Auktion in Paris
Christie’s versteigert Kunstsammlung von Helga und Edzard Reuter
Am 28. Mai blickt die Kunstwelt nach Paris: Das Auktionsunternehmen Christie’s versteigert die Sammlung von Helga und Edzard Reuter. Was ist das Besondere?
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© Stiftung Reuter
Helga und Edzard Reuter engagierten sich bis zu ihrem Tod 2024 für gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Von Nikolai B. Forstbauer
Für einen Moment alle Terminverpflichtungen hinter sich lassen – im Frühjahr 1990 nimmt sich Edzard Reuter diese Freiheit. Ein Jahr zuvor ist in Stuttgart-Möhringen die neue Konzernzentrale der damaligen Daimler-Benz AG eröffnet worden, Großskulpturen unter anderen von Heinz Mack und Max Bill markieren das Areal. Edzard Reuter blickt hinaus – und für ein paar Minuten geht es nicht um die Konzerngeschicke, sondern um Kunst.
Edzard Reuter schwärmt von Lucio Fontana und Enrico Castellani – beide Italiener, beide in den 1960er Jahren mit einer Kunst bekannt geworden, die auf alle Formen- und Farbkraft ihrer Zeit mit minimalen Eingriffen auf einfarbigen Leinwänden (Fontana) und in minimalistischer Materialstruktur (Castellani) antworten. Zu bestaunen sind sekundenschnell formulierte, hoch präzise Äußerungen und die so leise wie unmissverständliche Setzung.
„Kunst“, sagt Hans J. Baumgart, der die 1977 begründete Daimler-Kunstsammlung (heute Mercedes-Benz Art Collection) aufbaute und bis 2000 zu internationalem Glanz führte, „interessierte Edzard Reuter leidenschaftlich“. Seit 1964 für Daimler tätig, wird der 1928 in Berlin geborene und in der Türkei aufgewachsene Sohn von Ernst Reuter, 1948 bis 1953 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1987 Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG. Reuters Ziel: Das Automobilunternehmen soll ein „integrierter Technologiekonzern“ werden.
„Die Reuters haben mit ihren Werken zusammengelebt“!
Auch sein Kunstinteresse ist klar umrissen: „Sein persönliches Augenmerk, auch das seiner Frau Helga, die ihm immer eine kritische Begleiterin war“, sagt Hans J. Baumgart, „galt Zero und der Op-Art“ – einer Kunst, die mit Licht und Bewegung spielt und mit ihrer spektakulär unspektakulären Art international erfolgreich ist. Für Dirk Boll, Vorstand des weltweit agierenden Auktionsunternehmens Christie’s, macht denn auch „die präzise Auswahl und die Zahl der Werke“ die Sammlung von Helga und Edzard Reuter zu einer „besonderen“.
Über Jahrzehnte ist das Privathaus in Stuttgart-Schönberg Bühne der Kunst. Der Wert mancher Werke versteckt sich in einem regen Über- und Nebeneinander. „Hier wurde nicht ,heilig’ präsentiert“, sagt Boll, „die Reuters haben mit ihren Werken zusammengelebt und über die Jahre auch ,nachverdichtet’.
Als Edzard und Helga Reuter im Oktober und November 2024 im Abstand von nur drei Wochen sterben, ist der weitere Weg für den Besitz des Ehepaars vorgezeichnet: Alle Erlöse kommen der 1995 gegründeten Helga und Edzard Reuter-Stiftung zugute. Seit 2023 steht die frühere baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann an der Spitze der Reuter-Stiftung. Über das Ehepaar Reuter sagt sie: „Kunst war ein wichtiger Teil ihres Lebens. Und auf ihren Wunsch hin wird sie nun zugunsten ihrer Stiftung versteigert.“ Und: „Für mich schließt sich somit ein Kreis. Die Kunst als zentrales Element ihres Lebens wird nun zugunsten ihres Nachlasses in Form der Stiftung veräußert. Das ist konsequent. Ganz so wie Helga und Edzard Reuter auch waren.“
Das beauftragte Auktionsunternehmen Christie’s hat sich für Paris als Bühne entschieden. Am 28. Mai werden bei Christie’s Paris 50 Hauptwerke der Sammlung Helga und Edzard Reuter versteigert, erwartet wird ein Erlös von drei bis fünf Millionen Euro. Warum Paris? „Die Hauptwerke der Sammlung – verbunden mit Namen wie Yves Klein, Lucio Fontana, Ernesto Castellani, aber auch Günter Uecker“, sagt Eva Schweizer, Repräsentantin von Christie’s in Stuttgart, „sind in Paris sehr gefragt“. „Überhaupt“, betont sie, sei „die kontinentaleuropäische Nachkriegskunst dort gerade angesagt“.
Erste schriftliche Gebote aber für Werke der Sammlung kommen aus Stuttgart – ausgelöst durch eine Vorab-Präsentation ausgewählter Arbeiten durch Christie’s im Einrichtungshaus Minotti/Kampe 54. Ein Abend, der Weggefährten von Helga und Edzard Reuter ebenso versammelte wie jüngere Kunstexperten. Neu entdeckt werden konnten dabei neben den Stars der Sammlung auch Werke etwa des 1968 mit nur 23 Jahren verstorbenen Peter Roehr.
Auch Roehr gilt aktuell neue Aufmerksamkeit. Und wie das Comeback von Minimal und Op Art überhaupt, stützen auch bei Roehr die Geschichten langjährigen persönlichen Engagements wie von Helga und Edzard Reuter den Wiederaufschwung. „Diese Geschichten“, sagt Christie’s-Vorstand Dirk Boll, „zeigen eine pan-europäische, intellektuelle Rezeptionsgeschichte. Dies ist kein junger ,Studio-Hype’, sondern illustriert die Kulturgeschichte unserer Gesellschaften“.
Der Stiftungszweck? Menschen unterschiedlicher Herkunft unterstützen
Zur Geschichte der Sammlung Helga und Edzard Reuter gehört auch der Zweck ihres Verkaufs. Der Millionenerlös soll die Arbeit der Reuter Stiftung mit absichern. Deren Zweck? „Er gilt“, sagt Susanne Eisenmann als Vorsitzende des Vorstands, „dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Projekte und Institutionen, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion oder Kultur unterstützen, sollen gefördert werden. Integration und Verantwortung in und für unsere Gesellschaft sind dafür von besonderer Bedeutung“.
Helga und Edzard Reuter selbst formulieren es 1995 in einer 30 Jahre später bedrückenden Aktualität: „Die Frage, inwieweit es gelingt, die vielen Menschen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten nach Deutschland zugewandert sind, in unsere Gesellschaft zu integrieren, ist eine politische und gesellschaftliche Zukunftsaufgabe ersten Ranges.“
Neben der Förderung entsprechender Projekte vergibt die in Berlin angesiedelte Reuter-Stiftung jährlich zwei mit je 15 000 Euro dotierte Preise. Preisträger 2025 sind Bäckermeister Björn Wiese aus Eberswalde in Brandenburg – für sein Engagement bei der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt – und Seda Colak, muslimische Referentin bei meet2respect, einer Organisation, die sich vor allem für den Austausch zwischen muslimischen und jüdischen Schülerinnen und Schülern einsetzt.
Soll eine Auktion erfolgreich sein, braucht sie Höhepunkte. Absehbar sind dies bei der Versteigerung der Sammlung Reuter Yves Kleins „Planétaire Terre“ (geschätzt auf 600 000 bis 800 000 Euro) und ein Schlitzbild von Lucio Fontana (geschätzt auf 400 000 bis 600 000 Euro). Zudem das Bild „Superficie nera No. 3“ von Enrico Castellani (geschätzt auf 200 000 bis 300 000 Euro). Mindestens so wichtig sind verlässliche Größen – in diesem Konvolut etwa drei Werke von Günther Uecker (jeweils geschätzt auf 80 000 bis 200 000 Euro) – und mögliche Überraschungen.
Hier dürften die Gebote für Werke von François Morellet ebenso aufmerksam beobachtet werden wie Signale für Jesús Rafael Sotos „Collage et vibration“ (geschätzt auf 150 000 bis 250 000 Euro). Mit dem Franzosen Morellet verbindet sich für Hans J. Baumgart eine besondere Erinnerung an den Kunstliebhaber Edzard Reuter: „Unvergesslich sein unverkennbares Glücksgefühl, als er auf der Art Cologne von François Morellet eine bestimmte Grillages gefunden hatte, nach der er lange gesucht hatte.“
Bis zum Auktionstag am 28. Mai kann man Gebote für die Werke der Sammlung Reuter abgeben. Dann hat der Auktionator in Paris das Wort. Und Christie’s-Vorstand Dirk Boll sagt zuletzt: „Auf alle Fälle ist Stuttgart ,back on the European art map’!“. Auch das ist eine Geschichte.
Stifter und Kunstkenner
Die Stiftung Die Helga und Edzard Reuter-Stiftung würdigt seit ihrer Gründung 1995 Menschen und Projekte, die sich auf herausragende Weise um die Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer, kultureller oder religiöser Herkunft verdient gemacht haben. In den ersten Jahren nach der Gründung wurden einzelne Vorhaben (in Niedersachsen und Brandenburg) gefördert, die auf deutsch-türkische Geschichte und Zusammenarbeit zielten. Von 2001 an wurden regelmäßig Jahrespreise an Personen und/oder Institutionen vergeben. Im Mittelpunkt der Auswahl der Preisträger stehen jeweils deren Engagement in der Förderung von Integration oder herausragende wissenschaftliche Leistungen auf diesem Gebiet. Seit 2023 ist Susanne Eisenmann, frühere baden-wüttembergische Kultusministerin, Vorsitzende des Vorstands der Reuter-Stiftung.
Die Kenner Helga und Edzard Reuter interessierten sich früh für Kunst. Ausgehend von der Klassischen Moderne entdeckten die Avantgarde der 1960er Jahre für sich. Tendenzen wie der Minimalismus und die mit Lichtphänomenen spielende Op Art weckten bald besonderes Interesse. Ein bevorzugter Ansprechpartner für das Sammlerpaar war der Düsseldorfer Galerist Hubertus Schoeller. Die wachsende Sammlung verrät mehr und mehr das besondere Interesse von Helga und Edzard Reuter für eine Verbindung von Präzision und Poesie wie man sie etwa in den Arbeiten von Francois Morellet findet.
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© Christie’s Images/JUERGEN ALTMANN STUTTGART GERMAN
Helga und Edzard Reuter – hier auf einem Bild des Malers Jan Peter Tripp ....
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... lebten in ihrem Haus in Stuttgart-Schönberg ...
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.... wurden Werke vor allem des Minimalismus ...
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© Christie’s Images/JUERGEN ALTMANN STUTTGART GERMAN
.... und der Op Art der 1960er und 1970er Jahre präsentiert.
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© Christie’s Images
Christie’s-Vorstand Dirk Boll sieht eine „besondere Sammlung“, ....
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© Christie’s Images/Hutton + Crow
... die am 28. Mai bei Christie’s Paris versteigert wird.
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© Minotti Stuttgart by Kampe 54
Zuvor waren ausgewählte Werke der Sammlung in Stuttgart bei Minotti Stuttgart by Kampe 54 päsentiert worden.
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© Susanne Kern
Hans J. Baumgart baute die Kunstsammlung Daimler auf und erlebte Helga und Edzard Reuter als „leidenschaftlich interessiert“.
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© Christie’s Images/Reuter-Stiftung
Auf 200 000 bis 300 000 Euro geschätzt: Enrico Castellanis „Superficie nera No. 3“ von 1964
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© Reuter-Stiftung
Seit 2023 ist Susanne Eisenmann Vorsitzende des Vorstands der Helga und Edzard Reuter-Stiftung.