Manfred Berteles Speisekartenmuseum am Bodensee

Der Mann, der für Grace von Monaco und Ladi Di kochte

Er verköstigte Bill Clinton mit Seesaibling, die Queen mit Wachteln. Manfred Bertele war als Koch, dann als Manager auf der ganzen Welt unterwegs – und sammelte dabei Speisekarten. Am Bodensee hat er damit ein Museum eingerichtet.

Manfred Bertele in seinem Museum

© Robin Szuttor

Manfred Bertele in seinem Museum

Von Robin Szuttor

In München hatte Manfred Bertele einmal Grace von Monaco und Fürst Rainier zu Gast. Es gab Mandelkartoffeln und Rehrücken mit Wacholderbeersoße. In Montreal servierte er Queen Elizabeth und Pierre Trudeau gefüllte Wachteln. Prinz Charles und Lady Di bewirtete er in New Brunswick mit einem Hummer-Tomaten-Mosaik. Ob solche Leute abends auch mal einfach nur vespern? Weizenmischbrot mit Lyoner oder einer Scheibe Leerdammer?

Bertele, 85, war Koch und Gastro-Manager auf internationaler Bühne. Seit er denken kann, wollte er raus aus seinem kleinen Eriskirch und die ganze Welt sehen. Er hat sie gesehen. Vor 30 Jahren kam er als Ruheständler zurück an den Bodensee.

Mit der karierten Bundfaltenhose, dem Feinstrickpulli über weißem Hemd, den eleganten Socken in sportlichen Sneakers würde er gut in jeden Golfklub passen. Bertele ist an diesem Vormittag auf dem Weg in sein Speisekartenmuseum. Im Lauf seiner Karriere hatte er Tausende davon gesammelt, in Kisten aufbewahrt, irgendwann alles sortiert und reduziert, bis am Ende 3000 Stück übrig blieben. Etwa 200 davon zeigt er im Museum. Hier, so könnte man sagen, ist sein Leben, verdichtet auf drei kleine Zimmer.

Schon als Bub beint Manfred Schweinekeulen aus

Manfred Bertele wird groß im Eriskircher Gasthof Adler. Der Vater hält Pferde, Hühner, Enten, Schweine. Auf seinen Feldern wächst alles – Obst, Hopfen, Kohl, Spargel. Im großen Backofen wird der hauseigene Weizen zu Brot gemacht. „Keine Karotte oder Tomate, die wir je dazugekauft hätten“, erzählt Bertele. Wenn frühmorgens der Schlachter auf den Hof kommt, beint Manfred die Keulen aus. „Mein Vater hat mich früh rangenommen. Als 15-Jähriger musste ich die Lohnbuchhaltung machen, das wurde streng kontrolliert.“ In der Küche ist der Junge für die Spätzle zuständig. Die Übertopfspätzlespresse, mit der er immer schaffte, steht heute im Museum.

Wer damals eine Lehrstelle als Koch findet, muss sich glücklich schätzen und natürlich dafür bezahlen. Seine Mutter versucht es beim Hotel der Hausbrauerei in Lindau. Die Chefin dort will den Jüngling aber erst mal als Pagen verwenden, danach vielleicht auch als Koch. Nicht mit Manfred: „Das mach ich auf gar keinen Fall.“ In Ravensburg klappt es dann. Er wird Lehrling in der Küche vom Hotel Hildebrand: „Das erste Haus am Platz. Inzwischen längst Geschichte und abgerissen.“

Dann, mit 19 Jahren, Stuttgart, Hotel Schlossgarten. „Da wollte ich unbedingt hin.“ Er überlässt nichts dem Zufall. Auch nicht die nächste Station, der Europäische Hof in Baden-Baden. Danach reizt ihn die Schweiz, er will „international werden“. So kommt es. Er kocht in Luzern, Interlaken, Pontresina, Sankt Moritz. Dann wechselt er als Chef de Partie ins Appollonia Hotel, Stockholm. Dann in ein wunderschönes Hotel in Cornwall. „Aber in England lernte man vielleicht die Sprache und Tennis, aber nicht kochen.“ So geht das nicht weiter. „Hier verkommst du“, sagt er sich.

Was Konrad Adenauer zu sich nimmt, als er 1961 im Hotel Hildebrand weilt, ist auf der Menükarte vom 14. Juli nachzulesen: Bodenseelachsforelle in Aspik, Kalbsmedaillons, Kartoffelkügelchen. Dazu einen Heilbronner Stahlbühl Riesling. Zum Abschluss Mocca und Cognac.

Im Juni 1943 geht es selbst im noblen Europäischen Hof von Baden-Baden mager zu. Das „Feldküchengedeck“ bot Sagosuppe, Rindfleisch mit Pilztunke, Karottengemüse (50 gr Fleisch, 10 gr Fett) und den Hinweis, dass man Menüänderungen extra berechnet.

Auch in der Speisekarte der „General von Steuben“ spiegelt sich deutsche Geschichte. Das Luxus-Passagierschiff der Norddeutschen Lloyd wird in den 1930er-Jahren für Kreuzfahrten nach Amerika eingesetzt. Berteles Hauptmahlzeitskarte stammt vom März 1936: Malossol-Beluga-Kaviar, Taubensuppe, gesulztes Schweinsrippchen, Kapaunleber an Spießchen, Eisbecher Minerva. Man kann sich kaum sattlesen an der Opulenz. Ein Schwelgen im Überfluss vor dem Unheil am Horizont. Der Tanz auf dem Vulkan. Ein letzter Flitter, bevor der Vorhang fällt und es ganz finster wird in Europa.

Im Februar 1945 ist der Luxusdampfer ein Lazarettschiff – und doch ein Traumschiff geblieben. Seine Passagiere träumen jetzt vom Überleben. Die Rote Armee hat Ostpreußen eingekesselt. Flüchtlinge und Verwundete versuchen, über die Ostsee zu entkommen. Doch der Torpedo eines sowjetischen U-Boots trifft die Steuben und versenkt sie im Eismeer. Das Schiff wird für Tausende zum Sarg aus Stahl.

Koch in der Karibik

Berteles Weg führt ihn weiter nach Frankfurt, in den Hessischen Hof. Der Patron Adam Volkert ist berüchtigt für seine Strenge. Man warnt Bertele. Er will davon nichts wissen. „Es war die beste Entscheidung, zu ihm zu gehen“, sagt er heute. „Durch ihn bekam ich einen Extraschliff in Kreativität und bei der Menschenführung.“ Es läuft gut. Nur Mutter meckert manchmal, weil sie ihren Sohn gern öfter sehen würde.

Nach einem Sommer im glanzvollen Hotel Bad Schachen am Bodensee, geht Bertele mit der New Amsterdam auf den Atlantik. Ein halbes Jahr gondelt er zwischen Curaçao, Jamaika und den Bahamas herum. Irgendwann hat er genug von der Karibik. Und auch sonst muss sich was tun: Er hat schon alles gemacht, war Chef Beilagen, Chef Saucier, Poissonnier. Jetzt muss der nächste Schritt kommen.

Im Hilton Berlin wird er stellvertretender Küchenchef. „Ein Weltkonzern öffnet mir alle Türen“, denkt er. So kommt es: Nicht nur, dass er Monika, die Assistentin des Personalchefs heiratet (in der heimatlichen Wallfahrtskirche, wo er schon getauft wurde und Kommunion feierte). Bald wird ihm eine Küchenchef-Stelle angeboten – im Hilton Trinidad. Bertele ist gerade mal 27 Jahre alt.

Drei Jahre später sitzt er im Büro des Generaldirektors, der hat die Zentrale in New York am Telefon. Bertele kann Küchenchef in Athen oder Acapulco werden. Wer gleich zwei so attraktive Angebote ablehnt, ist bald weg vom Fenster. „Ich musste mich sofort entscheiden.“ Er nimmt Athen. 1972, das Hilton München ist pünktlich zur Eröffnung der Olympischen Spiele fertig, fragt man ihn: Willst du dahin? – „Ja.“

Moskau am 31. Juli 1991: US-Präsident George Bush und der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow unterzeichnen den Start-Vertrag über die Abrüstung ihrer Atomwaffen. Dass sie dabei Füllfederhalter aus dem Stahl verschrotteter Mittelstreckenraketen verwenden, ist eine hübsche Fußnote. Unbedeutendes Beiwerk ist auch, was sie danach im Spaso House essen. Manfred Bertele hat sich die Karte besorgt: Wasserkressensuppe mit Sesamkringel, Rinderfilet, geröstete Kartoffeln, grüne Bohnen und Babykarotten. Als Dessert Limettensorbet mit Wodka-Mousse.

Doch diese kulinarischen Seitenblicke auf Ereignisse haben ihren Charme, verleiht so eine Speisekarte dem Ganzen doch eine sinnliche Note. Wie eine Begleitmelodie. Und sie holt den Betrachter ganz nah ans Geschehen, gleichsam bis in den Verdauungstrakt der Beteiligten.

2. Juni 1967. West-Berlin erwartet den Schah von Persien und seine Frau Farah Diba zum Staatsbesuch. Als sie vor dem Schöneberger Rathaus ankommen, schreien Studenten ihnen ihren Protest entgegen. Plötzlich prügeln ein paar Dutzend „Jubelperser“ mit Latten auf die Demonstranten ein. Die Berliner Polizei hält sie nicht ab. Indes sättigen sich die Staatsgäste im Rathaussaal mit Melone, Krebsschwänzen, Schwalbennestersuppe, Lammrücken. Das Menü haben sich Bertele und sein Team ausgedacht.

Am Abend eskaliert die Lage. Es kommt zu einer Straßenschlacht, in deren Verlauf ein Polizist (und Stasi-Spitzel) den Studenten Benno Ohnesorg mit einem Kopfschuss tötet. Ein Tag, der die Republik verändert.

Seesaibling für Clinton und Kohl

Bertele hat einige Staatsempfänge gastronomisch begleitet. „Zunächst ist wichtig: Wer lädt ein? Wie viele Personen? Wenn sich dann die Botschaft oder das Auswärtige Amt einschalten, geht der ganze Zirkus erst richtig los.“ Der verträgt kein Salz, der kein Fett, der hat eine Allergie. „Am Ende stehen meistens drei, vier Menüvorschläge.“ Auch beim G7-Gipfel in Halifax 1995 stellt Bertele die Gänge zusammen, muss die Geschmäcker von Kohl, Chirac und Clinton berücksichtigen. Es wird pochierter Seesaibling auf Kamillensoße, serviert mit wildem Reis und Farnspitzen.

Als Bertele ins Management umsteigt, ist er Anfang 30: Wirtschaftsdirektor im Berliner Hilton. Zwei Jahre später will man ihn in der Zentrale haben. Von Montreal aus richtet er die gesamte Kulinarik im Konzern neu aus. Er bewohnt mit seiner Frau eine Hotelsuite, Kinder haben sie keine. Kurz darauf wird er Wirtschaftsdirektor für sämtliche Hotels der Hilton International Group in Kanada und den USA. Sein Karrieregipfel.

Speisekarten sind auch Zeugen ihrer Zeit. Rheinsalm mit holländischer Tunke, Kapaunenbraten, Rahmsulze mit Erdbeeren, Gefrorenes von Waldmeister und Weichsel: Ein Menü wie 1886 am Bayrischen Königshof würde heute anders komponiert und formuliert. In den 1980ern gab es noch Zigeunerschnitzel, Falscher Hase, Strammer Max, Pfirsich Melba auf der Karte. Jetzt findet man Dinge wie Hummus, Kürbisspätzle, Grünkernbratlinge, gerösteten Rosenkohl, da wäre vor ein paar Jahrzehnten keiner drauf gekommen.

Früher ging man schon ehrfürchtig in die Knie, wenn Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt mit Löwenzahnhonig und Szechuan-Pfeffer lackierte Taubenbrust, glasierte weiße Rübchen, Pina-Colada von Guaven-Sorbet versprach. Heute macht es kein ambitionierter Hobbykoch mehr drunter.

Berteles Museum ist ein Tor zur Fantasie: Was verband Hans-Dietrich Genscher, Horst Ehmke, Robert Lemke, Horst Buchholz, Barbara Valentin, Raimund Harmstorf, Roberto Blanco und Curd Jürgens, die 1972 an einem Tisch des Hilton München zusammenfanden?

Worüber unterhielt man sich, als Prinz Philip von England auf seiner Suite zu einem kleinen Herrendinner in zwölfköpfiger Runde lud? Damals bat er Bertele: „Servieren Sie die Flusskrebse in der Schale. Die Männer sollen lernen, mit den Händen zu essen.“

Welches Parfums trugen die Frauen 1958 bei den Bayreuther Wagner-Festspielen, wenn sie in der Pause „Eier Opera“ oder Schildkrötensuppe verzehrten? Wie urteilte man über die Tristan-Inszenierung bei Ananas-Bowle, Schwedenfrüchten mit flüssiger Sahne oder einem Cinzano-Soda-Kaltgetränk?

Was verabredete man hinter den Kulissen, als Erich Honecker 1976 Indira Ghandi, die Premierministerin von Indien, empfing? Überblicken können wir zumindest das Menü im Palast der Republik: Gefüllte Tomate mit Salat vom Huhn, Lammkeule mit Bitterbohnen. Bei Nachtisch steht lapidar: „Banane“.

Der Brief von Trump

Mit 55 bremst Bertele von hundert auf null runter. Seine Frau hat sich den Bodensee als Ruhesitz gewünscht. Weil er sich ärgert, dass eine Straße in Eriskirch ohne Lärmschutzwand gebaut wurde, gründet er mit Einheimischen eine Initiative. Die Wand kommt. Er übernimmt den Vorsitz der örtlichen Bürgerstiftung, hält Vorträge an der Hotelfachschule Luzern.

Eines Abends kramt er seine Speisekarten und die anderen Erinnerungsstücke hervor. Das ganze Leben zieht an ihm vorbei. Die Eröffnung des Hilton-Restaurants „Zum Hugenotten“ in Berlin, sein erstes Großprojekt. Die Treffen mit Paul Bocuse. Der Brief von Donald Trump. Der kaufte 1989 den Shuttle-Dienst von Eastern Airline. Weil er den Vielflieger Bertele offenbar zur VIP-Clique zählte, schrieb er ihm, dass er aus seiner neuen Airline jetzt die beste der Welt machen werde. Trotz Ahorn-Täfelung, verchromten Gurt-Schnallen und goldenen Toiletten-Armaturen war sie bald überschuldet. Trump musste wieder verkaufen, am Ende ging das Unternehmen in US Airways auf.

Wie könnte Bertele all die Dinge vor dem Vergessen retten? Am Ende steht ein Deal mit dem Bürgermeister: Die Gemeinde stellt die Räume zur Verfügung und richtet sie her, Bertele richtet auf eigene Kosten das Museum ein. Ein fertiges Produkt nach seinen Plänen, da kommt der Macher in ihm durch.

Geöffnet ist das Museum samstags von 14 bis 17 Uhr. Bertele und seine Kollegen machen auch ehrenamtliche Führungen. Wer möchte, kann was ins Spendenkässle werfen, das Geld kriegt die Gemeinde.

Der Adler existiert nicht mehr. Der ältere Bruder übernahm den Gasthof. Nach dessen Tod führte die Schwägerin ihn weiter, am Ende wurde alles verkauft und abgerissen. Heute ist dort ein Ärztehaus mit Wohnungen.

Bertele kocht noch immer jeden Tag. Jetzt halt nicht mehr für 3000 Leute wie in Athen, sondern für zwei. An diesem Abend gibt es Geschnetzeltes vom Hühnerbrüstchen, wilde Champignons und vielleicht Nudeln.

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Erstellt:
13. März 2025, 14:28 Uhr

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