Prozess in Frankreich
Chirurg soll fast 300 Kinder missbraucht haben
In Frankreich beginnt am Montag ein Verfahren gegen einen der mutmaßlich schlimmsten Kinderschänder der Landes: Der 74 Jahre alte frühere Chirurg Joël Le Scouarnec steht im Verdacht, 299 seiner kleinen Patienten sexuell missbraucht zu haben.

© dpa/Patrick Seeger
Die Polizei durchsuchte das Haus des Verdächtigen. (Symbolbild)
Von red/afp
Gut zwei Monate nach der Verurteilung von 51 Vergewaltigern in dem Aufsehen erregenden Prozess von Avignon beginnt in Frankreich am Montag ein Verfahren gegen einen der mutmaßlich schlimmsten Kinderschänder der Landes: Der 74 Jahre alte frühere Chirurg Joël Le Scouarnec steht im Verdacht, 299 seiner kleinen Patienten sexuell missbraucht zu haben. Seine Opfer waren im Schnitt elf Jahre alt.
Parallelen zum Prozess gegen Serienvergewaltiger Pelicot in Avignon
Es gibt Parallelen zum Prozess gegen den Serienvergewaltiger Dominique Pelicot in Avignon: Viele von Scouarnecs Opfern waren laut Anklage während der Taten bewusstlos. Der Chirurg führte wie Pelicot sorgfältig Buch über seine Schandtaten und hortete Fotos und Videos. Der Unterschied: Während es im Pelicot-Prozess ein Opfer - Pelicots damalige Frau Gisèle - und 51 Täter gab, sind es nun ein Täter und knapp 300 Opfer.
Le Scouarnec muss sich wegen 111 Vergewaltigungen und 189 sexueller Übergriffe vor Gericht verantworten. Der Tatzeitraum umfasst zweieinhalb Jahrzehnte, zwischen 1989 und 2014.
In dieser Zeit arbeitete Le Scouarnec in zahlreichen Krankenhäusern - obwohl manche seiner Chefs und Kollegen wussten, dass er bereits früher wegen Kinderpornographie verurteilt worden war. Dies hat zu einem zweiten Ermittlungserfahren geführt, in dem es um Behördenversagen geht.
Taten kamen bei einer Hausdurchsuchung ans Licht
Ähnlich wie im Fall Pelicot kamen die Taten bei einer Hausdurchsuchung ans Licht, die nach einer Strafanzeige in einem anderen Fall vorgenommen wurde. Dabei kamen Tagebücher des Chirurgen zutage, deren Inhalt an Perversität nur schwer zu überbieten ist.
Die Zeitung „Le Monde“ veröffentlichte Auszüge, die es Lesern kalt den Rücken hinunterlaufen lässt. Le Scouarnec notiert dort, wie er seine Stellung als Chirurg nutzt, um sich an möglichst vielen Kindern zu vergehen. „Der Vorteil von kleinen Mädchen ist, dass man sie anfassen kann, ohne dass sie Fragen stellen“, schreibt er da etwa.
An älteren Kindern vergriff er sich demnach, wenn sie unter Narkose waren - auf dem Operationstisch oder im Aufwachraum. Dabei kam es auch zu Penetrationen mit dem Finger. Kein Sperma, keine Verletzungen, keine Erinnerungen - „nahezu das perfekte Verbrechen“, resümiert „Le Monde“.
Viele der Opfer erfuhren erst im Erwachsenenalter, was ihnen widerfahren war. „Ich wusste immer, dass irgendwas nicht stimmte“, sagte die 42 Jahre alte Amélie Lévêque der AFP. Lévêque war von Le Scouarnec im Alter von neun Jahren am Blinddarm operiert und nach Einschätzung der Ermittler missbraucht worden. Später entwickelte sie eine Krankenhausphobie, litt an Essstörungen, war depressiv.
Der Angeklagte ist weitgehend geständig
Dank der minutiösen Aufzeichnungen des Arztes konnten 299 mutmaßliche Opfer identifiziert werden. Le Scouarnec soll schon in seiner Jugend ein Faible für Listen aller Art gehabt haben.
Der Angeklagte ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft weitgehend geständig. Er wolle sich während des Prozesses zu den Taten äußern, sagte sein Anwalt Thibaut Kurzawa. Der Prozess findet im bretonischen Ort Vannes in einem eigens zum Gericht umgebauten Universitätsgebäude statt. Er ist auf vier Monate angelegt, an mindestens sieben Tagen soll die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Der Angeklagte war bereits 2020 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, weil er in den 90er Jahren vier Mädchen missbraucht hatte, unter ihnen zwei Nichten, eine Patientin und die sechs Jahre alte Tochter seiner Nachbarn. Es war die Vergewaltigungsanzeige des Nachbarskindes, die die Hausdurchsuchung ausgelöst und damit das schockierende Ausmaß des mutmaßlichen Massenmissbrauchs ans Licht brachte.