Europäische Union

Der Green Deal wird auf den Prüfstand gestellt

Unternehmen stöhnen unter den Umweltauflagen aus Brüssel. Durch die Europawahl haben sich die Kräfteverhältnisse in der EU verschoben, was Auswirkungen auf die Klimapolitik haben wird.

Kohlekraftwerk oder Windkraft, das ist hier die Frage.

© Julian Stratenschulte/dpa/Julian Stratenschulte

Kohlekraftwerk oder Windkraft, das ist hier die Frage.

Von Knut Krohn

In Brüssel herrscht aufgeregte Geschäftigkeit. In den Tagen nach der Europawahl werden Erfolge gefeiert, Wunden geleckt und vor allem auch zahlreiche Posten und Aufgaben verteilt. Über Sachpolitik wird erst später gesprochen, allerdings gilt eines bereits als sicher: der Green Deal, das zentrale politische Projekt der Europäischen Union, wird vom neuen Parlament deutlich abgeschwächt werden.

Widerstand aus den eigenen Reihen für von der Leyen

Das ist eine bittere Niederlage für Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin hat ihr „Herzensprojekt“, für das sie fast fünf Jahre lang gekämpft hat, für den eigenen Machterhalt geopfert. Ihr Ziel ist es, erneut zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt zu werden, da stand der von ihr vorangetriebene Green Deal, der ehrgeizige Umbau Europas zu einem klimaneutralen Kontinent, schlicht im Weg. Zu groß war der Widerstand nicht nur aus den EU-Mitgliedstaaten, sondern auch aus ihrer eigenen, konservativen Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP).

Schon in den Monaten vor der Europawahl begann die EU-Kommission mit der Demontage des Green Deal. Sichtlich beeindruckt von den wütenden Protesten der Bauern auf Europas Straßen wischte Ursula von der Leyen einen Gesetzentwurf für eine drastische Reduktion des Pestizideinsatzes kurzerhand vom Tisch, nachdem ihre Europäische Volkspartei (EVP) das Gesetz mit den Stimmen der Rechtsaußen-Fraktionen im Europaparlament gekippt hatte. Ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, durch das Bauernverbände ebenfalls Einschränkungen befürchten, steht weiter auf der Kippe.

Umweltauflagen für die Agrarhilfen werden für Ärger sorgen

Eines der größten Vorhaben der nächsten EU-Kommission wird die anstehende Neuauflage der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU, aus der jährlich Milliardensubventionen an die Landwirtschaft fließen. Für Streit werden die Umweltauflagen für die Hilfen sorgen, von denen einige als Reaktion auf die Bauernproteste bereits ausgesetzt wurden. Die konservative EVP will diese Auflagen weiter vereinfachen, die Grünen hingegen wollen die GAP stärker auf den Klimaschutz ausrichten. Da vor allem die in Europa federführenden deutschen Grünen bei der Europawahl von den Wählern dramatisch abgestraft wurden, dürfte der weitere Verhandlungsverlauf vorgezeichnet sein.

Hoffnung regt sich nach der Europawahl auch bei der Industrie, dass einige Umweltauflagen, die im Green Deal bisher festgeschrieben sind, nun wieder gekippt werden. Zum Symbol wurde in diesem Zusammenhang das sogenannte Verbrenner-Verbot ab 2035. Angesichts der Verschiebung der Mehrheiten scheint es wahrscheinlich, dass auch dieses Vorhaben deutlich abgeschwächt wird. Das wäre rechtlich ziemlich einfach möglich, da das Gesetz eine Revisionsklausel enthält, die eine Überprüfung der Pläne im Jahr 2026 vorsieht – und auf der von der Leyen im Wahlkampf wiederholt beharrte.

Der Green Deal soll nicht völlig auf Eis gelegt werden

Am Tag nach der Wahl meldeten sich auch verschiedene Industrieverbände zu Wort. Angetrieben werden sie, nach eigenen Aussagen, von der Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Die sei etwa durch hohe Energiepreise und zu viele Vorgaben aus Brüssel zurückgegangen. „Das neu gewählte Europaparlament muss sich in den kommenden Jahren vor allem für einen attraktiveren Wirtschaftsstandort einsetzen“, forderte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammer, am Montag. Ziel der künftigen EU-Politik müsse es vor allem sein, „Kosten zu reduzieren, Verfahren zu beschleunigen und die Bürokratie zurückzufahren“.

In dasselbe Horn stößt Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. „Das neue EU-Parlament muss Ökologie und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen besser ausbalancieren“, sagte sie am Montag und verlangt eine Konzentration auf „wichtige wirtschaftspolitische Themen“ wie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes oder den Bürokratieabbau.

Natürlich verlangt niemand, den Green Deal völlig auf Eis zu legen, zumal die europäische Wirtschaft bereits Milliardensummen in den klimaneutralen Umbau der Unternehmen gesteckt hat. Auch gilt die Umwelttechnik als aussichtsreicher Zukunftsmarkt, von dem vor allem hoch technisierte Industrieländer wie Deutschland profitieren können.

Zum Artikel

Erstellt:
10. Juni 2024, 15:52 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen