Zukunft Europas

Das Ende der alten Welt

Die Idee der strategischen Autonomie war in Europa lange verpönt. Mit dem Verlust der USA als wichtigstem Verbündeten, ist sie brandaktuell, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stieß mit der Idee einer Emanzipation Europas einst auf wenig Gegenliebe.  Nun zeigt sich, dass er mit dieser Einschätzung  richtig lag.

© AFP/Justin Tallis

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stieß mit der Idee einer Emanzipation Europas einst auf wenig Gegenliebe. Nun zeigt sich, dass er mit dieser Einschätzung richtig lag.

Von Knut Krohn

Die alte Welt existiert nicht mehr. Mit dem Abschied der USA aus dem westlichen Wertesystem, bricht der letzte Pfeiler alter Gewissheit in sich zusammen. Europa hat seinen wichtigsten Partner verloren und plötzlich hat eine Idee Konjunktur, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schon vor Jahren ins Gespräch gebracht hatte: die strategische Autonomie der EU. Seine Forderung: Die Europäische Union müsse unabhängiger werden, in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber auch in Bereichen wie Klima, Industrie oder Hochtechnologie.

In der alten Welt hatte Emmanuel Macron mit seinem Vorschlag in ein politisches Wespennest gestochen. Die Europäer bekamen zwar schon während der ersten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump einen Vorgeschmack, was drohen könnte. Auf ihn folgte aber der Transatlantiker Joe Biden und die EU konnte ihre Vorstellung von Multilateralismus und Freihandel weiter kultivieren.

Besonders Deutschland reagierte in jenen eher sorglosen Zeiten geradezu ruppig auf die forsch vorgebrachten Idee Macrons eines emanzipierten Europa. Das verwundert wenig. Das deutsche, sehr erfolgreiche Geschäftsmodell fußte über Jahrzehnte auf militärischer Sicherheit durch die USA, billiger Energie aus Russland und boomenden Absatzmärkten in China.

Deutschland schnürt ein Milliardenpaket

Doch die Zeiten haben sich dramatisch verändert. Nichts könnte diese Wende besser verdeutlichen als das eilig geschnürte Milliardenpaket, das der Spar-Weltmeister Deutschland in den kommenden Jahren für Sicherheit und Ausbau der Infrastruktur im eigenen Land ausgeben will. Auch auf EU-Ebene werden nun zu diesem Zweck unvorstellbare Summen in die Hand genommen.

Das erklärte Ziel, die strategische Autonomie Europas voranzutreiben, wird offen ausgesprochen – und stößt angesichts der globalen Entwicklung auf keinen Widerspruch. Mehr noch: Der Begriff wird nun weitreichender definiert. Lange galt er für die Entwicklung in der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie. Nun geht es auch um wirtschaftliche und technologische Fragen. Für einen Kontinent, dessen Industrie vom Export lebt und auf den Import von Rohstoffen und Energie angewiesen ist, ist dieser Weg ein schmaler Grat. Autonomie darf nicht in Abschottung münden.

Die Probleme zeigen sich bei der wichtiger werdenden Versorgung Europas mit grünem Wasserstoff. Es werden Verträge mit arabischen Staaten geschlossen, die bisher von der Erdölförderung gelebt haben und über kurz oder lang auf ein neues Geschäftsmodell umstellen müssen. Brüssel muss hier Lehren aus der Vergangenheit ziehen und darf sich nicht erpressbar machen. Der ehemalige Gas-Deal mit Russland hat gezeigt, dass Quellen diversifiziert werden müssen, auch wenn das vielleicht kostspieliger ist. Und während der Corona-Pandemie wurde schmerzhaft deutlich, dass selbst vermeintlich sichere Lieferketten als Instrument der Einflussnahme missbraucht werden können. Es gilt abzuwägen, wie weit man sich in die Abhängigkeit von einem Partner begibt.

Ein neues Selbstverständnis der EU ist gefordert

Die Arbeit an einer strategischen Autonomie rüttelt am Selbstverständnis der EU und ihrer Rolle in der Welt. Die Funktionslogik der Union beruht seit jeher darauf, dass Konflikte mit Verhandlungen, Geduld und Kompromissen gelöst werden. Diese Konsensmaschinerie stößt nicht nur wegen des Dauerstreits mit Ungarn selbst im Inneren an Grenzen. Europa wird lernen müssen, Rivalitäten auszutragen. Dazu zählt, im Zweifel die eigene Macht robust einzusetzen. Die Europäische Union hat über Jahrzehnte einen Balanceakt betrieben: Sie war wirtschaftliche Weltmacht, politischer Zwerg und militärischer Schwächling. Nun muss sie lernen, für sich selbst zu sorgen.

Zum Artikel

Erstellt:
5. März 2025, 16:30 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen