Prozess um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe um Prinz Reuß
„Mit Panzerfäusten sollte in Häuser geschossen werden“
Im Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe um Prinz Reuß sagt Ralf S. aus, er habe nur Menschen nach einer Katastrophe helfen wollen – mit Kampfpanzer und Außerirdischen.
Von Franz Feyder
20 Kisten Kartoffeln, Nudeln, Eingemachtes, Dosenwurst hatte Ralf S. für die große Katastrophe eingelagert. Der Tag X konnte kommen, der für viele Menschen dem Weltuntergang gleich kam. Zumindest der Welt, die heute die Menschen kennen. Immer wieder war dem Dachdeckermeister aus Horb am Neckar dieses Chaos vorhergesagt worden. Konkrete Daten genannt worden, von dem an Menschen plündernd und massakrierend durch die Straßen ziehen würden, Banken kein Geld mehr auszahlen und Krankenhäuser niemanden mehr behandeln würden. Letztmalig sollte das am 24. September 2022 passieren. Ralf S. grübelte noch stärker, als schon in den Wochen zuvor. Und andere mit ihm.
So schildert es der 58-jährige seit jetzt sieben Tagen im Saal 1 der Außenstelle des Stuttgarter Oberlandesgerichtes in Stammheim: helles Holz, dicke Glasscheiben zwischen den drei Teilräumen, die die neun Angeklagten, Richter, Bundesanwälte, Verteidiger und Zuhörer voneinander trennen. Seit dem 29. April an jetzt 30. Verhandlungstagen machen sich die drei Richterinnen und beiden Richter des 3. Strafsenats montags und mittwochs ein Bild von dem, was der Generalbundesanwalt (GBA) als Hochverrat angeklagt hat.
Dazu habe eine Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß eine Terrorgruppe gebildet. Deren Ziel: Die Bundesregierung stürzen und sie durch ein eigenes, in den Grundzügen bereits ausgearbeitetes System zu ersetzen. In Frankfurt, München und Stuttgart sind parallel 26 Frauen und Männer dessen angeklagt – in der deutschen Rechtsgeschichte gab es so etwas noch nicht. Die neun Männer in Stuttgart sollen der militärische Arm der mutmaßlichen Umstürzler gewesen sein – mitten unter ihnen Dachdeckermeister Ralf S.
Und der Pforzheimer Marco van H. Der, so erzählt S., habe am 23. September noch gesagt, dass die „‚Allianz‘ jetzt übernimmt und ausmistet“. Gemeinsam wollte man den Weltuntergang bei einem „Familientreffen“ in Neustetten bei Rottenburg am Neckar erleben. Hier hatte die Gruppe einen Gefechtsstand errichtet: Lagekarten an der Wand, Bildschirme und Laptops auf Biertischen.
Eine Allianz samt Außerirdischer soll den „tiefen Staat“ vernichten
Und mehr als ein Dutzend Menschen, die fest überzeugt waren, dass die „Allianz“ – eine Widerstandsbewegung – den geheimen Machtapparat samt Bundesregierung ausschalten würde: Politiker, Geschäftsleute und Journalisten, die angeblich die Gesellschaft manipulieren und kontrollieren. Den „tiefen Staat“, den „Deep State“. Ihn soll die „Allianz“ bekämpfen, ein internationaler Zusammenschluss von Menschen in Militär, Geheimdiensten, Regierungen. Der designierte US-Präsident Donald Trump soll so ein Allianzler sein, dazu die Präsidenten Wladimir Putin in Russland und Jinping Xi in China, aber auch der saudische Herrscher Mohammed bin Salman. Es gibt es keine Beweise dafür, dass diese „Allianz“ existiert. Dem Glauben an ihr hängen Tausende an – auch in Deutschland.
Und haben höchst unterschiedliche Bilder davon: So sollen sogenannte „Dumps“ existieren, unterirdische Anlagen, in den Kinder gefangen gehalten werden. Von Prominenten sexuell missbraucht, die zudem das Blut der Gemarterten trinken, um jünger zu bleiben. Unterschiedlich ist auch das Bild von ihren Alliierten: „Galaktische“, Verbündete würden in am Tag X den Erdlingen mit überlegener Technologie zur Hilfe eilen, um Seite an Seite mit Militärs aus der ganzen Welt, den sogenannten „erdgebundenen Einsatzkräften“, den „tiefen Staat zu zerschlagen“: Der in Frankfurt angeklagte, frühere Bundeswehr-Leutnant Peter W. soll, so der GBA, gesagt haben, die „Allianz“ besäße „bereits alle Namen von führenden Polizeikräften und Staatsanwälten“: „Dreck unter dem Fingernagel“, der „mit der Nagelfeile weggemacht“ werde. So sollten die Menschen befreit werden.
Ralf S. belastet sehr stark Mitangeklagte
Der von Ralf S. in seiner Einlassung stark belastete Marco van H. soll einem anderen Angeklagten nach angekündigt haben, Politiker „vor Gericht zu stellen und sie im Falle ihrer Verurteilung auch zu exekutieren“. S. sagte in einer Vernehmung am 14. März 2014 aus, die Gruppe habe geplant, Verantwortliche der gegenwärtigen Regierung „ihrer gerechten Strafe“ zuzuführen und „je nach Urteil“ zu töten.
In der Gruppe um Prinz Reuß verfing dieser Glaube beim früheren Bundeswehroberst Maximilian Eder, der einmal den Stab des Kommandos Spezialkräfte (KSK) kommandierte, ohne je selbst zu einem Elitesoldat ausgebildet worden zu sein. Rüdiger von Pescatore gehörte dazu. Ein unehrenhaft aus der Bundeswehr geworfener Ex-Oberstleutnant. Seine Führungsaufgabe: Er löste das einmal in Calw stationierte Fallschirmjägerbataillon 251 auf. Wegen krummer Waffengeschäfte wurde er zu zwei Haft auf Bewährung verurteilt und zog die Uniform aus. 165 voll funktionsfähige Waffen der damaligen Nationalen Volksarmee der DDR soll er beiseitegeschafft haben, sie wurden nie gefunden. Gerüchte besagen, dass sie irgendwo um die Schwarzwaldstadt herum versteckt sind. Immer wieder durchsucht die Polizei deswegen Scheunen, Waldstücke und Streuobstwiesen in der Region.
Kein ausgebildeter KSK-Soldat – aber viele, die es sein wollten
Auch Leutnant Peter W. gehört zu den Militärs: Fallschirmjäger, Führer eines Infanteriezuges, Mitarbeiter von Pescatores und für drei Jahre auch im Stab des KSK. Wie Eder wurde er nie zum Kommandosoldaten ausgebildet. W., ist zusammen mit Eder und von Pescatore in Frankfurt angeklagt. Er soll, so die Anklage, auch ein Anhänger der Foltertunnel-Theorie gewesen sein. Hinter Namen von Ärzten und Krankenschwestern habe er notierte: „Sie brachte Babys“, „Sie hat gefoltert und getötet und war in den Tunnels auch dabei“, „Die Kinder waren angebunden. An jedem Kind hing ein Preis“.
Marco van H. will gar in diesen Tunneln selbst gekämpft haben, um gefangen gehaltene Kinder zu befreien: Marco van H., ein Metallbauer und verurteilter Betrüger, der nur seinen Grundwehrdienst leistete. Sich aber als Oberleutnant des KSK ausgab und den innerhalb der mutmaßlichen Vereinigung um Prinz Reuß Decknamen „Marco KSK“ wählte. Van H. war nie Angehöriger des KSK. In beschlagnahmten Dokumenten wird van H. ausdrücklich als „Verbindungsoffizier ALLIANZ“ geführt, der Prinz Reuß und seiner mutmaßlichen Führungsriege zur „geopolitischen/militärischen Lage“ vortrug.
Während der Corona-Zeit stieß Ralf S. zu der Gruppe um Prinz Reuß
Während der strikten Corona-Regeln hatte sich auch Ralf S. mit den Theorien um einen „Deep State“ angefreundet. Er habe am „Tag X“ Menschen helfen wollen, betont er immer wieder in seiner Einlassung. „Die Leut‘ sollten medizinisch versorgt werden und was zu essen bekommen.“ Die frühere Horber Kaserne sollte als Anlaufpunkt dafür dienen. Er habe seine Friseurin und „mit den Bäckern gesprochen“, dass die den Menschen dann helfen.“
Dazu, sagt S., spannte von Pescatore als militärischer Anführer derer um Prinz Reuß, ein Netz sogenannter Heimatschutzkompanien über Deutschlands Landkreise; für Freudenstadt und Tübingen die mit der Nummer 221 mit Sitz in Horb – unter dem Kommando des ungedienten Ralf S.. Von dort aus wollte der aber auch darauf achten, dass „es nicht zu Plünderungen kam und die Menschen geschützt würden“.
Mit Panzerfäusten und Kampfpanzern gegen Plünderer
Dafür seien der Kompanie Infanteriezüge zugeordnet worden. Der frühere Stabsunteroffizier Matthias H. machte sich Gedanken, wie die auszurüsten gewesen wären. Er räumte inzwischen ein, alles aufgelistet zu haben, was gebraucht wurde. S. milderte die umfangreiche Liste ein wenig ab und leitete sie am 17. August 2022 um 7.16 Uhr an van H. weiter: „Guten Morgen Marco, hier die Bestellliste für Horb, Gruß Ralf“.
Panzerfäuste, „mit denen sollte in Häuser geschossen werden, wenn Plünderer drin waren“. 200 Sturmgewehre vom Typ G-36 samt 200 000 Schuss Munition, Fennek-Spähpanzer, gepanzerte Transporter Dingo und Boxer, Jeeps. Vier Luftlandepanzer von Typ Wiesel, bewaffnet mit einer 20 Millimeter starken Bordmaschinenkanone oder Panzerabwehrlenkraketen. Leopard-Kampfpanzer. „Der H. war unberechenbar“, „der wollte Krieg spielen“, tut S. heute das Matthias H. belastend ab. Der grinst bei dieser Aussage, schüttelt unentwegt mit dem Kopf.
Auch andere Dienstgrade waren für die neuen deutschen Streitkräfte vorgesehen: So taucht in Präsentationen der „Unterfeldwebel“ für den heutigen Stabsunteroffizier auf. Die Bezeichnung für den zweit niedrigsten Unteroffiziersrang wurde in Deutschland in der Reichswehr der Weimarer Republik und in der Wehrmacht des 3. Reiches verwendet. In den Streitkräften der Kaiserzeit bis 1918 war der Unterfeldwebel ein Vizefeldwebel.
Zweifel an den beiden selbst ernannten Topmilitärs
Seine Kompanie wäre jedoch, sagt S., „nur mit einem Schreiben von der ‚Allianz‘ eingesetzt worden“. Ohne diesen wohl am „Tag X“ von Marco van H. übermittelten Befehl „hätten wir nichts gemacht“. Zu einer Zeit, als S. zusammen mit seinem Mitangeklagten Freund Markus H. offenbar bei von Pescatore und Marco van H. in Ungnade fiel: „Wir fragten zu viel nach“ – und hatten einen Brief zu den „Geschehnissen rund um Marco van H.“ für Prinz Reuß verfasst. Drei Seiten Ungereimtheiten und Zweifel an den beiden selbst ernannten Top-Militärs der neuen Ordnung: Der gefeuerte Oberstleutnant von Pescatore spielte sich zum Befehlshaber neuer deutscher Streitkräfte auf.
Es entsteht der Eindruck, S. erinnere sich gerade an Vorgänge nicht mehr, die seinen Kumpel Markus H. belasten würden. Oder ihn selbst. S. und Landmaschinenmechaniker Markus H. seien daran interessiert gewesen, in der neuen Ordnung Militärrichter zu werden – wirft ihnen die Anklage vor. In einem drei wöchigen Selbststudium paukten die beiden das, was das ganze Leben von Juristen auch stets lernend ausfüllt: Völkerrecht, Kriegsvölker-, Besatzungs- und Strafrecht. Unter der Anleitung Marco van H.s wie Telefonüberwachungen nahe legen: In einem kündigte van H. an, er frage die beiden ab.
Das Duo soll im Juni 2022 eine Verschwiegenheitserklärurng zur „Reaktivierung Deutschlands“ verfasst haben, nach der – so soll es van H. angewiesen haben - jeder Unterzeichner mit dem Tod bestraft würde, der über die Gruppe und ihre Pläne öffentlich redete. S. schrieb am 21. Juli 2022 eine Nachricht, dass nach der Übernahme der Macht alle Schuldigen vors Kriegsgericht kämen: „Dort werde ich einer sein, der dasitzt.“
„Es war mir zu keiner Zeit bewusst, ich würde etwas Schlechtes machen“
Noch am 10. Oktober 2022 um 14:16 Uhr kündigte S. in einer Nachricht an van H. an, er werde einen ,,Zwangsverwalter“ des Amtsgerichts festnehmen. „Es war mir zu keiner Zeit bewusst, ich würde etwas Schlechtes machen“, sagt S. heute. „Das leuchtet mir nicht ganz ein“, antwortet der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen schlagfertig: „Sie haben sich schon ganz anders eingelassen.“