Das verschobene Müll-Problem

Wie deutsche Plastikabfälle die Umwelt in Südostasien gefährden

Aus dem Gelben Sack nach Malaysia: Deutschland gilt international als Recyclingvorreiter – dabei landen viele Tonnen Kunststoffmüll jedes Jahr im Ausland. Das Geschäft mit altem Plastik ist höchst lukrativ.

Kuala Lumpur Die Razzia ist inszeniert. Als die malaysischen Polizisten das Gelände stürmen und die dunkelgraue Glastür des Büros einschlagen, ist in der illegalen Recyclinganlage niemand anwesend. In der Fa­brikhalle im Industriegebiet des Örtchens Rasa, rund 55 Kilometer nördlich von Kuala Lumpur, ist an diesem Vormittag keine Maschine in Betrieb. Die Plastikschredder und die Schmelzanlagen stehen still.

Wären da nicht die Politiker, Reporter und Polizisten, würde man draußen wahrscheinlich die Vögel zwitschern hören. Stattdessen klicken Kameras, beantwortet Ng Sze Han, auf den sich die Objektive richten, abwechselnd auf Englisch und Malaysisch die Fragen der Journalisten. Der Lokalpolitiker aus dem Bundesstaat Selangor hat die Presse an diesem Morgen geladen, um die Schließung zweier Fabriken, die ohne Lizenz Plastikmüll verarbeiten, zu begleiten. Doch die Razzien sind nicht mehr als eine medienwirksame Show.

Im grellen Licht der Mittagssonne geht Ng Sze Han an demPlastikmüllentlang, der sich neben der Fabrikhalle stapelt. An einem der Ballen aus gepresstem Plastik bleibt er stehen. Vorsichtig zieht er eine zerdrückte PET-Flasche heraus. „Gut & Günstig“ ist darauf zu lesen. „Das ist nicht nur ein Pro­blem Malaysias“, sagt er und deutet auf die Flasche. Um ihn herum liegentonnenweise Kunststoffabfälle aus Deutschland, den USA und Australien. „Das ist ein globales Problem.“ Malaysia, betont er, sei keine Müllkippe: „Die westlichen Länder sollen ihren Abfall zurücknehmen.“

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Zum1. Januar 2018 stoppte Peking die Einfuhrjedoch weitgehend. Seither wird der Müll in erster Linie nach Südostasien verschifft. In Niedriglohnländern wie Vietnam, Thailand und Malaysia müssen Recyclingfirmen Arbeitern nicht viel dafür bezahlen, die Abfallberge von Hand zu sortieren. So können sie mit der Weiterverarbeitung der Abfälle noch viel Geld verdienen.

Allein Malaysia, das inzwischen zum größten Abnehmer für Plastikabfälle geworden ist, importierte nach UN-Angaben im vergangenen Jahr mehr als 680 000 Tonnen Altplastik, rund 100 000 davon aus Deutschland. 2017 war die Gesamtmenge des importierten Kunststoffs nur etwa halb so groß.

Allerdings profitiert das Land, das bereits mit dem eigenen Müll zu kämpfen hat, nur bedingt von den gestiegenen Importzahlen: Der chinesischen Plastikmüll-Organisation CSPA zufolge haben im vergangenen Jahr mehr als 1000 chinesische Recyclingunternehmen ihre Tätigkeit nach Südostasien verlagert, inklusive der Ausrüstung und Lieferketten. Sie weigern sich offenbar, das lukrative Geschäft mit dem alten Plastik einfach anderen zu überlassen.

Viele betreiben ihre Sortier- und Aufbereitungsanlagen auch dann, wenn sie keine Lizenz des malaysischen Umweltministeriums erhalten. Die Regierung kommt kaum hinterher, illegale Recyclinghöfe und Mülldeponien zu schließen, auf denen nicht mehr verwendbare Plastikreste verbrannt werden, im Freien oder in verlassenen Gebäuden verrotten. 2018 haben die Behörden mehr als 110 Fabriken stillgelegt.

Eine von ihnen befindet sich in Jenjarom, einem Distrikt rund 50 Kilometer südwestlich von Kuala Lumpur. Auf einer Lichtung neben einer Schotterstraße voller Schlaglöcher türmen sich zerfledderte Tüten und Verpackungen zwischen denÖlpalmen.„Vor drei Monaten sah es hier noch ganz anders aus. Das sind nur zehn Prozent des ursprünglichen Mülls“, sagt Heng Kiah Chun, als er den Plastikberg hinaufsteigt. Seine gelben Gummistiefel sinken bei jedem Schritt tief in den Abfall ein.

Der Greenpeace-Aktivist hat den Skandal um den illegal entsorgten Plastikmüll aus dem Ausland im vergangenen Jahr mit aufgedeckt. An diesem Tag ist er nach Jenjarom gekommen, um mit seinem deutschen Kollegen Manfred Santen Filmaufnahmen zu machen. Santen muss nicht lang nach deutschem Abfall suchen. Auf dem Boden liegt der Deckel einer Dose Philadelphia, ein Stück weiter ein Kartoffelnetz der Marke Ackergold, daneben eine leere Capri-Sonne. „Kirsche“. Die Abfälle stammen offensichtlich aus dem deutschen Hausmüll. Doch auch viele Reste aus der Verpackungsindus­trie seien darunter, sagt der Chemiker.

An Santens Schläfen glänzen Schweißperlen. Es ist sehr heiß an diesem Nachmittag. Trotzdem riecht der Müll fast gar nicht. Der Platzregen, der in der Woche zuvor fast täglich um 16.30 Uhr über den Großraum Kuala Lumpur niedergegangen ist, hat die Tüten,PET-Flaschenund Dosen abgespült. Wie es mit dem Abfall nun aber weitergehen soll, weiß keiner so genau. „Eigentlich sollte er nach der Schließung der Anlage fachgerecht entsorgt werden“, sagt Chun. Doch seither sind Monate vergangen. Für den letzten Berg der Deponie fühlt sich anscheinend niemand mehr zuständig.

Nachdem sie die Szenen auf dem Plastikberg gedreht haben, gehen Santen und Chun weiter in die leer stehende Fabrikhalle neben der Lichtung. Hier wurden die Kunststoffabfälle sortiert, zerkleinert und eingeschmolzen. Die giftigen Dämpfe wurden ohne Filteranlage in die Luft entlassen. „Nachts hat es oft gebrannt“, sagt Chun.

Das hatte Folgen: Immer mehr Anwohner bekamen Atemwegsprobleme, Asthma oder Husten. Einige hatten auch mit Fieber, Kopfweh und Übelkeit zu kämpfen, erzählt Pua Lay Peng, die in Jenjarom zu Hause ist. „Unsere Gemeinde leidet bis heute unter den gesundheitlichen Folgen dieser Plastikverbrennungen. Viele haben noch immer Atembeschwerden, außerdem steigt die Zahl derjenigen, die an Krebs erkrankt sind.“

Zusammen mit anderen gründete Peng Anfang 2018 eine Bürgerinitiative. Doch die lokalen Behörden wie auch das Umweltministerium ignorierten ihre Beschwerden. Deshalb fingen die Mitglieder der Kuala Langat Environmental Protection Association an, selbst zu recherchieren, Fotos und Videos von den Müllanlagen in ihrer Nachbarschaft zu machen.

Bis August 2018 entdeckten sie mehr als 40 Recyclingfabriken, die meisten ohne Lizenz. „Viele waren auf Ackerland gebaut, manche sogar in Wohngebieten“, sagt Peng. „Ihre giftigen Abwässer haben sie oft in die umliegenden Flüsse abgeleitet – obwohl Chemikalien wie Chrom darin waren.“ Ihre Empörung kann die Chemieingenieurin nicht zurückhalten. Die Regierung, sagt sie, sei vollkommen überfordert von den Problemen, welche die Plastikimporte verursachen. Sie könnte recht haben. Von den 54 Unternehmen, die im vergangenen Jahr über eine Recyclinglizenz des Umweltministeriums verfügten und diese aktiv nutzten, hielten sich nach offiziellen Untersuchungen nur acht an die Bestimmungen.

Ein weitaus größeres Problem stellen nach wie vor jedoch die illegalen Fabriken dar. In dieser Hinsicht seien die Behörden wie Feuerwehrmänner, gibt auch der Minister für Stadtentwicklung, Ng Sze Han, bei der Razzia in Rasa zu: „Sobald wir einen Brand gelöscht haben, flammt anderswo das nächste Feuer auf.“

Im Oktober 2018 verkündete die Regierung zwar einen vorläufigen Importstopp für Plastikabfälle. Von 2021 an sollte das Verbot dauerhaft gelten. Kurz darauf wurde das Vorhaben aber wieder verworfen. Sie wolle das 30-Milliarden-Ringgit-Geschäft mit dem importierten Plastikmüll nicht verlieren, begründete die zuständige Ministerin Zuraida Kamaruddin einem Bericht der „News Straits Times“ zufolge die Entscheidung. 30 Milliarden Ringgit sind immerhin rund 6,4 Milliarden Euro. „Wenn wir es gut machen, ist das ein gutes Einkommen für das Land.“

Umweltaktivistin Pua Lay Peng ist anderer Meinung. Lobbygruppen hätten die Regierung dazu gebracht, ihre Richtung wieder zu ändern, sagt sie. „Das Plastikmüllgeschäft ist schwer zu kontrollieren, verschmutzt die Umwelt und macht die Menschen krank. Wir Malaysier verlieren dabei nur.“

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Erstellt:
23. März 2019, 03:04 Uhr

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