Migrationspolitik

Darf Deutschland Schutzsuchende an den Grenzen abweisen?

Die einen wollen es unbedingt, die anderen auf keinen Fall: Die Forderung, Schutzsuchende an deutschen Grenzen zurückzuweisen, ist umstritten. Oft heißt es, dass das rechtlich nicht möglich sei. Ein Blick auf die Rechtslage.

Schon jetzt werden die Grenzen kontrolliert, Asylbewerber zurückweisen darf die Polizei derzeit aber nicht.

© dpa/Harald Tittel

Schon jetzt werden die Grenzen kontrolliert, Asylbewerber zurückweisen darf die Polizei derzeit aber nicht.

Von Rebekka Wiese

Es ist vor allem ein Vorschlag, über den zuletzt besonders viel gestritten wurde. Er findet sich in dem Entschließungsantrag, den CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag mit Stimmen der AfD verabschieden ließ. Es geht um Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, also ein „faktisches Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen“, wie es darin heißt – auch für Asylbewerber. In der Debatte ist häufig zu hören, dass der Vorschlag nicht rechtmäßig sei. Dem widersprechen Befürworter des Vorhabens. Was stimmt?

Um das zu beantworten, muss man in die sogenannte Dublin-III-Verordnung schauen. Das ist das Regelwerk, das vorgibt, wie die EU-Staaten mit Asylgesuchen umgehen. Demnach ist eigentlich der erste EU-Mitgliedsstaat, den ein Asylbewerber betritt, für dessen Fall zuständig. Da wenige Asylsuchende mit dem Flugzeug einreisen, sind meistens Länder an den EU-Außengrenzen betroffen, Griechenland oder Italien zum Beispiel.

Deutschland muss prüfen

Doch viele Ankommende reisen einfach durch diese Länder durch. Sobald sie in Deutschland ankommen und dort um Asyl bitten, greift Artikel 3 der Dublin-Regeln: „Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt.“ Deutschland muss das Asylgesuch also prüfen – auch wenn absehbar herauskommt, dass ein anderer Staat zuständig ist. Dafür haben die hiesigen Behörden im Regelfall sechs Monate Zeit, auch das steht in den Dublin-Regeln. Doch wenn die Überstellung bis zu dieser Frist scheitert, geht die Zuständigkeit für den Schutzsuchenden an Deutschland über. Das passiert in der Praxis häufig.

Bis hierhin sind die Regeln klar: Wer an der deutschen Grenze um Asyl bittet, darf nicht zurückgewiesen werden. Der Antrag muss geprüft werden – und nach sechs Monaten fällt die Zuständigkeit für den Schutzsuchenden automatisch an Deutschland. Zurückweisungen an den deutschen Grenzen? Nicht mit den Dublin-Regeln.

Eine bedeutsame Ausnahmeklausel

Doch so einfach ist es nicht. Die Befürworter des Vorhabens verweisen auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dort steht in Artikel 72, dass die Mitgliedsstaaten „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ zuständig blieben. Das erlaubt es EU-Ländern, notfalls von gemeinsamen Regeln abzuweichen. Auf diese Ausnahmeklausel will sich Merz berufen.

Doch ob das funktionieren würde, kann niemand sicher wissen. Es gibt keine Stelle, bei der Deutschland darum bitten kann, die Klausel zu aktivieren. Ob die Zurückweisungen rechtens wären, ließe sich nur herausfinden, wenn man es versucht. Dann würde sich wohl der Europäische Gerichtshof einschalten. Das Risiko wäre hoch: Andere Staaten haben schon versucht, sich auf Artikel 72 zu berufen – noch nie mit Erfolg.

Es kann derzeit niemand sicher wissen, ob die Zurückweisungen rechtens wären. Es gilt nicht als ausgeschlossen, aber als unwahrscheinlich. Es herauszufinden, könnte auch zu Streit mit den europäischen Nachbarn führen – und womöglich die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gefährden. Die soll 2026 in Kraft treten. Ihr Ziel: die Dublin-Verordnung durch wirksamere Regeln zu ersetzen.

Zum Artikel

Erstellt:
7. Februar 2025, 16:40 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen