FDP und Bundestagswahl
Christian Lindner: Alles gewagt – und alles verloren
Christian Lindner gilt als Spieler, der gern ins Risiko geht. Im Wahlkampf zeigte sich: Seine Strategie ist nicht aufgegangen, die FDP scheidet aus dem Bundestag aus. Nun steht sie vor einem Umbruch – und einer Zukunft ohne ihren Vorsitzenden.
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© dpa/Bernd von Jutrczenka
FDP-Chef Lindner am Wahlabend in der Parteizentrale.
Von Tobias Heimbach
Berlin. Als am Wahlabend die erste Prognose auf den Bildschirmen im Hans-Dietrich-Genscher-Haus gezeigt wurde, klatschten die anwesenden Unterstützer der FDP begeistert Beifall. Der gelbe Balken zeigte in der Prognose des ZDF genau fünf Prozent. Dies würde reichen, um erneut in den Bundestag einzuziehen.
Es war ein Applaus, mit dem man sich wohl selbst Mut machen wollte. Denn je länger der Abend dauerte, desto klarer zeigte sich: Der Balken wuchs nicht, er wurde Stück für Stück kleiner. Die FDP rutschte unter die Fünf-Prozent-Hürde. Damit scheiden die Liberalen aus dem Bundestag aus.
Das Schicksal der FDP ist an diesem Abend auch das Schicksal eines Mannes: Parteichef Christian Lindner. Die Gäste der FDP-Wahlparty müssen am Sonntagabend lange auf ihren Vorsitzenden warten. Unter den Parteivorsitzenden ist er der letzte, der sich an diesem Abend äußert.
„Es ist eine Niederlage für die Freien Demokraten“
Gemeinsam mit anderen Top-Liberalen tritt er kurz vor halb Acht auf die Bühne in Berlin, begrüßt vom rhythmischen Klatschen seiner Anhänger. Und muss die deutlichen Verluste seiner Partei anerkennen. „Wir sind in das volle politische Risiko gegangen und wir selbst zahlen einen hohen politischen Preis dafür“, sagte Lindner. „Es ist eine Niederlage für die Freien Demokraten“, gab er zu. Die Partei hat im Vergleich zur vorherigen Bundestagswahl mehr als die Hälfte ihrer Stimmen verloren.
Lindner ist maßgeblich für dieses Ergebnis verantwortlich. Er ist seit 2013 Vorsitzender der FDP. Er führte die Partei zurück in den Bundestag und sogar in eine Regierung. Nun droht wieder der Sturz in die außerparlamentarische Opposition. Niemand prägt Kurs und Image seiner Partei wie er.
Lindner – der Spieler
Lindner gilt als Spieler, als einer, der auch mal ins Risiko geht. Das zeigte sich gleich mehrfach in den vergangenen drei Jahren. Unter den eigenen Anhängern war die Ampel-Koalition unbeliebt, bei vielen anderen galt die FDP als Blockierer in der Koalition. Der Ruf der FDP litt dann insbesondere durch das Ende der Ampel-Koalition. Die Partei verfasste ein „Wirtschaftswendepapier“, das als Scheidungsurkunde der Ampel-Koalition gilt.
Damit brüskierten die Liberalen SPD und Grüne. Schlussendlich warf Kanzler Olaf Scholz (SPD) die FDP aus der Regierung. Später zeigten Recherchen, dass die Liberalen schon Wochen vorher den Ausstieg aus der Koalition vorbereitet hatte, während führende Köpfe öffentlich noch erklärt hatten, Teil der Ampel bleiben zu wollen.
Als nach dem Ampel-Bruch der Wahlkampf begann, setzte die Partei auf klassische FDP-Themen: mehr Netto vom Brutto, keine Steuererhöhungen, ein Bekenntnis zur Schuldenbremse und eine härtere Migrationspolitik. In den letzten Tagen des Wahlkampfs hatte Lindner vor allem auf das Thema möglicher Koalitionsoptionen gesetzt. Denn mit dem Einzug der FDP hätte auch eine Zweierkoalition zwischen Union und SPD keine Mehrheit im Bundestag. Auch eine Koalition mit den Grünen hatte Lindner ausgeschlossen.
Vor einem politischen und personellen Neuanfang
Ampel-Eintritt, ein konfrontativer Kurs in der Koalition, dann der Ampel-Bruch und schließlich ein erfolgloser Wahlkampf: Lindner war gleich mehrfach ins Risiko gegangen. Er hatte viel gewagt – und am Ende verloren. Am Abend deutete er in der ARD an, dass er persönlich Konsequenzen ziehen wolle. „Ich bin Realist. Es ist natürlich denkbar, dass sich die FDP ab morgen vollständig personell und politisch neu aufstellen wird“, sagte er. Am späten Abend sorgte Lindner für Gewissheit. Im Online-Dienst X schrieb er: „Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus.“
Jetzt stehen die Liberalen stehen vor einem Umbruch – und vor einer Zukunft ohne Christian Lindner.