bei Dunkelheit werden der Steg und die Treppen von 259 LED-Leuchten erhellt. Dafür wurden mehrere Kilometer Leitungen verlegt.