Das Kulturquartier ist Motor und Magnet
Hochkarätige Kultureinrichtungen prägen Stuttgart – aber Stadt und Land verspielen die Chancen
2,8 Millionen Einwohner zählt die Metropolregion Stuttgart. Sie zeichnet sich durch selbstbewusste Städte und Gemeinden aus. Geprägt aber wird sie durch die Landeshauptstadt und deren Strahlkraft. Damit beginnen die Probleme. Der mit zahllosen technologischen Innovationen verbundene herausragende Wissenschaftsstandort? Ist ebenso wenig Thema wie Stuttgart als Seriensieger in der Rangliste der deutschen Kulturmetropolen.
Jede tragfähige Identität droht in den buchstäblichen Verkehrslawinen und der Debatte über die unterstellte oder tatsächliche Luftqualität unterzugehen. Mehr und mehr geraten so die eigenen Schätze aus dem Blick. Dabei bietet allein die Mitte der Landeshauptstadt eine weithin einmalige Lage: Wie sonst nirgendwo in Deutschland finden sich im Zentrum der Landeshauptstadt in einem Geviert von kaum mehr als 1,5 Quadratkilometern hochkarätige Kultureinrichtungen.
Höchste Qualität verbindet sich hier – und längst ist der richtige Begriff geprägt: Kulturquartier Stuttgart. Der Weg führt von den Staatsgalerie-Bauten über die Musikhochschule und das Haus der Geschichte weiter zum Hauptstaatsarchiv und zur Landesbibliothek, schwenkt mit dem Stadtpalais und dem benachbarten Institut für Auslandsbeziehungen Richtung Schlossplatz zum Landesmuseum Württemberg und zum Kunstmuseum Stuttgart. Dann über die in alle Film-Festivals eingebundenen Kinos der Mertz-Gruppe in der Bolzstraße zum Kunstgebäude Stuttgart und schließlich über das Staatstheater-Areal mit Opernhaus und Schauspielhaus zurück zur Staatsgalerie.
Das Kulturquartier verbindet Gegensätze, wagt Zeitsprünge, provoziert und versöhnt. Wo aber ist das Bekenntnis von Stadt und Land zu diesem einmaligen Ganzen? Nur zu gerne pocht die Politik gegenüber Kultureinrichtungen auf das schöne Wort Zusammenarbeit. Warum aber machen umgekehrt Stadt und Land den realen Mehrwert des Kulturquartier-Ganzen nicht zum Ausgangspunkt eines übergreifenden Ganzen – von der Wegeführung über den Markenauftritt bis hin zu gegenseitigen Ticketvergünstigungen für Tagesbesucher?
„Aufbruch Kulturquartier“ ist nun eine Initiative des Vereins Aufbruch Stuttgart betitelt. Von besonderen Qualitäten und Chancen ist die Rede. Und doch droht zugleich eine Verkürzung der Diskussion. Weit weniger als um die Realität Kulturquartier geht es um eine griffige Zuspitzung: nein zur geplanten Generalsanierung der Oper. Stattdessen: Neubau einer „dritten Spielstätte“.
Schreckenszahlen sind aufgerufen: „800 Millionen Euro“ für die Generalsanierung des Opernhauses, „mehr als 100 Millionen Euro“ für den Bau einer mindestens auf fünf Jahre angelegten temporären Bühne für Oper und Ballett und Flächen für die Staatstheater-Werkstätten.
Man müsse in Stuttgart endlich groß denken, ist der Verein Aufbruch Stuttgart überzeugt. Wer aber den „Aufbruch Kulturquartier“ propagiert, kann damit kaum zuvorderst einen Theaterneubau meinen. Kulturquartier heißt, Kraft aus der Vielzahl der Positionen zu schöpfen, heißt, in die Durchwegung selbstbewusst und selbstverständlich wiederholt ebenerdig die Noch-Stadtautobahn B 14 einzubinden.
Kulturquartier heißt, Raumbeziehungen ernst zu nehmen, Fragestellungen für andere Geflechte der Stadt zu entwickeln, statt wie aktuell in Stuttgart-West das Lineal anzulegen. Das Kulturquartier ist Motor, Magnet und Aufforderung.
nikolai.forstbauer@stuttgarter-nachrichten.de