Wie tickt Kanzler Olaf Scholz wirklich?

Der Streber, der plötzlich schlechte Zensuren bekam

Keiner war so gut auf den Job als Regierungschef vorbereitet wie Olaf Scholz. Dann kam alles anders, als es geplant war. Das Porträt eines Kanzlers, der viel mehr ein ganz normaler Mensch ist, als die meisten das wahrscheinlich glauben.

Er kämpft um sein Amt: Bundeskanzler Olaf Scholz.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Er kämpft um sein Amt: Bundeskanzler Olaf Scholz.

Von Tobias Peter

Der Mann, der an der Seite Olaf Scholz steht, ist ohnehin schon einen Kopf größer als er. Dazu trägt der Nebenmann des Kanzlers auch noch eine hohe, spitz nach vor zulaufende, bunte Narrenkappe.

Olaf Scholz wiederum hat sein süffisantes „So hatte ich mir meinen Job nicht vorgestellt“-Grinsen aufgesetzt. Er liest, für einen nüchternen Hamburger rhythmisch nicht ungeschickt, die folgenden Zeilen vor: „Ach, wär’ ich nur ein einzig’ Mal ein schmucker Prinz im Karneval.“ Der Kanzler holt Luft und lächelt kurz. „Hab’ ich als Nordlicht nie gedacht – und trotzdem immer wieder mitgelacht“, fährt er nun fort. „Denn so viel Spaß und Zuversicht auf unseren Straßen gibt’s sonst nicht.“

Der Kanzler und das „Heijo“

Dem großen Mann neben Scholz gefällt das. Er heißt Karl-Ludwig Fess und ist Präsident des Bundes Deutscher Karneval. Er wird gleich Dutzende Karnevalisten animieren, dem Kanzler ein dreifaches „Berlin Heijo“ zuzurufen, den Karnevalsschlachtruf in der Hauptstadt. „Heijo“, das steht für Heiterkeit und Jokus. Danach schreiten Scholz und Fess in die Mitte der bunt gekleideten Menschen, die sich zum Karnevalsempfang auf den Treppen des Kanzleramts versammelt haben. Blasmusik erschallt. Ein mit Orden behangener Mann hinter dem Kanzler wippt eifrig mit. Scholz steht still.

Niemand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war so gut vorbereitet auf den Job als Kanzler wie Olaf Scholz. Er war Bürgermeister von Hamburg, Bundesarbeitsminister, Finanzminister und Vize-Kanzler. Doch seine Kanzlerschaft wird ihm mehr als einmal so vorgekommen sein, als sei er im falschen Film gelandet.

Die Geschichte von Olaf Scholz ist die eines Strebers, der perfekt vorbereitet in die Abschlussprüfung gegangen ist. Plötzlich sind die Aufgaben besonders vertrackt. Dann soll er auch noch Gruppenarbeit mit Partnern machen, die sich ständig streiten.

Das Selbstbild des Olaf Scholz

Der Kanzler selbst sieht sich, wenig bescheiden, so: Er hat unter widrigen Bedingungen das Bestmögliche erreicht. Für die Opposition ist Scholz einer, der versagt hat, als es darauf ankam. Ein Streber oder Besserwisser, der plötzlich schlechte Zensuren bekommt: das ist eine Geschichte, die Häme provoziert.

Auf seine größten Herausforderungen, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Energiekrise in Deutschland, hat Scholz in der unmittelbaren Reaktion eine starke Antwort geliefert. Das gilt, auch wenn sein späteres Krisenmanagement – Stichwort Waffenlieferungen – umstritten bleibt.

Der Kanzler hat ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr durchgesetzt. Seine Regierung hat Deutschland gut über mehrere Kriegswinter gebracht. Die Lichter gingen nicht aus. Fabriken mussten nicht schließen, weil Gas und Strom fehlten. Die wirtschaftlichen Folgen waren dennoch hart. Dass das Land den ökonomischen Turnaround nicht schaffte, dürfte – wenn es bei der Bundestagswahl am Sonntag so kommt, wie Umfragen nahelegen – als wichtiger Grund für die Niederlage der SPD gelten.

Der Teppich ist blau, die Armsessel sind komfortabel. Schräg hinter Olaf Scholz hängt das Porträt des früheren US-Präsidenten Abraham Lincoln. Der Kamin flackert. Es ist eng und gemütlich im Oval Office des Weißen Hauses, als der damalige US-Präsident Joe Biden den Kanzler im Februar 2024 empfängt. Biden dankt Scholz für „leadership“, für Führung in der Ukraine-Politik. Scholz lehnt sich aus seinem weiten Sessel spricht darüber, wie wichtig es sei, der Ukraine zu helfen, ihr Land zu verteidigen. So sieht Scholz sich selbst gern: als nüchternen Staatenlenker, auf Augenhöhe mit den Wichtigsten in der Welt.

Mit Donald Trump ist alles anders

Er ist kein geborener Transatlantiker. Dennoch er hat sich, über manchen Streit hinter den Kulissen hinweg, eine gute Beziehung zu Joe Biden erarbeitet. All das ist nichts mehr wert, seitdem Donald Trump im Amt ist. Auch ein Kanzler muss gelegentlich wieder bei null anfangen.

Wer wissen will, was für ein Regierungschef Olaf Scholz eigentlich sein wollte, muss mit ihm im Wahlkampf 2021 unterwegs gewesen sein. Zum Beispiel in Rüdersdorf bei Berlin. An einem Tag im August trug Scholz beim Besuch des Zementwerks der Firma Cemex eine gelbe Weste über dem dunklen Anzug. Hoher weißer Hemdkragen, keine Krawatte.

Dort erklärten Unternehmensvertreter den Weg hin zu einer klimaneutralen Zementproduktion. Die technischen Details erwiesen sich als kompliziert, der anwesende SPD-Landrat rief dazwischen, das könne man überspringen, das verstehe doch ohnehin keiner mehr. Scholz feixte später im Gespräch mit Journalisten darüber, wie viele von ihnen aufgegeben hätten, Notizen zu machen.

Olaf Scholz wollte der Kanzler sein, der die notwendigen Weichen hin zum klimaneutralen Wirtschaften stellen würde. Der den Reformstau der Ära Merkel, an dem er selbst beteiligt war, auflösen würde. Das war der eigentliche Plan, den der heute 66-Jährige vor dreieinhalb Jahren hatte.

Die komplizierte Ampel

Doch zu den Brüchen in der Weltpolitik kam eine weitere Herausforderung hinzu, die alle unterschätzt hatten. Scholz stand als erster Kanzler einer lagerübergreifenden Dreierkoalition vor. FDP und Grüne stritten heftig. Die SPD war dazwischen oft kaum wahrnehmbar, bis es zum brachialen Bruch zwischen Scholz und FDP-Finanzminister Christian Lindner kam.

„Gesetze sind wie Würste, man sollte nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ So soll es Otto von Bismarck gesagt haben. Scholz sieht es genauso: Ein Gesetz muss funktionieren. Wie es entsteht, dürfte die wenigsten interessieren. Deshalb kommuniziert er darüber eher sparsam. Wenn aber alle anderen öffentlich reden, liegt die Frage nahe: Wo ist der Kanzler? Wo ist die Führung, von der er behauptet hat, er würde sie liefern?

Zu alledem kommt hinzu: Scholz ist zwar ein beinharter Verhandler, der sich bei so gut wie jedem Thema bis in die Details auskennt und hinter den Kulissen tatsächlich auch kleinteilig darüber ringt. Viele glauben aber, als Kanzler hätte er häufiger die großen Linien vorgeben müssen.

Olaf Scholz ist ein Mensch mit Widersprüchen, die auch seine eigene Partei schon oft irritiert haben. Der Kanzler kann, wie er jetzt in TV-Duellen bewiesen hat, verständlich und leidenschaftlich über Politik sprechen. Nur: Warum tut er es dann so selten? Er hat einen feinen, wenn auch speziellen Sinn für Humor. Warum verbirgt er das fast immer so gut? Am Ende ist dieser Mensch, der oft mit sperrigen Schachtelsätzen daherkommt, viel normaler, als die meisten denken. Er kann zum Beispiel mitunter recht schroff sein. Aber für wen, der solchen Druck aushalten muss, gälte das nicht?

„Gemeinsam Gutes zu vollbringen, kann auch im Bundestag gelingen“, sagt Scholz bei seiner kleinen Ansprache beim Karnevalsempfang im Kanzleramt. Dabei hebt er, nur ganz kurz, den Zeigefinger. „Demokratie, das ist die Macht der vielen – und viel zu wichtig, um damit zu spielen“, lautet der nächste Reim, den er vorträgt. Schließlich sagt er: „Dabei lasse ich’s bewenden, denn schwer soll’s nicht enden. Gelassen und heiter, so machen wir weiter.“

Der Kanzler nickt jetzt intensiv. Er deutet damit, zum Abschluss seines Vortrags, eine kleine Verbeugung an.

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Erstellt:
18. Februar 2025, 17:14 Uhr

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