Ruine mit Grusel-Garantie
Burg Frankenstein und der Mythos vom Monster
Seit mehr als 200 Jahren jagt der Name Frankenstein Generationen von Grusel-Fans einen Schauer über den Rücken. Erfunden hat das Monster eine junge Frau aus England – aus Langeweile: Mary Shelley. Doch was hat die Burgruine im Odenwald mit der Romanfigur zu tun?
Von Markus Brauer/dpa
Ein Name mit Grusel-Garantie: Frankenstein. Die Figur des wahnsinnigen Doktors, der aus Leichenteilen einen neuen Menschen erschafft, sorgt seit mehr als 200 Jahren für Gänsehaut.
Das Vorbild dieses Horrorhelden lebte einst im Mühltaler Gemeindeteil Nieder-Beerbach bei Darmstadt auf Burg Frankenstein im hessischen Odenwald. Dank des Erfolgs des Schauerromans „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ der Engländer Mary Shelley (1797-1851) aus dem Jahr 1817 ist dieser Name weltweit ein Begriff.
Mehr als vier Jahrzehnte machte das alte Gemäuer zudem mit großen Halloween-Partys von sich reden. Doch die mittelalterliche Burgruine hat weit mehr zu bieten als die Kulisse für moderne Grusel-Events.
Zerstört vom Zahn der Zeit
In einer Urkunde aus dem Jahr 1225 wird die Burg der Herrn von Frankenstein erstmals erwähnt. Dieses Stück Papier gilt als Grundlage für das 800-Jahr-Jubiläum im kommenden Jahr, auch wenn das Gemäuer wohl einige Jahrzehnte älter sein dürfte.
Einen Krieg hat die Wehranlage nie erlebt, obwohl sie dafür bestens gerüstet war. Angenagt wurde sie trotzdem – vom Zahn der Zeit. Erst in den vergangenen Jahren wurden die Festungsmauern wieder einigermaßen in Stand gesetzt, damit Besucher sicheren Schrittes den grandiosen Blick auf die Rheinebene genießen können.
An Streitereien hat es auf der Feste Frankenstein nie gefehlt. Mal zankte sich die Familie untereinander wegen nicht abgesprochener An- und Umbauten. Mal lag man mit dem übermächtigen Landgrafen von Hessen über Kreuz, dessen Gebiet die kleine Grafschaft der Frankensteins fast vollständig umschloss.
Der Alchimist, der nach dem Elixier des Lebens suchte
Vor allem während der Reformation versuchten die Hessen vergeblich ihre Nachbarn mit List und Gewalt zum protestantischen Glauben zu bekehren. Im Gegenzug legte Ludwig von Frankenstein im Jahr 1606 in seinem Testament fest, dass sein Schloss „nimmermehr an das Haus Hessen gelangen“, sondern höchstens an die Kurpfalz oder an Kurmainz verkauft werden dürfe.
Doch Papier ist geduldig. Knapp 60 Jahre später erwarb der Landgraf von Hessen die Burg für 88.000 Gulden. Die Zeit der Frankensteiner war damit vorbei. Eines der letzten Zeichen setzte Johann Konrad Dippel, ein unehelicher Sohn des Konrad von Frankenstein.
Nachforschungen haben ergeben, dass der Alchimist nach dem Elixier des Lebens suchte. Über Dippel kursierten Gerüchte, dass er Leichen ausgegraben und „jungen Mädchen und Kindern Blut abgezogen und in Flaschen bewahrt“ habe. Die Ruine des Pulverturms geht vermutlich auch auf seine Rechnung. Das Gemäuer soll einem seiner Experimente mit Nitroglyzerin nicht standgehalten haben.
Mary Shelley war zu Gast auf Burg Frankstein
Ob Mary Shelley sich von der Geschichte der Burg Frankenstein für ihren Roman inspirieren ließ, ist umstritten, wie Gerald Axelrod in seinem Buch „Frankenstein und die Illuminaten. Wie Mary Shelley ihren Roman Frankenstein erschuf“ schreibt. Mary Shelly gehört neben der Königin Luise von Preußen zu den bekannten Persönlichkeiten, die seit Ende des 18. Jahrhunderts die Burg besuchten und damit ihren Stellenwert als Touristenattraktion begründeten.
Gerade 18 Jahre alt war Mary Shelley, als sie sich einen Roman ausdachte, der heute als Mutter aller Horrorgeschichten gilt: „Frankenstein; or, The Modern Prometheus“ – „Frankenstein oder der moderne Prometheus“.
Die Geschichte des medizinischen Gelehrten, der aus toter Materie ein hässliches, furchteinflößendes, mordendes Monster schafft, entstand in einem Sommer in Genf, als schlechtes Wetter Mary und ihre Freunde ans Haus fesselte. Der Roman kam vor 206 Jahren, am 1. Januar 1818, in den Handel.
Alles andere als eine brave Tochter
Mary, geborene Wollstonecraft Godwin, war alles andere als eine brave Tochter aus gutem Hause, die wie damals üblich darauf wartete, auf Geheiß ihres Vaters eine gute Partie zu machen. Die Tochter einer früh gestorbenen Frauenrechtlerin war 1814 gerade mal 16 Jahre alt sie mit dem verheirateten Dichter Percy Bysshe Shelley durchbrannte. Sie bekam ohne Trauschein ein Kind, das nach wenigen Tagen starb. Sie propagierte offene Beziehungen, liebte es, mit den Männern zu diskutieren, und wurde in der feineren Gesellschaft dafür geächtet.
Mit Percy Shelley reiste Mary im Jahr 1816 nach Genf. Dort trafen die beiden auf zwei andere britische Gestalten: Den damals schon berühmten Schriftsteller Lord Byron sowie dessen Arzt und ebenfalls ambitionierten Schreiber John William Polidori, die die Villa Diodati über dem Genfer See bezogen hatten. Percy Shelley und Mary suchten sich in der Nähe eine Bleibe.
Die Vier sowie Marys Stiefschwester Claire waren ausgerechnet im „Jahr ohne Sommer“ am Genfersee. Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im Jahr zuvor hatte den ganzen Globus in eine Aschewolke gehüllt, durch die kaum Sonnenstrahlen kamen. Europa erlebte nur kaltes und regnerisches Wetter.
Nächte des Fantasierens und Gruselns
Die Gesellschaft langweilte sich schrecklich, bis Lord Byron eine Idee hatte: Jeder möge sich doch eine Gespenstergeschichte ausdenken, um die anderen zu unterhalten. Mary grübelte lange. Sie wollte das ultimative Gruselerlebnis schaffen: „Der Leser sollte es nicht mehr wagen, sich umzusehen, das Blut sollte in seinen Adern erstarren und sein Herzschlag sollte sich beschleunigen“, schreibt sie im Vorwort ihres "Frankenstein"-Romans.
Und so schuf sie nach einer nächtlichen Erscheinung Frankenstein und sein Monster. Als Inspiration dienten die seinerzeit viel Aufsehen erregenden galvanistischen Experimente. Dabei wurden bei Leichen mit Stromstößen krampfartigen Bewegungen ausgelöst und die Fantasie genährt, Tote könnten wieder zum Leben erweckt werden.
Mary Shelley zeigt eine „arme, hilflose und elende Kreatur“
Den Gelehrten Frankenstein ließ Mary Shelley zwar erschauern: „Abscheu und atemloses Grauen erfüllten mein Herz, als ich die Kreatur erblickte, die ich geschaffen hatte.“ Und das Monster wütet zwar mordend und mit Rache- und Hassgefühlen. Doch die Autorin zeigt die „arme, hilflose und elende Kreatur“ ziemlich menschlich: Jemand, der an seiner Hässlichkeit verzweifelt und vor Einsamkeit fast vergeht.
Mary Shelleys Roman wurde nach dem Erscheinen von Kritikern zuerst verrissen. Doch die Idee zündete: Theater legten bald Frankenstein-Geschichten auf.. Der Siegeszug begann. 1910 kam der der erste Stummfilm in die Kinos. Im Jahr 1931 kreierte Regisseur James Whale mit dem britischen Schauspieler Boris Karloff in der Hauptrolle das ikonische Bild des Monsters mit dem turmartigen Schädel.
Nach 47 Jahren ist Schluss mit Halloween auf Burg Frankenstein
US-Soldaten, welche die Frankenstein-Geschichte kannten, produzierten in der Burg Frankenstein Anfang der 1950er Jahre eine Halloween-Sendung komplett mit Monstererscheinung. Auf der Burg hatten dann seit 1976 Gruselfeste zu Halloween Tradition.
Nach 47 Jahren Horrorpartys auf Burg Frankenstein war übrigens im vergangenen Jahr der letzte Vorhang gefallen. Da das Gemäuer umfangreich saniert werden muss, kann es für einen langen Zeitraum nicht mehr für Events genutzt werden.
„Ab 2024 wird die Burg Königstein der Ort des Schreckens sein. Das originale Halloween-Frankenstein-Event wird in neuen, alten Mauern das nächste Kapitel aufschlagen“, schreiben die Veranstalter auf ihrer Homepage. „Das originale Frankenstein-Halloween startet unter dem Motto A new chapter of fear neu und atemberaubend durch. Da solltest du dabei sein!“