Der Prügelknabe

Für die einen ist Verkehrsminister Hermann ein Autofeind, für die anderen ein Visionär in Sachen nachhaltiger Mobilität

Hinter den grün-schwarzen Kulissen brodelt es gewaltig: Die CDU wirft dem grünen Verkehrsminister Winfried Herrmann vor, dass dieser nicht genug für saubere Luft tut – stimmt das?

Stuttgart Seit Kurzem versammeln sich samstags Bürger, um gegen Fahrverbote und für die Dieseltechnologie zu demonstrieren. Einige von ihnen halten Schilder und Plakate wie „Ökoterrorismus“ oder „Stoppt Grüne Jobkiller“ hoch. Redner wettern gegen das fragwürdige Zustandekommen der Grenzwerte oder werfen der Politik vor, versagt zu haben. Immer wieder skandiert die Menge nach Redebeiträgen „Lügenpack“ und „Hermann weg, Hermann weg“. Für die Grünen ist die Situation neu. In der Vergangenheit haben sie sich an vielen Protestbewegungen beteiligt oder diese angeführt, beispielsweise die gegen das Tiefbahnhof-Projekt Stuttgart 21. Jetzt richtet sich der Zorn erstmals gegen sie, allen voran gegen ihren Verkehrsminister Winfried Hermann. Verkehrte Welt am Neckartor.

Hermann, 66 Jahre alt, gibt sich davon unbeeindruckt. Dass Leute für den Erhalt von Dieselautos demonstrieren, sei neu, das nehme er zur Kenntnis, sagt er dazu am Dienstag in der Regierungspressekonferenz – mehr nicht. Im Anschluss daran, im kleinen Kreis, berichtet er von gegenläufigen Bewegungen wie der Critical Mass, deren radelnde Teilnehmer sich einmal im Monat für einen sicheren Verkehrsraum für Radfahrer einsetzen. Hermann versucht so, den Unmut zu relativieren, den es wegen der Dieselfahrverbote gibt.

Seit Januar dieses Jahres dürfen ältere Dieselautos mit der Abgasnorm Euro 4 und schlechter nicht mehr in Stuttgart fahren, vom 1. April an gilt das Verbot für das ganze Stadtgebiet dann auch für Stuttgarter, die ein solches Fahrzeug besitzen. Es ist das erste und bislang einzige flächendeckende Dieselfahrverbot Deutschlands. Wer sich nicht daran hält und erwischt wird, muss 80 Euro zahlen. In der Region sind mehr als 160 000 Autofahrer davon betroffen. Und womöglich sind es schon bald viele mehr. Im Sommer muss die grün-schwarze Landesregierung entscheiden, ob von Januar 2020 an auch neueren Euro-5-Dieselmodellen die Einfahrt in die Landeshauptstadt untersagt werden soll, um den Stickstoffdioxid-Grenzwert zeitnah zu erreichen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der beliebteste Grüne im Südwesten, wirkt angesichts der Dimension der Demos nicht ganz so unbeeindruckt wie Hermann. Immerhin kamen an den vergangenen beiden Samstagen einmal 1200 und einmal 800 Teilnehmer – unter ihnen viele Mitarbeiter der Automobilhersteller Daimler und Porsche sowie des weltgrößten Automobilzulieferers Bosch, aber auch etliche Dieselbesitzer, denen die kalte Enteignung droht und die sich nicht eben mal einen Neu- oder Gebrauchtwagen leisten können. Fast schon entschuldigend weist er seit Wochen immer wieder darauf hin, dass die Landesregierung von den Gerichten dazu gezwungen worden sei und man sich an Recht und Gesetz halten müsse.

Das stimmt zwar – ist aber nur die halbe Wahrheit. Was Kretschmann nicht sagt: Die Landesregierung schöpfte nach dem Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts nicht alle rechtlichen Möglichkeiten aus, um Zeit zu gewinnen und Fahrverbote zu verhindern. Auf Drängen der grünen Basis und des grünen Verkehrsministers. Als Kompromiss einigte sich Grün-Schwarz auf die sogenannte Sprungrevision, bei der keine neuen Beweise erhoben werden. Jetzt gibt es ein „Geschwindigkeitsproblem“, wie der Regierungschef es nennt.

Die Luft in Stuttgart (und auch in anderen belasteten baden-württembergischen Städten) wird zwar immer besser, das hat Hermann erst am Dienstag anhand neuer Stickstoffdioxid-Mittelwerte veranschaulicht. Aber die Schadstoffwerte sinken noch nicht rasant genug. Hinter den grün-schwarzen Kulissen brodelt es deshalb: Die CDU wirft dem Verkehrsminister vor, dass dieser nicht genug für die Verminderung der Schadstoffe in der Luft tue und insbesondere die Umsetzung der bereits im Juli 2018 vereinbarten innovativen Maßnahmen für das Neckartor absichtlich verschleppe. Unter anderem geht es um einen neuartigen Asphalt, der Stickoxide abbauen kann, eine ähnlich wirkende Fassadenfarbe und Filtersäulen für Stickoxid.

Hermann ist es gewohnt, Prügelknabe der Konservativen und der Liberalen zu sein. Die oppositionelle FDP im Landtag stellt ihn gerne als bornierten Ideologen und Autofeind dar, und auch der Koalitionspartner arbeitet sich – wenn auch öffentlich nicht so sichtbar – an ihm ab. Hermann, einst Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag, steckt in seinen Themen allerdings so tief drin und kontert so geschickt, dass er zwar polarisiert. Inhaltlich kann ihn allerdings meist niemand stellen. Auch die zuletzt erhobenen Vorwürfe der CDU weist er entschieden zurück. Als verantwortlicher Minister habe er doch kein Interesse zu zeigen, dass er nichts könne und die Schadstoffe hoch bleiben, das sei „völlig absurd“, entgegnet er. Bei der Luftreinhaltung lasse sich sein Haus von niemandem übertreffen. Man nutze alles, was irgendwie verspreche, einen Effekt zu erzielen. Man sei aber nicht allein unterwegs, sondern müsse mit Unternehmen, die Ideen eingereicht haben, mit dem Koalitionspartner sowie der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat „klarkommen“.

Die Politikversager sitzen in seinen Augen ohnehin in Berlin. Immer wieder hat das Land auf die Einführung einer Blauen Plakette gedrungen. Über diesen Weg hätten die Städte den Fahrern älterer Diesel sozial verträgliche Übergangsfristen einräumen und das Verbot im Anschluss daran leicht kontrollieren können. Der frühere Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnte den Vorschlag allerdings strikt ab.

Um das letztlich auch dadurch entstandene angespannte grün-schwarze Verhältnis in Stuttgart zu beruhigen und der CDU entgegenzukommen, hat der Koalitionsausschuss jüngst entschieden, dass es in Stuttgart mehr Messstationen geben wird. Eine interministerielle Arbeitsgruppe soll zudem einen Zeitplan erstellen und überwachen, wie und wann das geplante Maßnahmenpaket umgesetzt wird. Der stellvertretende Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl verspricht, flächendeckende Fahrverbote für Euro-5-Diesel werde es mit der CDU nicht geben. Doch was ist, wenn die Luft im Stuttgarter Stadtgebiet nicht so schnell so sauber wird wie erhofft und die Grenzwerte auch in den nächsten Monaten noch (zu) deutlich gerissen werden? Im Fall der Fälle müssten Strobl und die CDU die Koalition sprengen, um glaubwürdig zu bleiben. Derzeit ist zumindest nicht zu erkennen, warum die Grünen von ihrer Linie abweichen sollten.

Verkehrsminister Hermann denkt ohnehin größer. Er gilt als Visionär, wenn es um Mobilitätskonzepte der Zukunft geht. Der Stau in Stuttgart, sagt er, hänge auch damit zusammen, dass „zu viel in zu leeren und zu alten Autos gefahren“ werde. Mittelfristig strebt er die ökologische Verkehrswende an. Seit Jahren setzt er sich beharrlich für den Ausbau des umweltfreundlichen öffentlichen Personennahverkehrs mit mehr Bussen und Bahnen, besseren Takten und günstigeren Tarifen ein. Auch den Bau neuer Radschnellwege hat er vorangetrieben. So will er die Menschen zum Umsteigen auf Bus und Bahn bewegen und aufs Fahrrad oder Pedelec locken. Denn: „Wir wollen doch mal festhalten, dass die dreckige Luft nicht vom Verkehrsminister gemacht wird, sondern von denen, die verkehren.“

Hermann findet, er müsse sich „nicht dafür schämen“, wenn er daran erinnere, dass jeder Einzelne Verantwortung trage und ein Interesse haben müsse, dass die Luft sauberer werde und die Verkehrsverhältnisse sich änderten. Nähme man die Klimaschutzziele ernst, so seine Überzeugung, muss bis 2050 jedes dritte Auto raus aus Innenstädten. Und die verbleibenden Fahrzeuge sollten einen elektrischen Antrieb haben. Was dazu wohl die Dieselfans sagen?

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Erstellt:
7. Februar 2019, 03:12 Uhr

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