Bundesweiter Warnstreik: Völliger Stillstand auf der Murrbahn
Am Montag hat der bundesweite Warnstreik auch in der Region Stuttgart den Bahnverkehr zum Erliegen gebracht. In Backnang ist das große Verkehrschaos dennoch ausgeblieben. Viele Menschen haben Fahrgemeinschaften gebildet oder im Homeoffice gearbeitet.
Von Kai Wieland
Rems-Murr. Montagmorgen, kurz vor 8 Uhr am Backnanger Bahnhof: Normalerweise herrscht um diese Zeit Hochbetrieb. Um 8.07 Uhr hält laut Fahrplan der MEX19 aus Crailsheim auf seiner Reise nach Stuttgart, vier Minuten später rollt die halbstündig verkehrende S3 aus dem Bahnhof. Am gestrigen Montag war jedoch alles anders. Der bundesweite Warnstreik von Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und Vereinter Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) hatte auch Backnang erreicht und den Schienenverkehr vollständig lahmgelegt.
Eine Handvoll Menschen verirrte sich dennoch an den Bahnhof und tauschte ratlose Blicke aus. Einige von ihnen hatten den Streik schlicht vergessen, andere wollten an dessen Ausmaß wohl nicht so recht glauben und versuchten ihr Glück dennoch – vergeblich, wie sich nun zeigte. „Ich werde probieren, ein Ruftaxi zu bekommen“, sagte ein junger Mann auf dem Weg zur Berufsschule, der auf vereinzelt fahrende Züge gehofft hatte. Ob er Verständnis für den Streik habe? Nach kurzem Zögern nickte er, ohne näher darauf einzugehen, und schlenderte in Richtung Busbahnhof.
Der Streik betraf sämtliche S-Bahnen und Regionalzüge, darunter jene, die zwischen Schwäbisch Hall beziehungsweise Crailsheim und Stuttgart verkehren und üblicherweise die Pendler auf der Murrbahn aufnehmen. Daran, dass der Bahnverkehr am Montag faktisch eingestellt sein würde, hatten die beteiligten Akteure im Vorfeld keinen Zweifel gelassen. Go-Ahead hatte seinen Fahrgästen geraten, nach Möglichkeit im Homeoffice zu bleiben und auf Fahrten mit dem ÖPNV ganz zu verzichten. Ähnlich hatte sich der VVS geäußert: „Es ist damit zu rechnen, dass im VVS keine Regionalzüge, Nebenbahnen, S-Bahnen oder Stadtbahnen fahren.“ Verdi sprach am Montagnachmittag von 7000 Beschäftigten allein in Baden-Württemberg, welche die Arbeit niedergelegt hatten, die EVG von deutschlandweit 32000 Streikenden.
In Backnang hallten Lautsprecheransagen durch die leer gefegte S-Bahn-Unterführung und wiesen auf die Einstellung des Bahnverkehrs für den laufenden Tag hin. Einzig auf Gleis 4 wurde der RE90 nach Stuttgart um 12.38 Uhr angekündigt. Ob er aber wirklich fahren würde, vermochte keiner zu sagen – bis zu guter Letzt auch er von der Anzeige verschwand. „Ich würde es hier heute nicht als ruhig bezeichnen“, sagte eine Mitarbeiterin des Bahnhofsbäckers. „Ich würde es eher tot nennen.“
Keine Streiks beimBusverkehr in Backnang
Aber nicht alle streikten am gestrigen Montag: Die VVS-App tat nach wie vor ihren Dienst, wenngleich mit absurden Ergebnissen. Für die Fahrt von Backnang zum Flughafen Stuttgart empfahl sie eine knapp vierstündige Verbindung mit fünf verschiedenen Bussen über Marbach am Neckar, Ludwigsburg, Ditzingen und Gerlingen.
Dass es überhaupt die Chance gab, mit dem ÖPNV von A nach B zu kommen, lag an den regionalen Busunternehmen, die vielerorts im Normalbetrieb fuhren, so auch in Backnang: Weder die Busse der Friedrich Müller Omnibusunternehmen GmbH noch jene von Omnibus-Verkehr Ruoff wurden bestreikt.
Wesentlich stärker frequentiert schienen die Busse trotz des Bahnstreiks aber nicht zu sein. Das galt auch für Verbindungen wie den Bus 457 nach Marbach, die einen Teil des S-Bahn-Verkehrs hätten aufnehmen können. Wenig überraschend hatten sich viele Menschen wohl dafür entschieden, im Homeoffice zu bleiben. Auf den Straßen war zwar viel los, aber von einem Verkehrschaos konnte keine Rede sein. Mancherorts wurde gar weniger Stau gemeldet als an einem normalen Montagmorgen.
Lediglich sechs Prozent stiegen ausnahmsweise auf das Auto um
Diese Eindrücke decken sich mit einer nicht repräsentativen Instagram-Umfrage unserer Zeitung, nach der sich knapp 60 Prozent „wie immer“, also mit dem Auto, dem Bus, dem Fahrrad oder zu Fuß von A nach B bewegten und sich insofern gar nicht umstellen mussten. Immerhin 31 Prozent gaben an, im Homeoffice zu bleiben, weitere vier Prozent entschieden sich für einen Urlaubstag. Lediglich sechs Prozent stiegen ausnahmsweise auf das Auto um.
Viel diskutiert wurde im Vorfeld über die Auswirkungen des Streiks auf Schulen. Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Lands Baden-Württemberg hatte in einer Pressemeldung am Freitag klargestellt, dass der Unterricht grundsätzlich stattfinden soll. Schüler, die vom Streik betroffen seien und keine alternative Transportmöglichkeit hätten, dürften dem Präsenzunterricht jedoch fernbleiben, sofern sie sich rechtzeitig abmeldeten.
Bei den Schülern halten sich die Abmeldungen vom Unterricht in Grenzen
„Wir merken es schon, aber es ist kein extremer Ausreißer gegenüber dem, was wir ansonsten in dieser Jahreszeit manchmal an krankheitsbedingten Ausfällen haben“, erklärte Jürgen Baur, stellvertretender Schulleiter der Gewerblichen Schule Backnang. „Viele Schüler haben Fahrgemeinschaften gebildet. Aber wir haben auch Schüler aus Stuttgart, die gar keine Möglichkeit hatten, heute nach Backnang zu kommen. Je nach Fachrichtung sind das in manchen Klassen ein oder zwei Leute, manchmal aber auch eine Handvoll.“ Eine verbindliche Vorgabe für den Umgang mit dem Thema habe man seitens der Schule für nicht sinnvoll gehalten, sondern stattdessen die Lehrkräfte angehalten, gemeinsam mit den Schülern pragmatische Lösungen zu finden.
An der Max-Eyth-Realschule, die auch von Kindern aus Kirchberg an der Murr besucht wird, die sonst mit der Bahn anreisen, war man gar überrascht von der geringen Zahl der Abmeldungen. „Man kann sie an einer Hand abzählen.“ In einem Infobrief hatte sich die Schulleitung am Freitag an die Eltern gewandt, um für die Kinder Fahrgemeinschaften zu organisieren oder die weiterhin verkehrenden Busse zu nutzen – das scheint aufgegangen zu sein.
Kitas Bereits am 8. März wurden in Backnang zum Verdi-Aktionstag sechs Kindertagesstätten vollständig und drei weitere teilweise bestreikt (wir berichteten).
Abfallwirtschaft Bei der Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM) wurde am vergangenen Mittwoch ebenfalls gestreikt. Dem war ein Streikaufruf von Verdi vorangegangen. Zwar wurden die Mülltonnen geleert, doch die Entsorgungszentren in Kaisersbach und Schorndorf blieben geschlossen. In Steinbach und Winnenden war deshalb mit längeren Wartezeiten zu rechnen.
ÖPNV Der gestrige Montag wurde von Verdi und EVG als bundesweiter Verkehrsstreik „auf der Straße, am Boden, in der Luft und auf dem Wasser“ ausgerufen. Am Flughafen Stuttgart wurde auch der Luftverkehr eingestellt.