Das Artensterben beschleunigt sich
Vor allem Amphibien und riffbildende Korallen sind durch Einflüsse des Menschen bedroht
UN-Studie - Bis zu einer Million Arten sindvom Aussterben bedroht. Dassagen die Vereinten Nationen –und nennen klar den Menschals Verursacher.
Bonn Drei Jahre haben 145 Wissenschaftler aus 50 Ländern eine umfassende Bestandsaufnahme über den Zustand und die Entwicklung der biologischen Vielfalt erstellt – nun haben 132 Mitgliedstaaten das Fazit des Weltbiodiversitätsrates IPBES politisch abgesegnet: Bis zu einer Million Tier- und Pflanzenarten werden in den kommenden Jahrzehnten von der Erde verschwinden. Die Experten benennen in der äußerst umfangreichen Studie, die sich auf 15 000 Studien und Berichte stützt, die Hauptursache für diese Entwicklung: Es ist der Mensch und seine übermäßige Nutzung der bestehenden Ressourcen. Explizit genannt werden Landwirtschaft, Abholzung, Bergbau, Fischerei und Jagd als die wichtigsten Gründe für das Artensterben.
Der Präsident des Weltbiodiversitätsrates, Robert Watson, fasste das Ergebnis der Studie so zusammen: „Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität.“ Und Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, der als einer der Co-Vorsitzenden an der Erstellung der Studie beteiligt war, betont: „Dieser Artenverlust ist das direkte Ergebnis menschlicher Aktivität, und er stellt eine direkte Bedrohung für das Wohlergehen des Menschen in allen Regionen der Welt dar.“ Zudem stellt er klar, dass nun keiner mehr sagen kann: „Wir haben es nicht gewusst.“
Der IPBES-Bericht wartet dabei mit einer Vielzahl konkreter Daten auf. So ist die durchschnittliche Vielfalt der in den einzelnen Regionen heimischen Arten in den meisten Land-Lebensräumen um mindestens 20 Prozent zurückgegangen – zumeist seit dem Jahr 1900. Zu leiden haben vor allem die Amphibien, von denen mehr als 40 Prozent der Arten bedroht sind. In den Ozeanen sieht es nicht besser aus: Beinahe ein Drittel aller riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetiere sind gefährdet. Bei den Insekten ist laut Bericht die Lage nicht ganz so klar: Die Schätzung geht hier davon aus, dass zehn Prozent der Arten vom Aussterben bedroht sind. Sicher ist dagegen, dass „menschliche Aktivitäten“ seit dem 16. Jahrhundert mindestens 680 Wirbeltierarten zum Aussterben gebracht haben.
Wie viele Tier- und Pflanzenarten es auf der Welt gibt, weiß niemand so genau. Die Schätzung im aktuellen IPBES-Bericht geht von etwa acht Millionen aus – darunter allein 5,5 Millionen Insektenarten. Bedrückend ist, dass das Ausmaß der augenblicklichen Rate des Aussterbens zehn- bis hundertmal höher ist als in den vergangenen zehn Millionen Jahren – und dass die Rate zunimmt.
Für viele Arten sind die Perspektiven vor allem deshalb so miserabel, weil die Verhältnisse in ihren Lebensräumen immer schlechter werden: So können mehr als 500 000 der schätzungsweise 5,9 Millionen terrestrischen Arten nur überleben, wenn ihre Habitate restauriert werden. Übrigens schwindet auch bei den Nutztieren die Vielfalt: Mehr als neun Prozent der zur Nutzung als Fleischlieferant oder Arbeitstier domestizierten Säugetierrassen sind bis zum Jahr 2016 bereits ausgestorben – mindestens tausend weitere Rassen gelten als bedroht.
Die Autoren wollen ihre Studie aber nicht nur als Beschreibung des Ist-Zustandes verstanden wissen, sondern haben ausdrücklich auch eine politische Botschaft im Sinn: Es muss nun unbedingt etwas geschehen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Deshalb haben sie – in diesem Umfang erstmalig, wie sie betonen – fünf Felder identifiziert, die derzeit den größten Einfluss haben: An erster Stelle steht dabei die Veränderung in der Land- und Meeresnutzung, es folgen die direkte Ausbeutung der Lebewesen, der Klimawandel, die Verschmutzung sowie die Invasion fremder Arten. Auch Letzteres wird vom Menschen erheblich gefördert: In 21 Ländern, in denen über die Einwanderung gebietsfremder Arten detailliert Buch geführt wird, hat deren Zahl seit 1970 um 70 Prozent zugenommen.
Der Report wagt auch einen Blick in die Zukunft: „Die negativen Trends in der Natur werden sich bis 2050 und darüber hinaus in allen untersuchten politischen Szenarien fortsetzen, außer in denjenigen, die einen transformativen Wandel berücksichtigen“, heißt es. Es sei noch nicht zu spät für Gegenmaßnahmen, betonte IPBES-Präsident Watson – vorausgesetzt, dieser Wandel würde sofort beginnen, „auf allen lokalen bis globalen Ebenen“. Er müsse Veränderungen bei Technologien, Wirtschaft und Gesellschaft umfassen, „einschließlich Paradigmen, Ziele und Werte“. Dazu zählt etwa der Wechsel vom Paradigma des Wirtschaftswachstum hin zu einem nachhaltigen Finanz- und Wirtschaftssystem.
„Die Biodiversität und die Gaben der Natur für den Menschen sind unser gemeinsames Erbe und das wichtigste Sicherheitsnetz für das Überleben der Menschheit“, erklärte die Argentinierin Sandra DÃaz, die wie Settele als Co-Vorsitzende an der Studie beteiligt war. Doch dieses Netz sei inzwischen bis fast zum Zerreißen belastet. Aber auch sie betonte: „Noch haben wir die Mittel, um eine nachhaltige Zukunft für die Menschen und den Planeten zu gewährleisten.“