Der Traum einer Familie wird endlich wahr

Nadine und Michael Feist sind glückliche Eltern eines anderthalbjährigen Sohnes. Bis es so weit war, mussten die Modedesignerin und der Marketingmanager, die beide kleinwüchsig sind, einige schwere Schicksalsschläge hinnehmen.

Söhnchen Jonnes macht das Familienglück von Nadine und Michael Feist perfekt. Seine drei älteren Brüder waren alle bereits während der Schwangerschaft gestorben. Foto: Alexander Becher

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Söhnchen Jonnes macht das Familienglück von Nadine und Michael Feist perfekt. Seine drei älteren Brüder waren alle bereits während der Schwangerschaft gestorben. Foto: Alexander Becher

Von Annette Hohnerlein

Backnang. Der kleine Jonnes wuselt um seine Eltern herum und plappert munter vor sich hin. Gerade war er mit seiner Mutter in der Krabbelgruppe. „Er ist dort der Aktivste“, verrät die Mama stolz. Jetzt hat der kleine Mann Hunger. Mit Appetit beißt er in ein halbes Saitenwürstchen, das ihm sein Vater reicht. Dass dieser im Rollstuhl sitzt und beide Eltern kleinwüchsig sind, ist eine Besonderheit, aber in erster Linie sind die drei ganz offensichtlich eine glückliche Familie. Der Weg dorthin war alles andere als einfach. Die drei ersten Schwangerschaften von Nadine Feist endeten mit einer Tragödie. Im vierten beziehungsweise fünften Schwangerschaftsmonat verlor das Paar seine Wunschkinder; aufgrund der von beiden Eltern vererbten doppelten Kleinwüchsigkeit waren sie nicht lebensfähig. Diese Konstellation, die in 25 Prozent der Fälle auftritt, traf die Feists gleich drei Mal hintereinander. An die kurz nach der Geburt verstorbenen Söhne Robin, Luis und Filip erinnern Zeichnungen an der Wand im Wohnzimmer der Feists. Denn auch diese Kinder gehören zur Familie.

Ein Kamerateam des SWR hat die Schwangerschaft begleitet

Nach diesen furchtbaren Erfahrungen entschied sich das Paar für eine künstliche Befruchtung, bei der die vererbte Kleinwüchsigkeit ausgeschlossen werden kann. Nadine Feists Wunsch nach einer natürlichen Geburt ging leider nicht in Erfüllung, Jonnes kam per Kaiserschnitt zur Welt. Aber immerhin konnte dabei statt einer Vollnarkose eine sogenannte Spinalanästhesie eingesetzt werden. Denn der jungen Frau war es wichtig, während der Geburt bei Bewusstsein zu bleiben: „Das war meine größte Angst, dass ich das nicht miterlebe.“

In dieser vierten Schwangerschaft und auch rund um die Geburt ließen sich die werdenden Eltern von einem Kamerateam des SWR-Fernsehens begleiten. Warum? „Mir ist es wichtig, dass über die Sternenkinder gesprochen wird, die nach der Geburt versterben“, sagt Nadine Feist, „Und ich möchte anderen Mut machen. Denn es ist ein Tabuthema, dass Menschen mit Behinderung Kinder bekommen.“

Ein Mut machendes Vorbild

Und als Mut machendes Vorbild taugt das sympathische Ehepaar zweifellos. Die beiden stehen nicht nur privat, sondern auch im Beruf mitten im Leben. Nadine Feist ist Modedesignerin und arbeitet bei der Esslinger Firma Wasni, derzeit ist die 28-Jährige in Elternzeit. Ihr Mann Michael, 39 Jahre alt, ist bei der Firma Trumpf in Ditzingen als Digitalmarketingmanager beschäftigt, drei Tage in der Woche arbeitet er im Homeoffice. Beide mussten sich in der Vergangenheit mehreren Operationen an den Beinen und der Wirbelsäule unterziehen. Bei Michael Feist endete die letzte Operation mit einer Querschnittslähmung.

Nadine und Michael Feist sind Mitglied im Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien. Über diese Selbsthilfeorganisation haben sie andere Paare kennengelernt, viele von ihnen ebenfalls mit Kindern, die teilweise von einem Elternteil die Kleinwüchsigkeit geerbt haben, teilweise nicht. „Die haben uns ermutigt“, sagt Nadine Feist.

Und wie gestaltet sich der Alltag mit Kleinkind? „Wir machen das halt wie jede andere Familie auch, nur dass ich klein bin und Micha im Rolli sitzt“, lautet Nadine Feists schlichte Antwort. Natürlich ist die Wohnung der Familie in Maubach rollstuhlgerecht, die Einbauten in Bad und Küche wurden den Bedürfnissen der Feists angepasst. Aber ihr tägliches Leben bewältigen die beiden größtenteils alleine. Beim Einkaufen richten sie es möglichst so ein, dass sie gemeinsam gehen können. Dann kann einer den Kinderwagen und einer den Einkaufswagen schieben. Und wenn weitergehende Unterstützung gebraucht wird, dann sind Nadine Feists Eltern oder ihre drei Geschwister zur Stelle.

Langsam wird Jonnes zu schwer zum Tragen

Allerdings wachsen manche Herausforderungen in dem Maß, wie Jonnes größer und schwerer wird. Inzwischen kann Nadine Feist ihren Sohn nicht mehr lange tragen. Und ihn im Auto anzuschnallen wird immer beschwerlicher. Ein größerer Wagen würde vieles erleichtern, idealerweise einer, in dem der Kinderwagen im aufgeklappten Zustand Platz findet. Anderes funktioniert im Lauf der Zeit immer besser, denn der Kleine findet ganz selbstverständlich seine Rolle in der Familie und kann seine Eltern sogar schon unterstützen. „Wenn mir ein Werkzeug runterfällt, kommt Jonnes und hebt es auf, ohne dass ich was sagen muss“, erzählt Michael Feist voller Vaterstolz.

Und wie blicken die beiden in die Zukunft, in der ihnen ihr Sohn irgendwann über den Kopf wachsen wird? „Ich habe höchstens Ängste wegen der allgemeinen Weltlage, aber nicht in Bezug auf die Familie“, sagt Nadine Feist. Und sie verrät, was sie und ihr Mann sich vorgenommen haben: Jonnes soll in absehbarer Zeit ein Geschwisterchen bekommen.

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Erstellt:
12. November 2022, 06:00 Uhr

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