Der Arbeit süße Früchte
Ein Jahr im Weinberg (8): Redakteurin Silke Latzel darf endlich ihre Trauben lesen – und hat dabei viel Spaß
Seit Januar kümmert sich Redakteurin Silke Latzel schon um ihren Weinberg, jetzt steht der Höhepunkt der Saison an: Die Lese. Und obwohl es zu Beginn noch ziemlich kalt und die Arbeit anstrengend ist, wird der Tag für sie ein unvergessliches Ereignis, das ihr viel Spaß bereitet. Und das trotz eines kleinen, blutigen Zwischenfalls.
Von Silke Latzel
ASPACH. „Weil es so viel Arbeit ist, sind manche Leute der Ansicht, dass die Lese etwas ganz Schreckliches für uns Wengerter ist“, sagt Günther Ferber, Vorsitzender der Weingärtnergenossenschaft Aspach, zu mir. „Aber das stimmt nicht. Es ist die schönste Zeit im Jahr.“ Ich verstehe sofort, was mein Weinberglehrer meint. Zwar ist es erst 8.30 Uhr – für normale Arbeitnehmer schon ziemlich spät, für eine Tageszeitungsredakteurin aber durchaus „früh“ – und es sind auch nur knapp sieben Grad Celsius. Aber: Heute wird gelesen. Endlich! Endlich darf ich die Rebschere auspacken und meine Trauben ernten, für die ich seit Januar regelmäßig in den Weinberg gekommen bin und die ich mit großer Sorgfalt gepflegt habe.
Lese von Hand ist aufwendig, bringt aber einige Vorteile
Klar, Mutter Natur hat natürlich die meiste Arbeit gemacht und ich hab ihr nur ein bisschen geholfen. Aber die Tatsache, dass alles so geklappt hat, wie es vorgesehen war, und dass ich die wunderschönen, saftigen Beeren jetzt abschneiden darf, freut mich wirklich sehr. „Esst ruhig auch fleißig“, ruft Ferber mir und den anderen Helfern lachend zu. Insgesamt sind wir an diesem Freitagmorgen zu zehnt. Neben Ferbers Familie – drei Generationen! – und meinem Mann haben sich noch Gäste des Sonnenhofs zu uns gesellt. Und die vielen helfenden Hände sind auch nötig. Denn eigentlich wollten wir nur Regent lesen – und zwar Ferbers kompletten, nicht nur meine eine Reihe, na klar. Logistisch wäre das ja auch sonst unsinnig. Der Wetterbericht hat uns aber einen Strich durch die Rechnung gemacht – für die kommenden Tage ist Regen angesagt. Also muss der Schwarzriesling auch gleich mit runter. Und das, obwohl Ferber ihn eigentlich gerne noch länger hätte hängen lassen wollen. „Das Problem ist einfach, dass die Trauben, wenn es mal länger als ein paar Stunden regnet, nicht mehr richtig trocken werden. Und wenn wir sie dann lesen und verarbeiten, dann ist der Saft verwässert.“
Arbeiten wir zu Beginn des Tages noch mit Jacke und Pulli, wird es uns allen ziemlich schnell ziemlich warm. Anstrengend ist das Herbsten – obwohl wir uns den Weinberg meistens nach unten arbeiten. Aber es ist ja nicht gerade eben und geht teilweise ganz schön in die Oberschenkel. Aber es macht auch unglaublich viel Spaß. Eimer um Eimer füllen wir, während Ferber und sein Sohn Daniel oft zwischen den Reihen hin und her springen und unsere vollen Eimer gegen leere austauschen, die geernteten Trauben zu einem kleinen Traktor bringen, der immer in unserer Nähe steht. Dort geht es für die Trauben in einen größeren Behälter. Ist dieser voll, wird er nach unten gefahren, dort wartet schon der große Traktor mit Anhänger, auf den die Trauben geladen und dann am Ende des Tages zur Kelter gefahren werden.
Die Lese von Hand ist aufwendig, keine Frage. Doch Ferber erklärt die Vorteile: „Die ganzen Insekten, die auf den Trauben sitzen – Marienkäfer, Ohrenkneifer und Ähnliches – und die quasi von uns mitgeerntet werden, haben viel Zeit, einfach wieder aus den Eimern oder aus den großen Zubern zu klettern und zu fliegen. Das ist bei der maschinellen Lese nicht möglich.“ Ein weiterer Vorteil: Wir schauen alle Trauben, die wir ernten, an, bevor wir sie abschneiden. Noch unreife lassen wir hängen, kaputte ebenfalls. Doch die Beeren in meinem Weinberg sind einwandfrei. In den Regent-Reihen schneiden wir direkt alle ab. Sie sind reif und, bis auf ein paar, die von Insekten angefressen sind, in tadellosem Zustand. Beim Schwarzriesling müssen wir ein bisschen genauer schauen, manche dürfen noch etwas hängen bleiben. Allerdings betrifft das nur die wenigsten.
„Jetzt arbeiten wir schon zwei Stunden und noch keiner hat sich verletzt, das ist echt klasse“, sagt mein Weinberglehrer und lacht. Und er hat recht: Vor allem, wenn man zu zweit in einer Reihe arbeitet und sich gegenübersteht, muss man schon ziemlich aufpassen, dass man sich nicht gegenseitig mit der Rebschere erwischt. Doch das passiert nicht. Dafür bringe ich das Kunststück fertig, mir selbst in den Ringfinger der linken Hand zu schneiden. Und die Schere ist scharf. Sehr scharf. Es dauert nur Sekunden und das Blut rinnt mir übers Handgelenk, tropft auf die Hose und die Schuhe. Doch ich werde fachmännisch verarztet, das Pflaster hält einwandfrei und Schmerzen habe ich auch keine – weiter geht es also. „Jetzt gehörst du wirklich dazu“, sagt Ferber tröstend, „jeder von uns hat sich schon mal so geschnitten.“
Arbeit an der frischen Luft macht hungrig
Technisch wird es an diesem Tag natürlich auch etwas und ich darf zeigen, was ich im vergangenen Jahr gelernt habe, als ich Weinprofi Ferber das erste Mal bei der Lese besucht habe – damals allerdings nur als Berichterstatterin. Er drückt mir das Refraktometer in die Hand, ich halte es gegen den Himmel und versuche, etwas anderes zu erkennen als meine Wimpern, die mir im Weg sind. Ein bisschen hin- und herruckeln und es klappt. Ich messe: 104 Grad Oechsle der Regent, 108 der Schwarzriesling. Hervorragend, fast sogar schon grenzwertig. „Das ist ein ganz schmaler Grat zwischen Aroma und Alkoholgehalt“, erklärt Ferber. „Je süßer die Beeren, desto mehr Alkohol hat später der Wein. Und Wein mit 14 Prozent Alkohol, das möchte eigentlich keiner.“
Die Zeit vergeht wie im Flug. Und plötzlich heißt es: „Mittagspause“. Trifft sich gut, wir sind sowieso fast fertig. Familie Ferber ist bestens ausgerüstet, die Biertischgarnitur wird schnell aufgebaut, Günthers Frau Silke und seine Mutter Beate decken den Tisch. Wie hungrig die Arbeit an der frischen Luft mich gemacht hat, hatte ich bis dahin gar nicht realisiert. Aber Brot, Kuchen und Neuer Wein schmecken gleich doppelt so gut.