Der Nutzgarten boomt
Für den Traum vom eigenen Kleingartenglück braucht man einen langen Atem. Die Kleingartenvereine in Backnang und Sachsenweiler haben keine freien Parzellen. Interessenten kommen auf die Warteliste und sollten sich in Geduld üben.

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„Viele möchten ihr Gemüse selbst anbauen, um sicher zu wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen.“ Hans-Peter Winkler, von den Gartenfreunden Backnang ist schon als Kind mit dem Gärtnern vertraut gemacht worden. Foto: A. Becher
Von Heidrun Gehrke
BACKNANG. Wenn Hans-Peter Winkler, der erste Vorsitzende des Vereins der Gartenfreunde Backnang, derzeit in die Gärten schaut und über die üppig grünenden Anlagen läuft, fühlt er sich wie an einem Urlaubsort. Ein Blumenmeer, die Blütenpracht quillt aus allen Beeten, Rosen ziehen mit Düften und Farben in ihren Bann, Bienchen summen über voll behangenen Himbeer- und Stachelbeerhecken. „Da braucht man wirklich nicht mehr wegzufahren“, schwärmt er. Und es werden immer mehr, die sich ihr Stückchen Grün einrichten möchten. „Die Bewerberzahl in den vergangenen Monaten sprengt jeden Rahmen, natürlich aktuell auch wegen der Pandemie.“
Den Coronaeffekt merkt er auch an der besonders belebten Anlage. „Es ist selten so gut besucht, überall wird fleißig gearbeitet, umgegraben, gegessen.“ Ein Garten ist so vieles: Erde in die Hand nehmen, Naturverbundenheit, Verständnis für die Pflanzenwelt, Experimentieren mit eigenem Obst und Gemüse, Arbeiten an der frischen Luft. Gerade in diesen Zeiten sei ein Kleingarten vor allem ein wichtiger „Fluchtpunkt“. So vergehe kaum ein Tag, an dem keine neue Anfrage eingehe.
Bis eine Parzelle frei wird, kann es jahrelang dauern.
Etwa 30 Interessenten stehen auf der Warteliste. Er muss alle vertrösten. Zwischen fünf und zehn Jahre könne es derzeit dauern, bis eine Parzelle auf manchem der insgesamt sechs Areale im Stadtgebiet frei wird. „Und wer erst mal eine Parzelle ergattert hat, der gibt diese so schnell nicht mehr auf.“ Aus seiner Sicht wäre es „gesellschaftlich wertvoll“, wenn der Verein noch weitere Flächen zur Verpachtung hätte, denn der „Leidensdruck“ mancher Stadtbewohner sei „unbeschreiblich groß“.
„Wegen Überfüllung geschlossen“, fasst er die aktuelle Belegung in einen griffigen Slogan, der ausdrückt, was auch beim Siedlerverein Sachsenweiler die Situation widerspiegelt: Alle 37 Kleingärten seien vergeben, sagt erster Vorsitzender Hans Löffler. Drei bis vier Interessenten stehen auf der Warteliste.
Der Siedlungsverein Robert-Kaess-Siedlung verpachtet gar nicht. „Die Mitglieder haben ihre Privatstücke ums Haus herum“, sagt Vorsitzende Kerstin Merz. Das „Vereinsleben“ finde in der Nachbarschaft, über das Schwätzla am Weg statt. „Eine Strecke von der Haustür zur Bushaltestelle oder zum Auto, die normalerweise drei Minuten dauern würde, kann sich problemlos mal bis zu 20 Minuten ausdehnen“, sagt sie. Ein Vereinsheim hat der Verein auch, einmal monatlich habe man sich dort vor Corona getroffen und auch gemeinsam gekocht – mit frischen Zutaten aus den Garten versteht sich. Nach der Zwangspause hoffen nun alle, dass es nach den Sommerferien wieder startet. Erfreut habe sie zur Notiz genommen, dass sich der Wunsch nach Geselligkeit während Corona neue Wege gesucht und diese auch gefunden habe. „Über WhatsApp wurden Rezepte ausgetauscht und Pflanzen zum Tausch angeboten, was normalerweise am Gartenzaun oder beim Treffen stattfindet“, so Merz.
Sehr rührig ist der Verein in der Jugendarbeit – das Engagement sei auch während des Lockdowns nicht abgerissen. „Für Jugendliche wurden Filme gedreht mit Anleitungen, wie sie mit Naturmaterialien aus dem Garten etwas basteln können.“ Schön wäre es, wenn von dem frischen Schwung auf lange Sicht auch die etwas ins Hintertreffen geratenen traditionellen Tagesausflüge etwas abbekämen: „Viele Ältere können nicht mehr mitgehen und Jüngere sagen, dass sie alleine günstiger im Pkw hinfahren“, so Kerstin Merz. Die Mitgliedschaft für eine Person beträgt 25 Euro und eine Familienmitgliedschaft 30 Euro pro Jahr. Die Altersstruktur sei in Bewegung. Die Hälfte der Mitglieder seien zwar über 60 Jahre, doch junge Familien rücken nach. Der Nutzgarten boomt: „Man kommt zur Ruhe. Ein Garten ist täglich anders.“ Teilweise seien auch schon 30-Jährige interessiert, sich etwas Schönes im Grünen zu schaffen – und eben am „Schaffen“ im Grünen. „Die Leute schauen wieder mehr nach frischer Ernährung und kurzen Wegen.“ Ein Garten mache viel Arbeit, aber es sei eine Arbeit, die erstens Spaß macht und bei der zweitens die ganze Familie zusammen ist und gemeinsam etwas macht und erlebt. „Man weiß, wie und wo sein Essen gewachsen ist und woher es kommt.“
Nutzpflanzen sind Pflicht im Schrebergarten.
So ein Garten bringt aber auch viel Verantwortung mit sich und macht viel Arbeit. „Die Leute müssen sich bewusst sein, dass ein Schrebergarten insbesondere der gärtnerischen Nutzung dienen soll.“ So muss in Backnang-Stadt mindestens ein Drittel der Fläche mit Nutzpflanzen bewirtschaftet werden. „Ein Garten ist nicht einfach nur ein Platz im Grünen“, so Winkler. Ebenso rufen ein paar kleine Pflichten fürs gemeinschaftliche Vereinsleben: Gemeinschaftlich genutztes Terrain richten, Wege in Schuss halten, Hecke schneiden und Rasenflächenpflege. Jeder trage zum Gesamteindruck der Anlage bei, indem er im wörtlichen Sinne auch mal „vor der eigenen Parzelle“ kehrt. Auch in Sachsenweiler willigen Mitglieder ein, Dienste für den Verein zu übernehmen – mit vier Stunden pro Jahr sei es laut Hans Löffler aber überschaubar. Außer bei der Pflege der Anlage könnten die Arbeitsstunden gewöhnlich beim urigen Straßenfest im Schulhof der Grundschule absolviert werden, das dieses Jahr coronabedingt allerdings ausgefallen ist.
Gibt ein Gartenpächter sein Stück ab, gibt er es dem Verein zurück, der die Flächen von der Stadt gepachtet hat. Der ehemalige Besitzer selbst habe keinen Einfluss, wer ihn als Nächstes bekommt. Es sei denn, es gibt Kinder oder weitere direkte Verwandtschaft – dann werde der Pachtvertrag überschrieben auf den Nachfolger. Das erklärt, dass Parzellen teilweise schon über Generationen hinweg von gemeinsamer Familienhand gehegt und gepflegt werden.
Auch freies Gärtnern ohne Vereinsmitgliedschaft ist im Trend.
Hans-Peter Winkler ist dafür ein Beispiel: Seine Kindheitserinnerungen sind mit dem Garten seiner Eltern verbunden, den er übernommen hat. „Ich habe einen starken Bezug, da traf sich immer die ganze Familie, auch die Großeltern waren da und haben mitgeschafft“, erinnert er sich. Seine Mutter habe immer frisches Gemüse im Kochtopf gehabt. Er habe viel fürs Leben mitbekommen als Kind: „Man sät aus, dann wachsen einfach Früchte wie aus dem Nichts, man kämpft gegen Unkraut, kümmert sich, dabei lernt man Verantwortung.“ Damals sei das Bewusstsein für die Selbstversorgung groß gewesen, weil das Angebot in den Läden dürftig war. Heute indes ist das Angebot in den Supermärkten groß, für immer mehr Menschen zähle aber der regionale Aspekt. „Viele möchten ihr Gemüse selbst anbauen, um sicher zu wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen“, beobachtet Winkler. Es wachse eine Generation nach, die selbst ernten und unabhängig sein will.
Die Kleingartenpächter werden immer jünger und multikultureller. Schon länger vollzieht sich bundesweit ein Generationswechsel. Laut Klaus Otto, dem Präsidenten des Landesverbands der Gartenfreunde Baden Württemberg, sei nicht nur bei den „organisierten“ Kleingärtnern ein steigendes Garteninteresse zu beobachten, sondern auch beim „freien“ Gärtnern – Stichworte sind „Urban Gardening“ oder die von manchen Landwirten angebotenen „Mietäcker“.
Die Kleingartenanlagen gehen den Trend mit: „Durch neue Nutzungsformen wie Gemeinschafts-, Generationen- und Schnuppergärten können Möglichkeiten geschaffen werden, noch mehr Menschen zu einem ,kleinen Paradies‘ zu verhelfen“, so Otto. Gärtnern liege im Trend – steigend seien indes auch „Bestrebungen, vor allem zentrumsnahe Kleingartenanlagen in Bauland umzuwandeln und damit ein unersetzliches Stück Lebensqualität gerade in dicht bebauten Gebieten unwiederbringlich zu opfern. Nachhaltigkeit geht anders.“
Wer einen Garten bei den Gartenfreunden Backnang gepachtet hat, muss Mitglied sein und bezahlt 35 Euro Mitgliedsbeitrag pro Jahr. Hinzu komme der Pachtpreis, der sich nach der Grundstücksfläche richtet und auch nach Lage. Pro Ar verlangt der Verein im Plattenwald vier Euro, in der Maubacher Straße im alten Teil 3,50 Euro, im neuen Teil 4 Euro und im Bereich Krähenbach 2 Euro. In der Plattenwaldallee, in der Annonaystraße sowie am Berufsschulzentrum sei man mit 1,50 Euro pro Ar dabei. Vom kleinsten Gärtchen mit einer Fläche von einem Ar bis zur größten Grünoase mit 6,5 Ar sei alles vergeben.
Die Gebühren beim Siedlerverein Sachsenweiler betragen 25 Euro für die Mitgliedschaft, 37 Euro bezahlt eine Familie pro Jahr. Hinzu kommen zwischen 5 und 6 Euro für die Pacht.