Existenzkrise einer Partei

Der Linken fehlt ein Christian Lindner

Die Linke muss sich neue Vorsitzende suchen. Dass die Partei ihre Existenzkrise überwindet, ist derzeit unwahrscheinlich. Dafür gibt es drei Gründe, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Tobias Peter.

Die Partei „Die Linke“ braucht bald neue Vorsitzende.

© dpa/Kay Nietfeld

Die Partei „Die Linke“ braucht bald neue Vorsitzende.

Von Tobias Peter

Linken-Chefs ergeht es wie den meisten Kandidaten im RTL-Dschungelcamp. Sie müssen Streit ertragen können und immer damit rechnen, Opfer von Lästereien oder Intrigen zu werden. Der Job bringt, wenn man so will, Herausforderungen mit sich, die zumindest zartbesaitete Gemüter als eklig empfinden könnten. Irgendwann wird man dann abgewählt. Es sei denn, man nimmt sich vorher selbst aus dem Spiel.

Janine Wissler und Martin Schirdewan tun das jetzt. Die beiden Vorsitzenden treten beim Parteitag im Oktober nicht erneut an. Dass sie das so kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ankündigen, ist ein Zeichen dafür, dass sie auch intern unter Beschuss waren. Dass jetzt der Eindruck des Dauerstreits in der Linken einmal mehr bestätigt wird, hilft den Wahlkämpfern nicht. Andererseits: Wirklich bekannt sind Schirdewan und Wissler bundesweit ohnehin nie gewesen.

Keine Überlebensgarantie

Die Lage der Linken ist verheerend. Nicht einmal drei Prozent der Stimmen hat die Partei noch bei der Europawahl erreicht. In Sachsen und Brandenburg könnte sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. In Thüringen gilt der einzige Ministerpräsident der Partei, Bodo Ramelow, als so gut wie abgewählt. Sahra Wagenknecht und ihre neue Partei könnten der Linken tatsächlich den Todesstoß versetzen.

Ein Blick nach Europa zeigt: Wenn Menschen ihre Wahlentscheidungen immer kurzfristiger und wechselhafter treffen, gibt es keine Überlebensgarantie für Parteien. Auch deshalb kämpft die FDP mit immer schrilleren Vorschlägen um ihr Dasein. Doch momentan ist es vor allem die Linke, der das Wasser bis zur Nasenspitze steht. Dafür gibt es drei wesentliche Gründe – auch jenseits der Frage, ob der Kurs Sahra Wagenknechts eine ökonomisch linke Agenda mit einer restriktiven Politik gegenüber Geflüchteten zu verbinden, Erfolg versprechender als die reine linke Lehre ist. Diese politische Marktlücke besetzt jetzt ohnehin Wagenknecht.

Erstens hat die Linke sich den Wählern jahrelang als Organisation präsentiert, die sich mehr für den Streit untereinander interessiert als dafür, etwas im Leben der Menschen zu verbessern. Der Austritt Wagenknechts hätte zumindest in dieser Hinsicht eine Chance sein können. Doch die Linke streitet munter weiter.

Die Oppositionsfalle

Zweitens trauen die meisten Menschen der Linken nicht zu, wichtige politische Probleme zu lösen. Die Menschen glauben nicht, dass die Linke die Partei sein wird, der es gelingt, den Wandel hin zu einer stärker klimagerechten Politik sozial abzufedern. Sie erleben die Linke schon lange als Partei, die viel fordert, aber nichts durchsetzt. Das ist die Falle, wenn eine Partei – bis auf einige Ausnahmen in den Ländern – sich in Daueropposition befindet.

Aber fehlt nicht auch Wagenknecht, der Hauptkonkurrentin der Linken, die Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, Dinge in Regierungsverantwortung tatsächlich zu verändern? Definitiv. Aber ihr Bündnis hat den Reiz des Neuen. Und: Wenn es um bloßen Populismus geht, beherrscht Wagenknecht das Spiel besser – und betreibt es hemmungsloser.

Drittens kommt es in einer Gesellschaft, in der die Parteibindung abnimmt, gerade für kleine Parteien darauf an, mit charismatischen Personen an der Spitze Menschen an sich zu binden. Wagenknecht hat die Linke gequält und gespalten, aber sie hat die Partei auch in der Öffentlichkeit gehalten. Die FDP wird vermutlich auch dank Christian Lindner die nächste Bundestagswahl überleben. Der Linken fehlt jemand, der Wähler rein über die eigene Person binden könnte. Das könnte ihr Ende bedeuten.

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Erstellt:
19. August 2024, 18:30 Uhr

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