1000 Tage Ukraine-Krieg

Der Weg zum Frieden führt über das Schlachtfeld

Die USA erlauben der Ukraine den Einsatz weitreichender Waffen gegen Russland, in Deutschland flammt die Taurus-Debatte neu auf. Doch Berlin muss sich einer viel größeren Frage stellen, meint Hauptstadtkorrespondent Tobias Heimbach.

Der ukrainische Präsident Selenskyj bei einem Frontbesuch: Russland ist weiter auf dem Vormarsch.

© AFP/HANDOUT

Der ukrainische Präsident Selenskyj bei einem Frontbesuch: Russland ist weiter auf dem Vormarsch.

Von Tobias Heimbach

Es sind nun 1000 Tage. So lange ist es her, dass Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen hat. Die Bilanz des Krieges ist furchtbar: Russland hat Hunderttausende Ukrainer getötet und Millionen vertrieben. Namen wie Butscha und Mariupol stehen nicht allein für zerstörte Städte, sondern für Kriegsverbrechen und den Vernichtungswillen der russischen Armee.

Unter all den schrecklichen Nachrichten gab es nun einen kleinen Lichtblick für die Ukraine. Die USA erlauben den ukrainischen Streitkräften offenbar, auch mit weitreichenden Waffen auf russisches Gebiet zu schießen. Das hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schon lange gefordert.

In Deutschland nehmen das manche Politiker zum Anlass, erneut zu fordern, dass die Bundesregierung die Taurus-Marschflugkörper freigibt. Doch das ist zu kurz gegriffen. Die Frage, die Deutschland in den nächsten Monaten beantworten muss, ist viel größer, nämlich: Mit welchem Ziel unterstützen wir die Ukraine?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat immer wieder gesagt: „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen.“ Doch genau das passiert derzeit. Russland ist an entscheidenden Frontabschnitten auf dem Vormarsch. Zudem bombardieren Putins Truppen Elektrizitäts- und Heizkraftwerke, Supermärkte und Wohnhäuser. Das zermürbt die ukrainische Zivilbevölkerung.

Nun ist die Frage: Wenn die Ukraine derzeit verliert, Deutschland eine solche Niederlage aber nicht will – was folgt daraus? Bislang zu wenig. Sowohl die derzeit noch amtierende Bundesregierung als auch die kommende müssen ihr Engagement erhöhen. Denn wie es unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump mit der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine weitergeht, ist völlig offen.

Auch für Deutschland wären die Folgen einer ukrainischen Niederlage katastrophal: Millionen weitere Ukrainer würden als Flüchtlinge das Land verlassen, Deutschland würde viele von ihnen aufnehmen und versorgen müssen. Zudem könnte sich Russland auf neue Eroberungsziele konzentrieren und EU-Verbündete im Baltikum angreifen.

Zur Taurus-Debatte sei vor allem eines gesagt: Dieser Marschflugkörper ist keine Wunderwaffe. Damit hält Scholz nicht den Schalter über Sieg oder Niederlage in der Hand. Sie würde der Ukraine substanziell helfen, aber nicht den Krieg im Alleingang entscheiden. Scholz argumentiert immer wieder, dass Deutschland mit der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in den Krieg hineingezogen werden könnte. Was er aber nicht erklärt: Wie es dann gelingen soll, dass die Ukraine den Krieg „nicht verliert“.

Scholz könnte sich dafür einsetzen, zusätzliches Geld für die Ukraine zu mobilisieren. Zudem könnte Deutschland weitere Waffensysteme zum Schutz vor Luftangriffen liefern. Die Rüstungsindustrie betont immer wieder, dass sie bereitstünde, die Produktion zu erhöhen. Doch die Aufträge muss die Politik geben. Europa ist Russland wirtschaftlich weit überlegen und könnte die ukrainischen Streitkräfte viel besser ausstatten. Russlands Verbündete sind deutlich weniger zurückhaltend, sie schicken Drohnen (China) oder sogar Soldaten (Nordkorea).

Klar ist auch, dieser Krieg wird durch Verhandlungen beendet werden. Deswegen ist es verständlich, dass Scholz mit Wladimir Putin telefoniert. Es ist richtig, zu zeigen, dass man gesprächsbereit ist. Doch wenn Russland am folgenden Tag einen der schlimmsten Luftangriffe des Krieges auf die Ukraine startet, dann muss man seine Schlüsse ziehen. Der wichtigste lautet: Der Weg zum Frieden führt über das Schlachtfeld. Russland wird erst gesprächsbereit sein, wenn es versteht, dass es militärisch nicht weiterkommt. Deswegen muss Deutschland die Ukraine unterstützen – und zwar stärker als bisher.

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Erstellt:
18. November 2024, 17:17 Uhr

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