Ingmar Krimmer aus Untermünkheim

Der besondere Bäcker

Der 37-jährige Ingmar Krimmer mischt von Untermünkheim bei Schwäbisch Hall aus eine Branche auf, die in der Krise steckt. Was macht er anders als die Konkurrenz?

Ingmar Krimmers Tag beginnt morgens um drei und endet abends um neun.

© Martin Tschepe

Ingmar Krimmers Tag beginnt morgens um drei und endet abends um neun.

Von Martin Tschepe

Ein grauer, kalter Tag in Untermünkheim. Punkt elf Uhr. Vor Krimmers Backstub’ direkt an der Bundesstraße 19, die mitten durch den kleinen Ort bei Schwäbisch Hall führt, warten ein paar Kunden geduldig auf Einlass. Der Verkaufsraum ist nämlich proppenvoll. Wer den einen oder anderen Einkäufer fragt, weshalb er ausgerechnet in diesen Bäckerladen jwd kommt, erhält Antworten wie diese: Der Chef Ingmar Krimmer und sein Team würden ganz besonderes Sauerteigbrot herstellen. Die Brezeln seien top, die süßen Stückle ein Gedicht. Ein Mann sagt: „Der beste Bäcker weit und breit.“

Ingmar Krimmer, 37 Jahre, arbeitet an Tagen wie diesem seit drei Uhr in der Backstube. Ein regulärer Acht-Stunden-Arbeitstag wäre gegen elf Uhr also eigentlich bereits rum. Der Vater von drei Kindern indes sitzt nun in seinem Büro in einer Etage über dem Laden, in dem dienstags bis samstags jede Menge Backwaren über die Theke gehen. Der Bäckermeister nimmt sich von elf bis kurz vor 13 Uhr Zeit für Telefonate und sonstige geschäftliche Erledigungen. Dann wartet ein unverrückbarer privater Termin: das Mittagessen mit der Familie. Die Gattin Tanja leitet den Verkauf im Bäckerladen. Die Kinder sind vier, neun und elf Jahre alt.

Der Bäcker des Jahres 2024

Bäcker des Jahres 2024 – im vorigen Herbst wurde Ingmar Krimmer dieser Titel verliehen, ein Prädikat, für das man sich nicht bewerben kann. Mit Blick auf die Auszeichnung, die Jahr für Jahr nur ein einziger Bäcker in ganz Deutschland von der „Allgemeinen Bäcker Zeitung“ bekommt, erklärt der Preisträger: Er sei sicherlich nicht der beste Bäcker Deutschlands. Die Jury vergebe den Preis auch wegen des Gesamtkonzepts des gekürten Unternehmers. Krimmer weiß freilich: Er ist sicherlich einer der besten Bäcker der Republik. Und darauf kann der Mann, der in einer Pfarrerfamilie mit neun Geschwistern aufwuchs, auch stolz sein.

Der Familienbetrieb in Untermünkheim ist ein klassischer Dorfbäcker – mit nur einer Backstube und nur einer Filiale. Der Betrieb ist aber gleichwohl Vorbild für die gesamte Branche, weil Krimmer und sein Team immer wieder neue Wege beschreiten. Ingmar Krimmer rüttelt am leicht verstaubten Image des Bäckerhandwerks. Er hat „Das große Hohenloher Backbuch“ verfasst, das rund 8000-mal verkauft wurde. Er hat zusammen mit einem Kumpel rund hundert Podcast-Folgen produziert, in denen es immer auch um sein Handwerk geht. Er schreibt einen Blog, der auf seiner Webseite zu finden ist, und alle zwei Wochen die Kolumne „Krimmers Auszeit“ für das „Haller Tagblatt“. Krimmer ist ein neugieriger Mensch. Immer auf Achse. Immer im Gespräch.

Krimmer kommt 1987 in Stuttgart zur Welt und verbringt seine ersten zehn Jahre in Weinstadt-Großheppach im Remstal, später besucht er in Gaildorf die Realschule. Die Großfamilie folgt immer dem Vater, der als Gemeindepfarrer arbeitet.

Wieso wird ein Kind aus so einer Familie ausgerechnet Bäcker? Naheliegender wäre vielleicht ein Studium gewesen. Vielleicht Theologie. Oder Pädagogik. Bei zehn Kindern, erzählt Ingmar Krimmer an diesem Wintertag in Untermünkheim, habe er damals in Großheppach wohl „aus der Masse rausstechen“ wollen. Von klein auf habe er der Mutter in der Küche geholfen – und das hat ihm womöglich ein bisschen mehr Aufmerksamkeit eingebracht als seinen Brüdern. Schnell habe er damals bemerkt, dass ihm das Backen ganz besonders viel Spaß macht. „Der Werdegang zum Bäckermeister war aber keineswegs vorgezeichnet“, sagt Krimmer. Zumal er früher nie ein Frühaufsteher gewesen sei. „Die Faszination, mit meinen Händen etwas zu schaffen“ habe ihn aber bereits als Kind gepackt.

Nach dem Schulabschluss will der Teenager dann doch lieber Heilerziehungspfleger lernen, Olaf, einer der Brüder, ist mit dem Down-Syndrom auf die Welt gekommen. Heute arbeitet Olaf übrigens mit in der Backstube. Nach dem Schulabschluss ist Ingmar Krimmer 16, zwei Jahre zu jung für den Heilerziehungspfleger-Beruf. Also macht er sein Hobby zum Beruf.

Bäcker auf Kreta

Nach seiner Lehre beim Backhaus Gräter in Rosengarten macht Ingmar Krimmer den Meister und den Betriebswirt, wird Produktionsleiter bei Gräter – und er lernt die Tanja kennen, sie hat Bäckerin gelernt.

2010 gehen die beiden nach Kreta, arbeiten bei einem Bäcker in Heraklion. Doch das Heimweh sei „brutal gewesen“, erzählt Krimmer. Also geht’s nach einem Jahr wieder zurück ins Ländle. Nach zwei weiteren Stationen beim Bäcker Baier in Herrenberg und bei der Bäckerei Schlötter in Kirchberg an der Jagst übernehmen Ingmar und Tanja Krimmer 2014 die Dorfbäckerei Hille in Untermünkheim, die seit rund 250 Jahren in sechster Generation von einer Familie geführt wurde. Der kleine Betrieb hat damals gut eine Handvoll Mitarbeiter. Heute beschäftigen die Krimmers etwa drei Dutzend.

2014 erklärten viele Freunde und Bekannte: Der Ingmar sei wohl verrückt geworden. Landauf, landab schließen Jahr für Jahr mehrere hundert Bäckereien. Einen Bäckerladen in der Provinz übernehmen? Was für eine irre Idee! Damals gibt es bundesweit noch etwa 12 000 Bäckereien, heute nur noch etwa 9000.

Das Ehepaar Krimmer aber gibt mächtig Gas, und es geht Schlag auf Schlag: Im ersten Jahr der Selbstständigkeit wird Ingmar Krimmer in die ZDF-Sendung „Deutschlands bester Bäcker“ eingeladen. Er fliegt zwar in der ersten Runde aus dem Wettbewerb raus, wird aber dennoch überregional bekannt. 2016 folgt die Auszeichnung „Top Gründer des Handwerks“, 2017 die Auszeichnung mit dem KfW-Award Baden-Württemberg – die Bankengruppe prämiert mit diesem Preis erfolgreiche Gründer. 2021 erhalten Tanja und Ingmar Krimmer die Auszeichnung „Marktkieker“ des Fachmagazins Back Journal. Die Jury nennt die Krimmers „Mutmacher für Existenzgründer“. Das Ehepaar habe in einem kleinen Ort „eine leicht angestaubte Bäckerei“ übernommen und daraus in wenigen Jahren „einen Leuchtturm für die Branche“ gemacht.

Vor ein paar Monaten dann quasi der Ritterschlag: Bäcker des Jahres. Hat Ingmar Krimmers ein Geheimrezept? Er wolle ganz bewusst keine Filialen eröffnen, denn es sei dann unmöglich „unsere hohe Qualität zu halten“, antwortet er. Der Betrieb ist sonntags und montags geschlossen, das sei familienfreundlicher – die Kunden können seit Neuestem an einem sogenannten Markständer einkaufen, rund um die Uhr. Der Betrieb setzt für die Produktion auf regionale Zutaten, die fast ausnahmslos bei Bio-Erzeugern eingekauft werden. Ingmar Krimmer sagt: „Uns geht es um das beste Produkt, nicht um Gewinnmaximierung und Wachstum um jeden Preis.“ Trotzdem habe sich der Umsatz seit 2014 verfünffacht – auf zuletzt rund zwei Millionen Euro im Jahr.

Schokolade ist im Moment zu teuer

Kürzlich, erzählt der Meisterbäcker, sei ein Bundestagsabgeordneter bei ihm in der Backstube gewesen. Der Politiker habe sich gewundert, „dass ich nicht jammere“. Er und die Familie könnten gut leben vom Einkommen. Klar gebe es Probleme, die steigenden Personalkosten zum Beispiel. Und manche Rohstoffe seien schlicht zu teuer, etwa Schokolade. Deshalb gibt in Krimmers Backstub’ bis auf weiteres keine Schokofrüchte.

13 Uhr, das Mittagessen mit der Familie. Anschließend legt sich Ingmar Krimmer für knapp zwei Stündchen hin. Dann schaut er noch mal in der Backstube vorbei. Gegen 21 Uhr, erzählt der Bäcker, sei zumeist Schluss, ab ins Bett. „Sozial kompatibel“ sei sein Lebenswandel nicht wirklich, aber schön. Das Multitalent findet trotz der vielen Arbeitsstunden Zeit für Sport. Immer, wenn es irgendwie in den Tagesablauf passt, schnürt der Bäckermeister seine Joggingschuhe. Den Marathon in Hamburg im Frühjahr 2024 hat er in vier Stunden gefinisht.

Auch beruflich gibt er weiterhin Gas. Für die nächsten Jahre ist der Umzug seines Betriebs in einen Neubau geplant. Die alte Backstube sei schlicht zu verwinkelt und deshalb eigentlich ungeeignet für die extrem gewachsene Produktionsmenge, sagt Ingmar Krimmer. Ein passendes Grundstück hat er bereits gefunden, nur ein paar hundert Meter entfernt von dem Altbau, ebenfalls direkt an der Bundesstraße 19 in Untermünkheim. Bei einem größeren Verkaufsraum müssten die Kunden dann vielleicht nicht mehr draußen in der Kälte stehen und warten, bis sie das Sauerteigbrot des ausgezeichneten Bäckers bekommen.

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Erstellt:
4. März 2025, 20:13 Uhr

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