Das Herz der Unternehmerin schlägt links
Annette Keles kandidiert im Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd als Bundestagskandidatin für die Partei Die Linke. Die Waldremserin doziert in Stuttgart und betreibt mit ihrem Mann eine Firma in Backnang. In puncto Wirtschaft will sie einiges grundlegend ändern.
Von Bernhard Romanowski
Backnang. Von Unternehmern ist man es eigentlich nicht gewohnt, dass sie den Kapitalismus anprangern und eine Veränderung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung anstreben. Aus dem Munde einer Vertreterin der Partei Die Linke sind solche Aussagen aber gar nichts Ungewöhnliches. Annette Keles ist beides: Mit ihrem Mann, mit dem sie seit vielen Jahren in Waldrems lebt, betreibt sie ein Unternehmen in Backnang. Und für die Linke tritt sie als Bundestagskandidatin an. Zudem ist sie auch in der akademischen Welt zu Hause, hat Soziologie studiert, wurde in dem Fach promoviert und lehrt als Dozentin an einer Stuttgarter Hochschule.
Das geräumige SUV-Modell mit Elektroantrieb von Daimler, mit dem sie zum Pressegespräch angefahren kommt, mag nicht unbedingt dem gängigen Klischee über eine Frau entsprechen, die sich seit ihrer Jugend als politisch links verortet. Aber Keles sieht das ganz pragmatisch: „Wir brauchen ein Auto mit viel Platz für unser Unternehmen. Und bei Daimler können sie einfach Autos bauen“, so ihr lapidares Lob für die Arbeit des schwäbischen Autobauers. Und schließlich hat ihr Mann auch jahrelang für die Automarke gearbeitet. Wenn sie von ihrem Unternehmen spricht, dann meint sie die Firma Optimum Technology, deren geschäftsführende Gesellschafterin sie seit rund 20 Jahren ist. Gemeinsam mit ihrem Mann sowie einigen Mitarbeitern produziert und vertreibt sie einen speziellen Kofferraumschutz für Autos. Freilich weiß sie, dass man sie als Linke ganz besonders kritisch beäugt, wenn es um die Frage geht, wie sie ihr Unternehmen führt und ihre Mitarbeiter behandelt.
Denn im Kapitalismus, also auch in unserem Wirtschaftssystem in Deutschland, werde Ungleichheit produziert, so Keles. „Die Menschen, die die Werte schaffen, sind nicht am Gewinn beteiligt. Das Betriebsverfassungsgesetz hat viel an Mitbestimmung gebracht“, räumt sie ein, prangert aber auch an: „Die Mitarbeiter können aber letztlich nur über ihre Zeit und ihre Tätigkeit in den Betrieben bestimmen, nicht aber über die Firmenziele und deren Umsetzung.“ Sie sollten laut Keles aber nicht nur ausführen, was ihnen gesagt wird, sondern auch wissen, was genau sie tun und wie es sich auswirkt.
Woher kommt ihr Interesse und ihr Engagement für die sozialen Fragen und die werktätigen Menschen? Ein prägender Faktor war sicherlich die Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet, wo seinerzeit das stählerne Herz Deutschlands schlug und die Bergmänner mit ihrer Malochermentalität unter Tage die Kohle förderten. Dass die Menschen in der Arbeitswelt grundsätzlich gerne Verantwortung übernehmen und nicht nur als ein Rädchen im großen Ganzen funktionieren wollen, steht für sie außer Frage. Im Rahmen ihrer Arbeitszeit müsste man es ihnen ermöglichen, auch weiter gehende Entscheidungen für das Unternehmen treffen zu können, so Keles. Als Firmenchefin habe sie eine Richtungskompetenz. Aber die Mitarbeiter müssen an den Entscheidungen des Unternehmens beteiligt werden. Als Kleinunternehmerin, wie sie sich meist selber nennt, müsse sie mitarbeiten. Sie erhält dafür ein Gehalt. Gemäß ihren Möglichkeiten versuche sie, die Dinge in ihrem Betrieb anders, und zwar mehr mit dem Wohlergehen der Mitarbeiter im Fokus zu handhaben. Sie zahle bessere Löhne und die Mitbestimmung der Beschäftigten mit regelmäßigen Teamtreffen sei besser gewährleistet als in anderen Firmen.
Den Klimawandel sieht sie ebenfalls als soziales Problem: „Auch hier geht es um Gerechtigkeit. Von den globalen Umweltkatastrophen, die nun auch in Europa angekommen sind, sind vor allem die Armen dieser Welt betroffen, obwohl sie am wenigsten zu diesen Entwicklungen beitragen und einen verhältnismäßig geringen ökologischen Fußabdruck hinterlassen“, so die 69-Jährige. Dann kommt sie auf den Flächenverbrauch in Deutschland im Allgemeinen und auf das Gewerbegebiet Lerchenäcker in Backnang im Besonderen zu sprechen. „Hier haben die Gemeinderäte in Backnang und Oppenweiler versagt. Wir können nicht ständig neue Gewerbegebiete ausweisen. Die Konkurrenz der Kommunen untereinander ist falsch“, meint die gebürtige Dortmunderin.
Apropos Dortmund – von Heimweh dorthin hört man von ihr nichts. „Aber ab und zu vermisse ich Berlin“, bekennt Keles. Doch werde sie dann jedes Mal von der Landschaft rund um Backnang getröstet. Besonders die Gegend von Althütte Richtung Schwäbisch Gmünd liebt sie sehr. Auch der von ihr gewählte Treffpunkt für das Pressegespräch ist sehr lauschig und grün. Am Landschaftserlebnispfad „sÄpple“ am Ortsrand von Allmersbach im Tal inmitten von Obstbäumen ist der Startpunkt, von wo aus Keles gerne ihre Spaziergänge oder Radfahrten beginnt, wenn es der Terminplan zulässt. Naturgenuss ist ihr wichtig. Auch und besonders „in den Nischen des Alltags“, wie sie es ausdrückt. Sie ist bekennende Frühaufsteherin. Das Kochen übernimmt zumeist ihr Mann, ein gebürtiger Türke. „Er kocht gut, gerne und oft“, sagt sie. Oft kredenzt er denn auch türkische Gerichte. Die italienische und französische Küche mögen sie beide auch sehr. Die Literatur hat einen großen Stellenwert im Leben von Annette Keles. Früher hat sie Gedichte verfasst. Sie hat auch schon einen Roman geschrieben. Er handelt von dem Zusammenleben eines Paares unterschiedlicher kultureller Herkunft. Einen zweiten Roman hat sie in Arbeit. Darin behandelt sie das Mutter-Tochter-Verhältnis und neue Formen des sozialen Zusammenseins. Keles interessiert sich sehr für die russische Kultur und Geschichte, lernt auch gerade die Sprache: „Die Historie des russischen Volkes, dessen Versuch, sich zu befreien und neue gesellschaftliche Wege zu gehen, fasziniert mich sehr.“ Auch ihre musikalische Vorliebe gilt den russischen Komponisten wie Rachmaninow und Schostakowitsch. Besonders bewundert sie die Erzähler, die Russland hervorgebracht hat. Bei den Namen wie Dostojewski, Gogol, Gorki und Tolstoi strahlen ihre Augen: „Das waren unglaubliche Köpfe. Auch Ballett und Sport in Russland haben einen hohen Stellenwert“, sagt sie.
Zu Sowjetzeiten war sie einmal dort, hat Moskau besucht, war in den Provinzen Taschkent und Samara und hat sich Tiflis angesehen. Nun würde sie gerne noch Städte wie Petersburg sehen und eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn machen. Aber der Wahlkampf für die Linke hat erst einmal Vorrang.
„Wir können nicht ständig neue Gewerbegebiete ausweisen. Die Konkurrenz der Kommunen ist falsch.“ Annette Keles (Die Linke),zum Thema Flächenverbrauch in der Region
Herkunft 1952 wurde Annette Keles in Dortmund geboren.
Ausbildung Nach dem Abitur verbrachte sie mehrere Monate in Frankreich. 1972 nahm sie das Studium in den Fächern Soziologie, Psychologie und Jura an der Freien Universität Berlin auf und schloss mit Diplom ab. Ihre Promotion erfolgte an der Universität Jena.
Karriere Keles arbeitete als Fortbildungsbeauftragte am Hahn-Meiner-Institut für Kernforschung in Berlin. Zudem absolvierte sie eine Ausbildung an der Technischen Fachhochschule Berlin in Software-Engineering (Zertifikat). Sie war anschließend als Trainerin für Computersprachen und Programmierung von Datenbanken in einem Projekt des Berliner Senats tätig. 1988 erfolgte der Umzug mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter von Berlin nach Baden-Württemberg. Hier war sie als freiberufliche Trainerin für Computersprachen und Programmierung von Datenbanken bei ANT Nachrichtentechnik Backnang, Siemens AG und Bosch GmbH tätig. 2000 gründete sie mit ihrem Mann die Firma Optimum Technology GmbH, deren geschäftsführende Gesellschafterin sie seit 2001 bis heute ist. Seit 2009 arbeitet sie zudem als Dozentin für Soziologie und Sozialpolitik an der Dualen Hochschule für Sozialwesen in Stuttgart.
Bundestagswahl Im Oktober 2020 wurde Keles zur Kandidatin der Linken für den Landtag Baden-Württemberg nominiert. Im Mai 2021 erfolgte die Nominierung als Linke-Kandidatin für den Bundestag.