Dankbar für die „Pflanze der Hoffnung“
Naturheilmediziner glauben an positive Auswirkungen des Artemisia-Tees bei der Stärkung des Immunsystems im Kampf gegen Corona. Die Backnanger Ärztin Anette Stahl-Knura beobachtet zudem heilende Effekte bei Arthritis, Krebs und anderen Erkrankungen.
Von Matthias Nothstein
BACKNANG. Corona hat die gesamte Welt im Griff. Fieberhaft wird nach einem Impfstoff oder einem Medikament gesucht, bislang noch mit bescheidenem Erfolg. Einige Naturheilkundler hingegen glauben, mit der Artemisia-Pflanze ein Mittel zu kennen, das das Immunsystem des Menschen so unterstützt, dass das Virus zumindest kein leichtes Spiel hat. Von den Schulmedizinern werden die Befürworter zum Teil milde belächelt oder auch heftig kritisiert.
Im Rems-Murr-Kreis gibt es eine überzeugte Artemisia-Fangemeinde um den Winnender Hans-Martin Hirt. Und das nicht erst seit Corona, sondern schon seit vielen Jahren. Hirt ist promovierter Pharmazeut und Vorsitzender des Vereins Anamed, der sich für die Verwendung von Artemisia einsetzt. Hirt und seine Mitstreiter haben in Afrika und Indien eigenen Angaben zufolge viele Erfolge mit dem Kräutertee im Kampf gegen Malaria und HIV erzielt.
Die Backnanger Fachärztin für Allgemeinmedizin Anette Stahl-Knura nennt Artemisia die „Pflanze der Hoffnung“. Die wirkstoffreiche Winnender Spezialzüchtung „Artemisia annua anamed“ sei durch ihre Erfolge in der Malariatherapie bekannt. Stahl-Knura beobachtete ebenfalls „hilfreiche Auswirkungen bei Arthritis, Krebs und anderen Erkrankungen“. Zwar würde sie nicht so weit gehen, Artemisia als „Wunderpflanze“ zu preisen, aber „ich bin dankbar für die außergewöhnliche Pflanze und sehe in meiner Praxis, dass viele Patienten gute Erfahrungen damit machen“. Stahl-Knura hat in ihrem Berufsleben beobachtet, dass das Wissen über die Natur und natürliche Hilfen immer mehr verloren geht, „ich stelle eine Verarmung fest und sehe die Vielfalt gefährdet“. Die Ärztin ermuntert dazu, öfter geeignete Hilfe zur Selbsthilfe anzuwenden. So wirbt sie dafür, das Immunsystem jeden Tag zu stärken, unter anderem auch durch eine gesunde Ernährung und einen bewussten Umgang mit dem Körper. Und nicht zuletzt durch den gezielten Einsatz des Artemisia-Tees mit seinen zahlreichen Inhaltsstoffen, die sich gegenseitig unterstützen. Dadurch wirke er „antibakteriell, antiviral und immunstimulierend“. Über die Anregung der „natürlichen Killerzellen“ könne diese Pflanze helfen, auch völlig neuartige Viren im Körper zu bekämpfen. Insgesamt habe sie positive Auswirkungen auf den ganzen Organismus.
Und was sagt die Wissenschaft dazu? Fakt ist, dass die chinesische Forscherin Tu Youyou 2015 den Medizin-Nobelpreis für die Isolierung des Wirkstoffs Artemisin aus der Artemisia-Pflanze erhielt. Experten beobachten bei dieser Pflanze in der Tat hilfreiche Auswirkungen beim Bekämpfen von vielerlei Gesundheitsproblemen. Unter anderem bei Malaria, Krebs oder HIV. Doch damit nicht genug. Schon lange vor der aktuellen Covid-19-Pandemie wurde die Pflanze auch gegen verschiedenste Coronaviren eingesetzt, je nach Sichtweise mit gutem Erfolg. Spätestens jetzt fragt sich die Fachwelt: Ist da etwas dran? Auf die Spitze getrieben kann man sich fragen: Wirkt Kräutertee gegen Covid-19-Viren?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt davor, auf diese Karte zu setzen und wendet sich strikt gegen den Kräutertee und dubiose Heilsversprechen. Die Verfechter der Artemisia-Pflanze wundern sich nicht über diesen Gegenwind. Sie glauben sogar, dass sie von der Pharmalobby geradezu bekämpft werden. Denn diese könnte im Falle eines Erfolgs vermutlich wenig verdienen, da die Pflanze von jedermann angebaut und als Tee konsumiert werden kann.
Nun scheint es, als würde der Widerstand der Schulmedizin ein wenig bröckeln. Seit einigen Monaten beschäftigen sich nämlich auch Chemiker des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam gemeinsam mit Virologen der Freien Universität Berlin mit der Pflanze und deren Wirkstoffen. Ein Umstand, den die Freunde der Naturmedizin allein schon als Etappensieg werten. So erklärte Hirt zuletzt erfreut: „Das Max-Planck-Institut überrascht unseren Verein.“
Ersten Verlautbarungen zufolge konnten die Forscher bereits nachweisen, „dass wässrige und alkoholische Extrakte des speziell gezüchteten Einjährigen Beifußes (Artemisia annua) gegen Sars-CoV-2 wirksam sind“. Der Direktor des Max-Planck-Instituts, Professor Peter Seeberger, der die Studie mit Kerry Gilmore zusammen angestoßen hat, erklärt: „In einer konzentrationsabhängigen Weise verlangsamen oder unterbinden wässrige Extrakte von Artemisia annua die Vermehrung der Viren.“ Allerdings räumt der Experte des renommierten Instituts ein, dass die Forschung ganz am Anfang stehe und die Ergebnisse aus einem Laborversuch und Zellstudien stammen. Er hoffe aber, dass Artemisia wirksam sein könnte in der Therapie zur Milderung des Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung. Klinische Studien sollen seiner Ansicht nach in Kürze hierüber Aufschluss geben. Er spricht auch eine Warnung aus. Bis zum Abschluss der Studien „sollte man den Tee nicht einnehmen, um sich gegen Covid-19 zu schützen oder gar sich selbst zu behandeln“. Dies sollte man erst tun, wenn die Extrakte als Arznei zugelassen sind.
Die Medizinwelt ist weiter gespalten. Das Hamburger Abendblatt titelt unlängst: „Heilpflanze wirkt gegen Coronavirus“, und das französische Magazin Paris-Match jubelte gar „Artemisia – die Wunderpflanze wirkt gegen Covid-19“. Kritischer sieht es die Süddeutsche Zeitung, die über die Studie schreibt, sie sei lediglich „eine Fingerübung im Labor“. Die Überschrift lautete „Dünne Mixtur“.
Artemisia ist eine Pflanzengattung in der Familie der Korbblütler. Einzelne Arten werden Beifuß, Wermut, Stabwurz oder Edelraute genannt. Zu dieser artenreichen Gattung gehören 250 bis 500 Arten, die hauptsächlich in den gemäßigten Gebieten vorkommen. Fast alle Arten haben ihre Verbreitungsgebiete auf der Nordhalbkugel in Nordamerika und Eurasien. Nur wenige Arten findet man in Südamerika und Afrika.
Der Verein Anamed setzt voll auf die Pflanze „Artemisia annua anamed“ (A-3). Während die Wildformen von Artemisia annua den Nachteil haben, dass sie nur wenig Blätter und damit Wirkstoff bilden und in tropischen Ländern fast nicht wachsen, ist A-3 eine Spezialzüchtung, die bis zu drei Meter groß werden kann und etwa 20-mal mehr Wirkstoff zur Verfügung stellt.
Laut Anamed ergänzen sich bei der Artemisia-Pflanze 600 wirksame Inhaltsstoffe gegenseitig. Angewandt wird die Pflanze unter anderem als frischer oder getrockneter Tee sowie als Pulver. Dadurch würde es selten zu Resistenzen von Erregern oder Nebenwirkungen kommen. Mit einer Einschränkung. So heißt es in einer Anamed-Basisinformation: „In seltenen Fällen wurden erhöhte Leberwerte beobachtet.“
Jungpflanzen können in kleinen Töpfchen vorgezogen und ab einer Höhe von 15 Zentimeter im Garten ausgepflanzt werden. Die Pflanzen werden hierzulande bis 1,60 Meter groß. Genutzt werden nur die Blätter, die Stängel können kompostiert werden.
Der Tee schmeckt sehr bitter, er kann jedoch laut Anamed problemlos gesüßt werden, was die Einnahme erleichtert. Alternativ zum Tee kann die Pflanze auch als Pulver eingenommen werden.
Im Rems-Murr-Kreis muss Hans-Martin Hirt gegen neue Widerstände kämpfen. So wurde dem Winnender Verein Anamed von der Lebensmittelüberwachung des Landratsamtes mitgeteilt, dass es sich beim Tee, den der Verein verkauft, um ein „novel food“ handelt, also um ein neues Lebensmittel, das ohne komplizierte und teure Zulassung nicht in den Verkehr gebracht werden darf. Weil der Verein aber eben dies gemacht hat, hat er ein Bußgeld über 500 Euro aufgebrummt bekommen.
Hirt hält seit Jahren mit Widersprüchen dagegen. Er habe seit 30 Jahren Erfahrung mit dem Beifuß-Tee und außerdem Beweise, dass dieser schon seit Jahrzehnten in Europa verkauft werde. Das Landratsamt hat den Streitfall ans Regierungspräsidium weitergegeben, dieses wiederum hat der Kreisbehörde recht gegeben. Inzwischen fordert das Landratsamt 500 Euro plus 17,76 Euro für die Zwangsmittelandrohung. Hirt kontert, er werde vor Gericht ziehen. Er spricht von Haarspalterei und versteht nicht, warum dem kleinen Verein vom eigenen Landkreis das Leben und Helfen so schwer gemacht werde.