Populismus
Demokratieforscher: „Autokraten gehen zuerst an die Justiz“
Der Politikprofessor Aurel Croissant sieht Gefahren für westliche Demokratien – nicht nur im Rechtspopulismus, sondern auch in der Macht von Medien-Oligarchen wie Elon Musk.
Von Christoph Link
Am kommenden Montag wird Donald Trump erneut als US-Präsident vereidigt. Seine Rückkehr ins Weiße Haus, sein Zusammenspiel mit den Superreichen in den USA und Autokraten andernorts analysiert der Demokratieforscher Aurel Croissant.
Professor Croissant, Donald Trump ist für seine anti-demokratischen Tendenzen bekannt und berüchtigt, hat die US-Demokratie genug Widerstandskraft, um weitere vier Trump-Jahre zu überstehen?
Es gibt Gründe dafür, mit Pessimismus auf die USA zu schauen. Die Ausgangslage ist eine andere als bei Trumps erstem Amtsbeginn im Januar 2017. In den vergangenen acht Jahren ist die Erosion der demokratischen Institutionen in den USA weiter fortgeschritten, die Polarisierung der Gesellschaft hat sich vertieft. Entscheidend ist aber, dass es in Trumps eigener Partei kaum noch potenzielle Veto-Akteure gibt, die ihn zähmen könnten. Wir wissen aus der Demokratieforschung, dass es gegen antidemokratische Bestrebungen den Widerstand aus den politischen Parteien bedarf, es braucht loyale Demokraten. Nehmen wir Liz Cheney, eine Republikanerin, die Trump die Stirn geboten hat, dafür ihre eigene Karriere aufs Spiel setzte und verlor. Sie stellte ihre Loyalität zur Demokratie über den Erhalt ihrer Macht. Leute wie sie fehlen jetzt.
Ein neues Phänomen begleitet das Comeback von Trump, das Erscheinen von Medien-Oligarchen wie Elon Musk, die mit ihm verbündet sind und Einfluss nehmen auf die Politik. Ist das eine Gefahr für die Demokratie?
Die Verknüpfung von Reichtum und Konzentration von Medienmacht ist hochproblematisch. Wir kennen die Oligarchen aus Russland, die einen Pakt mit dem Teufel eingingen, und, wenn sie Putin politisch nicht folgten, im Gefängnis endeten oder aus dem fünften Stock fielen. Aber es gibt auch Oligarchen in anderen Ländern, siehe Ungarn, die Türkei, Thailand, Indien und jetzt in den USA. Elon Musk hat wegen seines unglaublichen Reichtums eine andere Qualität. Trump hat ihm den Zugang zur Macht gewährt, was ihm die Möglichkeit eröffnet, den US-Staat zu unterwandern oder ihn sich dienstbar zu machen. Die Medienkonzentration findet heute in den sozialen Medien statt. Das ist eine Herausforderung, vielleicht eine Gefahr für die Demokratie.
Von Ungarn über Südkorea in die USA: Erleben wir weltweit ein Zurückdrängen der Demokratien?
Wir erleben im Moment einen Rollback. Die globale Ausbreitung der Demokratie vollzieht sich wie eine Springprozession, zwei Schritte nach vorne, einen zurück. Samuel Huntington sprach von einer Wellenbewegung. Wir sehen jetzt eine Gegenbewegung. Gleichwohl ist das Demokratieniveau heute weiterhin weit höher als in der Vergangenheit: Wenn Sie die Rechte von Frauen heute in Deutschland sehen und sie vergleichen mit denen der Adenauer-Demokratie vor 60 Jahren: Generell war die Adenauer-Zeit sicher näher an Viktor Orban als wir heute in der Berliner Republik. Ähnlich gut verankert sind beispielsweise Rechte von sexuellen Minderheiten in Italien – trotz Meloni – oder die Rechte von ethnischen Minderheiten im Süden der USA – trotz Trump. Ein Wort noch zu Südkorea. Wir sahen dort eine Krise mit der Verhängung des Kriegsrechts. Aber der Präsident hat nach sechs Stunden aufgegeben. Bei der vorletzten Verhängung des Kriegsrechts in Südkorea – das war 1980 – sind Hunderte massakriert worden, das sind doch qualitative Unterschiede von damals zu heute.
Mit Trump an der Macht – sehen Sie die Gefahr einer Achse von Autokraten aus Washington, Moskau und Peking, die zusammenarbeiten oder sich die Welt aufteilen?
Nein, für eine Achse der Autokraten sind die Interessengegensätze zu groß. Es gibt in Trumps Reden imperialistische Anwandlungen, aber manches mag eher Ausdruck der mangelnden Impulskontrolle sein und weniger politisches Programm. Die EU wird aufpassen müssen, dass sie nicht zum Spielball wird. Sie hat die politische und wirtschaftliche Kraft dazu, als demokratische Union ein Gegengewicht zu setzen. Aber die Mitgliedsstaaten müssen es auch wollen.
Aber in Europa sind auch die Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Höhlen die nicht auch die Demokratien aus?
Man muss die Länder unterscheiden, in jene, in denen die Rechtspopulisten alleine an der Regierung sind oder diese dominieren, wie in Ungarn. Und jene Staaten, in denen sie der kleinere Koalitionspartner sind wie in einigen nordischen Ländern. Rechtspopulisten beeinflussen Politik in einer Richtung, die man ablehnen kann oder auch nicht, aber sie sind deshalb noch nicht undemokratisch. Wo sie die alleinige Regierungsmacht inne haben, können sie die Demokratie gefährden, das fällt ihnen in präsidialen Systemen wie Brasilien oder USA leichter, kann aber auch in parlamentarischen Systemen wie Ungarn oder Indien passieren. Um ein Wort Hemingways aus „Fiesta“ zu zitieren, der seine Figur Mike erklären lässt, wie er Bankrott gegangen sei: Erst allmählich und dann plötzlich. So stirbt auch die Demokratie. Orban hat Jahre gebraucht, um die Demokratie auszuhöhlen. Auch die PIS-Partei in Polen wollte Staat und Demokratie umbauen, ist dann aber abgewählt worden. Es wird sich noch zeigen, wie resilient Polens Demokratie ist.
Was gehört zur Resilienz einer Demokratie?
Wohlhabende Demokratien, die umgeben sind von anderen wohlhabenden Demokratien, sind am stabilsten. Aber eine Garantie gibt es nie. Je höher der Demokratiestock einer Gesellschaft ist, also die Dauer von Erfahrungen mit demokratischen Institutionen, desto besser. Weitere Faktoren sind eine starke, unabhängige Justiz, und es verwundert nicht, dass Autokraten wie Bolsonaro, Orban, Trump oder Erdogan zuerst versuchen die Justiz zu schleifen. Wichtig ist auch eine gesellschaftlich breite Zustimmung zur Demokratieform, eine starke Zivilgesellschaft und eine politische Gemeinschaft, in der ein hohes Maß an Zusammenhalt und zwischenmenschlichem Vertrauen besteht, was wir auch während der Pandemie gesehen haben. Nochmal zur Zustimmung zur Demokratie: Sie ist in Deutschland hoch, trotz der Unzufriedenheit mit den politischen Parteien. Ich kenne übrigens keine Demokratie, in denen Parteien nicht unbeliebt sind, am beliebtesten ist meistens das Militär, vielleicht, weil die Menschen im Alltag kaum oder wenig mit ihm zu tun haben. Bürger in Demokratien äußern sich unzufrieden über das Funktionieren der Demokratie, vermutlich auch deshalb, weil sie kritischer sind als Bürger in Autokratien. Allerdings kann die Unzufriedenheit mit Parteien auch Umschlagen in eine Ablehnung der Demokratie. Das ist bei uns aber noch lange nicht der Fall.
Experte für Demokratie
ProfessorAurel Croissant (55) ist Professor für Politikwissenschaft in Heidelberg und auf die vergleichende Demokratisierungs- und Autokratienforschung spezialisiert. Ein Forschungsschwerpunkt ist auch Südostasien.
Autor Mit dem in Brüssel lehrenden Luca Tomini hat er das Grundlagenwerk „The Routledge Handbook of Autocratization“ herausgegeben. (chl)