Der Atomwolke auf der Spur

Das Bundesamt für Strahlenschutz übt erstmals im Südwesten mit Helikoptern den Atomalarm

Radioaktivität - Auch im benachbarten Ausland stehen noch viele Atommeiler: Was bei einem ernsthaften Störfall zu tun wäre, haben Bundesbehörden jetzt in Baden-Württemberg zwei Tage lang erprobt.

Neckarwestheim/Böblingen Im Dachgeschoss der Bundespolizei in der ehemaligen Wildermuth-Kaserne von Böblingen kommt am Mittwochmorgen Krisenstimmung auf: „Wann kommt der Einsatzbefehl?“, wird gerufen und: „Haben wir Kontakt zum Messeinsatzzentrum? Ich hätte jetzt gerne ein Lagebild!“ Ein Team von Hubschrauberpiloten der Fliegerstaffel Blumberg (Brandenburg) tagt gemeinsam mit Experten des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS).

Ein Dutzend Menschen drängt sich da mit Laptops, einer hängt an einem alten Tastentelefon, alles muss zügig gehen, es wird improvisiert, der Übungsalarm soll nach realistischen Bedingungen erfolgen. Angenommen worden ist, dass am Vortag um 15 Uhr ein radioaktiver Gasaustritt am Atomkraftwerk Neckarwestheim erfolgte. Das zuständige Umweltministerium in Stuttgart – so die Annahme – hat das in Berlin ansässige Bundesamt für Strahlenschutz um Hilfe gebeten. Und das hat zunächst mal rasch einen Standort für sein mobiles Krisenteam finden müssen – die Polizei in Böblingen sagte unbürokratisch Ja, stellte die Räumlichkeiten.

Erst seit Januar ist das BfS für Alarmübungen zuständig – und nimmt den Job offenbar ziemlich ernst. Um eine Flugbereitschaft zusammenzustellen, sind für den Übungsalarm binnen Stunden zwei Helikopter vom Typ Ec 135 mit Reisegeschwindigkeit 230 aus Berlin und Bonn eingeflogen – das sei „alles eine teure Sache“, heißt es, aber beziffern wollen die Verantwortlichen sie nicht: Die Last sei verteilt auf viele Schultern, unter anderem auf das Bundesumwelt- und -innenministerium.

„Wir müssen im Ernstfall ein radiologisches Lagebild erstellen, nicht nur am Boden, sondern auch in der Luft“, sagt Christopher Strobl, Teamleiter beim BfS. Welche Stoffe schweben in der Luft, in welcher Konzentration? Auf einer Leinwand unter dem Dach wird bereits eine atomare Wolke simuliert, die sich rund um das Akw Neckarwestheim gebildet hat und nach Westen driftet. Daten vom Boden und aktuelle Wetterdaten werden in Prognosen eingerechnet, ein Messnetzzentrum in Freiburg und die BfS-Filiale in München-Neuherberg sind Datengeber und Einsatzkoordinator für das Krisenteam. Es soll nah am Unglücksort sein, müsste aber weiterziehen, falls die „Wolke“ sich auf seinen Standort zubewegen würde. „Die Behörden brauchen eine Basis für Entscheidungen“, sagt Strobl: „Welche Maßnahmen müssen sie ergreifen und wo?“ Dazu gehören das Evakuieren, das Verteilen von Jodtabletten an die Bevölkerung sowie die Aufforderung, die Häuser nicht zu verlassen.

Aber ist eine solche Übung nicht etwas spät? Das letzte Atomkraftwerk wird in Deutschland am 31. Dezember 2022 abgeschaltet, auch der Reaktorblock Neckarwestheim II wird dann vom Netz gehen. Christopher Strobl weist darauf hin, dass es „um uns herum noch viele Atomkraftwerke gibt“. Er nennt keine Namen, aber sowohl in Belgien als auch in Frankreich stehen noch Atommeiler, die auch aus deutscher Behördensicht wegen ihrer Störanfälligkeit längst abgeschaltet sein sollten. Dicht an der Grenze zum Südbadischen ist das relativ junge Schweizer Atomkraftwerk Leibstadt in Betrieb, dessen Wiederanfahren nach langer Pannenpause im Februar 2017 von Umweltminister Franz Untersteller als „nicht sicherheitsorientiert“ bezeichnet wurde.

Auf dem Hof der Kaserne checken die Piloten ihre Hubschrauber, die Messtechniker vom BfS stellen ihre Geräte ein – ein Germanium-Detektor in der Luke des Hubschraubers sowie vier Natriumjodid-Detektoren. Abgeflogen wird ein 100 mal 100 Kilometer großes Gebiet, in einer Höhe von 90 bis 100 Meter. Ständig wird die Strahlenbelastung geprüft. „Bei einer Dosis von 25 Mikrosievert pro Stunde kehren wir sofort um“, sagt Strobl. Die Crew darf nicht gefährdet werden. Die Helikopter heben ab Richtung Neckarwestheim, die Übung beginnt.

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Erstellt:
28. Februar 2019, 05:06 Uhr

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