Fundstelle im Allgäu
Der Urahn des Großen Panda war ein Allesfresser
Die ersten Funde von Kretzoiarctos beatrix stammen aus dem Südwesten Aragóns in Spanien. Nun haben Tübinger in der bedeutenden Fundort Hammerschmiede im Allgäu weitere Fossilien des Urahns des heutigen Großen Pandabären entdeckt.
Von Markus Brauer
Pandas gelten wegen ihres schwarz-weißen Fells als besonders kuschelig. Große Pandas leben als Einzelgänger in lichten Laub- und Nadelwäldern mit Bambus als Unterwuchs in Bergregionen im Südwesten Chinas. Der Bestand in der Wildnis wird auf unter 2000 Tiere geschätzt. Die bis zu etwa 180 Zentimeter großen und 120 Kilogramm schweren Bären ernähren sich fast ausschließlich von Bambus.
Früher Verwandter des Großen Pandas
Doch wie war das bei ihren Vorläufern? Die einzige Bärenart aus der etwa 11,5 Millionen Jahre alten Fundstelle Hammerschmiede im Allgäu war ein Verwandter des Großen Pandas. Seine Ernährung ähnelte jedoch eher der pflanzlich-tierischen Mischkost heutiger Braunbären.
Das hat ein Forscherteam aus Hamburg, Frankfurt/Main, Madrid und Valencia unter der Leitung von Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen bei der Untersuchung der Ernährungs- und Lebensgewohnheiten von 28 inzwischen ausgestorbenen Raubtierarten aus der Hammerschmiede festgestellt. Zur Untersuchung dieser Funde sind zwei Publikationen in den Fachjournalen Papers in „Palaeontology“ und „Geobios“ erschienen.
Evolutionsgeschichte: Große Pandas waren ursprünglich Allesfresser. Team des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der @uni_tue untersucht Ernährung der Raubtiere aus der Menschenaffen-Fundstelle #Hammerschmiedehttps://t.co/53ZMpouQ55@Senckenbergpic.twitter.com/piKrsRzLco — Universität Tübingen (@uni_tue) September 16, 2024
Hammerschmiede: Fundort von Danuvius guggenmosi
Die Hammerschmiede wurde 2019 durch den rund 11,5 Millionen Jahre alten Fund des bereits aufrecht gehenden Menschenaffen Danuvius guggenmosi, genannt Udo, bekannt. Die Tongrube befindet sich in der Gemeinde Pforzen im Landkreis Ostallgäu, wenige Kilometer nordwestlich von Kaufbeuren am westlichen Hang des Tales der Wertach.
Die jüngsten Ausgrabungen unter der Leitung von Madelaine Böhme haben eine außergewöhnliche Vielfalt an 166 fossilen Tierarten zutage gefördert. „Solch ein blühendes Ökosystem bietet eine Fülle von ökologischen Nischen für die darin lebenden Arten“, sagt Böhme.
Viele der entdeckten Tiere hätten sowohl im Wasser als auch an Land gelebt oder eine kletternde Lebensweise gehabt. „So konnten sie sich an den bewaldeten Fluss anpassen, der zu jener Zeit in der Region vorhanden war“, so die Tübinger Forscherin.
Was die Zähne über Kretzoiarctos beatrix verraten
Die einzige Bärenart der Hammerschmiede mit dem Namen Kretzoiarctos beatrix wird als ältester Verwandter des modernen Großen Pandas angesehen, da die Form und Gestalt seiner Zähne Ähnlichkeiten mit denen des chinesischen Bären aufweist, der sich fast aus-schließlich von Bambus ernährt. Kretzoiarctos beatrix war kleiner als moderne Braunbären, wog aber mehr als 100 Kilogramm.
„Die heutigen Großen Pandas gehören in der zoologischen Systematik zu den Fleischfressern. Tatsächlich ernähren sie sich aber ausschließlich von Pflanzen. Sie haben sich auf harte pflanzliche Nahrung, insbesondere Bambus spezialisiert“, berichtet Nikolaos Kargopoulos von der Universität Tübingen und der University of Cape Town, der Erstautor der neuen Studien.
Wovon ernährte sich der Panda-Vorläufer?
In einer ersten Studie untersuchten die Forscher die Ernährung von Kretzoiarctos anhand der Makro- und Mikromorphologie der gefundenen Zähne. Auf der Makroebene ändert sich die Form der Zähne je nach ihrer Rolle bei der Nahrungsverarbeitung, was Aufschluss über die allgemeine Hauptnahrung eines Tieres gibt.
Auf der Mikroebene der Zahnoberfläche kann man Kratzer und Grübchen erkennen, die durch Kontakt von Nahrungspartikeln mit dem Zahn verursacht werden. „Die Merkmale dieser Oberflächenveränderungen können Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten eines Tieres während eines kurzen Zeitraums vor seinem Tod geben“, erläutert Kargopoulos.
Älteste Große Pandas waren Generalisten
Das Forscherteam verglich die Makro- und Mikromorphologie der Zähne von Kretzoiarctos mit Braunbären, Eisbären, südamerikanischen Brillenbären sowie heutigen und ausgestorbenen Großen Pandas.
Es kam zu dem Schluss, dass der Bär aus der Hammerschmiede weder ein Spezialist für harte Pflanzen war noch ein reiner Fleischfresser wie der Eisbär.
Die Ernährung der ausgestorbenen Art ähnelte eher der eines modernen Braunbären und enthielt sowohl pflanzliche als auch tierische Bestandteile. „Diese Ergebnisse sind wichtig für unser Verständnis der Evolution von Bären und der Entwicklung des Veganismus bei den Großen Pandas.
Kretzoiarctos beatrix, die ältesten Großen Pandas, waren demnach Generalisten. Eine Spezialisierung in der Ernährung der Pandas erfolgte erst spät in ihrer Evolution“, berichtet Böhme.
Große Vielfalt an Raubtieren aus der Hammerschmiede
Neben dem Panda wurden bisher in der Hammerschmiede weitere 27 Raubtierarten gefunden, berichten die Forscher in einer zweiten Studie. Die Räuber reichen von winzigen, wieselartigen Tieren, die weniger als ein Kilogramm wogen, bis hin zu großen Hyänen und Säbelzahnkatzen, die mehr als 100 Kilogramm auf die Waage gebracht haben dürften.
„Ihre jeweilige Hauptnahrung deckt eine große Bandbreite ab: Es gab reine Fleischfresser wie die Säbelzahnkatzen, Fischfresser wie die Otter, Knochenfresser wie die Hyänen und Insektenfresser wie die Zibetkatze. Einige andere Arten wie Pandas und Marder ernährten sich opportunistisch von Pflanzen und Tieren unterschiedlicher Größe“, resümiert Kargopoulos.
Die entdeckten Arten seien auch hinsichtlich ihrer bevorzugten Lebensräume sehr unterschiedlich: „Die Otterartigen waren gute Schwimmer, Bären, Hyänen und andere hielten sich auf dem Land auf oder lebten grabend wie die Stinktiere. Besonders viele Arten waren Baumkletterer wie die Marder, die Katzenartigen, die Schleichkatzen und die Katzenbären“, erläutert der Forscher.
Hammerschmiede war gut funktionierendes Ökosystem
„Eine derart vielfältige Raubtierpopulation ist nicht nur fossil äußerst selten; es gibt wohl auch kaum einen modernen Lebensraum mit ähnlich vielen Arten“, betont Böhme. Diese Artenvielfalt an der Spitze der Nahrungskette zeige, dass das Ökosystem der Hammerschmiede sehr gut funktioniert haben muss.
Mehr noch, es gebe sogar Arten, die nebeneinander her bestanden, obwohl sie sehr ähnliche Nischen besetzten, so die Forscherin. „Zum Beispiel gab es vier verschiedene fischotterartige Tiere gleicher Größe und Art der Ernährung. Sie würden normalerweise um die natürlichen Ressourcen in ihrer Umgebung konkurrieren. Aber es scheint, dass die Ressourcen der Hammerschmiede reich genug waren, um den Bedarf aller Arten zu decken.“