Dem Rosensteinquartier droht ein Fiasko
Können auf den durch Stuttgart 21 frei werdenden Gleisflächen 5000 neue Wohnungen entstehen oder nicht? Das Bundesverkehrsministerium bestätigt nun, dass aufgrund einer Gesetzesänderung viele Projekte gefährdet sein dürften – ohne das Rosensteinviertel explizit zu nennen.
Von Christian Milankovic
Stuttgart - Das geplante Rosensteinviertel in Stuttgart mit seinen rund 5000 Wohnungen steht auf der Kippe, seit die Ampelkoalition in Berlin durch eine Gesetzesänderung die sogenannte Freistellung von Bahnflächen erschwert hat. Sie ist Voraussetzung dafür, dass nicht mehr benötigte Bahnareale einer anderen Verwendung zugeführt werden können. Über entsprechende Anträge entscheidet das Eisenbahn-Bundesamt (Eba), das seit der Gesetzesnovelle keinen Ermessensspielraum mehr sieht – und bekommt in dieser Haltung Rückendeckung vom Bundesverkehrsministerium.
Auf Anfrage des Reutlinger Bundestagsabgeordneten Michael Donth, Verkehrspolitiker der CDU, schreibt Michael Theurer (FDP), Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium (BMDV) und Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, das Ministerium teile „die Rechtsauffassung des Eba, dass sich der Bahnbetriebszweck in der Abwägung gegenüber anderen öffentlichen Belangen regelmäßig durchsetzen wird, soweit diesen nicht zumindest ein – gesetzlich – gleichwertiger Rang zugesprochen wird. Dies wäre beim Wohnungsbau tatsächlich nicht der Fall.“
Die Stadt hatte Ende 2011 die durch den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs frei werdenden Gleisflächen für umgerechnet 459 Millionen Euro gekauft. Im Rosensteinquartier könnten nach Fertigstellung von Stuttgart 21 perspektivisch auf einer Fläche von 85 Hektar 5000 neue Wohnungen dort entstehen, wo heute Züge rollen. Für den dringend benötigten Wohnungsbau würden keine Äcker und Wiesen planiert. Es wurden bereits umfangreiche Pläne erstellt, es gab unterschiedliche Formate der Bürgerbeteiligung, zuletzt rief die Stadt zu einem internationalen Ideenwettbewerb auf. Doch nun also durchkreuzt das Berliner Regierungsbündnis mit einer Änderung des Paragrafen 23 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) die Städtebaustrategie der Landeshauptstadt.
Die Verschärfung der Freistellungspraxis gehe auf den „ausdrücklichen Willen der Koalitionsfraktionen“ zurück, „dass eine Entwidmung von Bahnflächen nur noch in begründeten Ausnahmefällen zulässig sein soll“. Dass das für zahlreiche Vorhaben in Deutschland gravierende Folgen haben wird, stellt Theurer nicht in Abrede. Es könne „auch nach hiesiger Einschätzung durchaus zu Härten führen“. Konkret zu einzelnen Projekten wie etwa den Stuttgarter Plänen für das Rosensteinviertel, das auf durch Stuttgart 21 frei werdenden Gleisflächen realisiert werden soll, will Theurer sich „mangels Zuständigkeit“ nicht äußern.
Das Ministerium prüfe aber, ob eine Übergangsregelung für noch nicht entschiedene Freistellungsanträge denkbar ist, die noch vor der Gesetzesänderung eingereicht wurden. Stuttgart brächte das nichts, denn die Landeshauptstadt hat den entsprechenden Antrag noch nicht gestellt.
Michael Donth ist alarmiert: „Die Antwort des BMDV zeigt deutlich, wie unüberlegt die Ampelkoalition das Allgemeine Eisenbahngesetz Ende 2023 geändert hat.“ Die Unionsfraktion habe aus guten Gründen das Gesetz damals abgelehnt. „Es könnte sich jetzt sogar als eine handfeste Bremse von Projekten aller Art entpuppen.“ Denn nicht nur Stuttgart werde kalt erwischt. „Auch viele andere Städte und Kommunen, Wohnungsbau- und Radwegeprojekte sind davon betroffen.“ Vom Ministerium erwartet er, dass es schleunigst handelt. „Die vorliegende Antwort ist definitiv zu wenig und lässt nichts Gutes für Stuttgart erahnen. Es wäre das absolute Fiasko, wenn das Rosensteinquartier an der Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes scheitert. Damit wäre im Übrigen niemandem geholfen – vor allem nicht der Schiene“, sagt Donth.
Die Gesetzesänderung hatte zuletzt eine mitunter erbittert geführte Debatte ausgelöst. Die Stadt sieht sich in ihrer Planungshoheit beschnitten, Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) warf den Berliner Koalitionären vor, „mehrheitlich in einem Zustand kollektiver legislativer Verirrung“ agiert zu haben. Gerade in Zeiten größter Wohnungsnot mute das Ganze wie ein Treppenwitz der Gesetzgebungsgeschichte an, sagte er vor einiger Zeit unserer Zeitung.
Kritik kam auch aus der Baubranche. Das Stadtentwicklungsprojekt Rosenstein sei eine Riesenchance, die nicht verspielt werden dürfe, sagte jüngst Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg.
Stuttgart-21-Gegner hingegen begrüßten die Änderung und warnten unlängst vor einer Aufweichung. Es dürfe keine „Lex Stuttgart 21“ geben. „Wir haben in Stuttgart 21 schon immer vor allem ein Immobilienprojekt gesehen, bei dem ein funktionierender Bahnhof kein Kriterium war. Jetzt dreht das neue AEG den Spieß um und macht – zu Recht – den Schienenverkehr zur obersten Priorität“, sagte Martin Poguntke, der Sprecher des Aktionsbündnisses.