Waldorfschüler an Diphtherie gestorben
Der „Würgeengel der Kinder“ hat wieder zugeschlagen
Auch monatelange Behandlungen in Kliniken konnten einem Jungen nicht helfen. Das Kind ist in Berlin an Diphtherie gestorben. Solche Todesfälle sind in Deutschland sehr selten.
Von Markus Brauer/dpa
„Würgeengel der Kinder“ hieß Diphtherie, diese lebensbedrohliche bakterielle Infektionskrankheit, im Volksmund. Im Jahr 1892 erlagen der Infektion in Deutschland mehr als 50.000 meist junge Menschen. 1913 wurde die Impfung eingeführt, wodurch die Zahl der Infektionen deutlich sank. 20 Jahre lang galt die Krankheit in Deutschland sogar fast als ausgerottet.
Thanks to the DTaP vaccine, few Americans know how horrible diphtheria is. But at the turn of the 20th century, it was known as “the strangling angel of children.” Read more for National Immunization Awareness Month. https://t.co/CG4yJ99OKy#ivax2protect#AAIHistory#niampic.twitter.com/JLqdHGG3Py — The American Association of Immunologists (AAI) (@ImmunologyAAI) August 25, 2022
Eine der gefürchtesten Seuchen
Jahrhundertelang gehörte die Diphtherie zu den gefürchtesten Seuchen, weil sie die Menschen in immer wiederkehrenden Schüben heimsuchte, oft lebensbedrohlich war und vor allem die Jüngsten traf. Sehr, sehr viele Kinder starben daran – primär durch Ersticken.
Jetzt ist ein Junge, der an Diphtherie erkrankt war, in Berlin gestorben. Das Kind aus dem Havelland in Brandenburg war nach früheren Angaben des Brandenburger Gesundheitsministeriums nicht geimpft. Das damals zehn Jahre alte Schüler einer Waldorfschule in Berlin-Spandau war im September 2024 wegen einer akuten Entzündung der Rachenmandeln in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Potsdam gekommen. Später wurde Diphtherie diagnostiziert.
Aufgrund des Gesundheitszustandes war das Kind in eine Berliner Klinik verlegt und dort invasiv beatmet worden. Der Junge ging in eine Waldorf-Schule in Berlin. Die Schule hat sich bisher nicht öffentlich zum Tod des Schülers geäußert.
Junge (10) in #Spandau stirbt an Diphtheriehttps://t.co/xhZwZPbtcU — BZ Berlin B.Z. (@bzberlin) January 29, 2025
Mediziner warnt vor Folgen fehlender Impfung
Durch Kontaktnachverfolgung des Gesundheitsamts war bei einem weiteren Menschen aus dem familiären Umkreis des Kindes Diphtherie festgestellt worden. Aufgrund eines Impfschutzes habe die Person allerdings nur einen leichten Erkrankungsverlauf gehabt, teilte der Landkreis Havelland damals mit.
„Viele denken, dass die Ärzte diese Krankheiten heutzutage schon behandeln können. Aber so ist es in vielen Fällen eben nicht“, erklärt der Leiter der Kinder-Notfallmedizin des Klinikums Westbrandenburg, Bernhard Kosak. „Das stimmt nicht für Meningokokken, nicht für Pneumokokken, nicht für Masern, Mumps, Röteln, nicht für Diphtherie und Tetanus. Die kann ich eben nicht oder nur bedingt behandeln – ein hohes Risiko für Folgeschäden bleibt.“
Was ist Diphtherie?
Die Diphtherie ist eine durch Bakterien verursachte lebensbedrohliche Infektionskrankheit. Hauptübertragungsweg ist die sogenannte Tröpfcheninfektion, bei der die gefährlichen Bakterien über die Atemluft von Mensch zu Mensch übertragen werden. Zu Beginn der Erkrankung kommt es zur Rötung des Rachens und dem Anschwellen der Mandeln. Eindeutige Symptome sind fest haftende grau-weiße Beläge auf den Mandeln.
Welcher Arten unterscheidet man?
Erkrankte Menschen können, im Fall einer Hautdiphtherie, Wunden auf der Haut oder, im Fall einer Rachendiphtherie (pharyngealen Diphtherie), einen entzündeten Nasen-Rachen-Raum haben. Symptome einer Rachendiphtherie umfassen laut Robert Koch-Institut (RKI) unter anderem Halsschmerzen, Fieber, pfeifende Geräusche beim Einatmen, Schwellungen der Halslymphknoten, später kann eine Mandelentzündung auftreten.
Wie häufig ist Diphtherie heute in Deutschland?
Diphtherie-Todesfälle sind in Deutschland nach RKI-Angaben sehr selten:
2023 wurde dem RKI ein Todesfall aufgrund einer Hautdiphtherie bei einer erwachsenen Person übermittelt.
2024 war es bislang ein Todesfall aufgrund einer respiratorischen Diphtherie bei einem Erwachsenen. 2024 gab es dem RKI zufolge in Deutschland 51 bestätigte Erkrankungen, 2025 bislang 2.
Impfungen senkte Zahl der Fälle rapide
Dass die Krankheit so selten auftritt, hat damit zu tun, dass der Großteil der Menschen dagegen geimpft ist. Doch mit der Zeit lässt der Schutz nach, daher sind Auffrischungen wichtig. Lässt man sich impfen, bildet der Körper Antikörper gegen das Diphtherie-Toxin. Die Krankheit kann nicht ausbrechen.
Die Impfung bietet laut RKI einen zuverlässigen Schutz gegen die Symptome der Diphtherie, nicht aber vor der Infektion mit dem Erreger. Die Ständige Impfkommission (Stiko) rät allen zur Diphtherieimpfung.
Normalerweise erhalten Säuglinge zur Grundimmunisierung drei Dosen im Alter von zwei, vier und elf Monaten. Eine erste Auffrischungsimpfung empfiehlt die Stiko bei fünf- bis sechsjährigen Kindern, eine zweite im Alter von 9 bis 17 Jahren. Erwachsene sollten den Impfschutz alle zehn Jahre auffrischen lassen.
Was geschieht, wenn Diphtherie zu spät erkannt wird?
Wird die Diphtherie zu spät erkannt, kann es zu Organversagen bei Niere, Leber oder Herz kommen. Auch eine Nervenlähmung mit Todesfolge ist typisch für den Verlauf der Infektion. Grund für diese schweren Auswirkungen ist ein Giftstoff (Toxin), der über das Blut in die Organe transportiert wird. Die Erkrankung kann tödlich enden.
Mediziner lobt hohe Durchimpfungsrate
„Die Durchimpfungsrate ist sehr gut“, unterstreicht Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Deswegen sei die Gefahr, dass es nach einem Fall einen Ausbruch gebe, in Deutschland nicht so hoch.
Allerdings könne so ein Ausbruch dann passieren, wenn es eine empfängliche Gruppe gebe, wie etwa eine Schulklasse mit vielen ungeimpften Kindern. Eine Impfpflicht gegen Diphtherie hält er nicht für zielführend. „Das wäre nur dann sinnvoll, wenn wir eine erhöhte Bedrohungslage hätten.“ Diese gebe es aber wegen der hohen Impfquoten nicht. Die Krankheit tauche kaum auf.
Info: Kampf gegen Diphtherie
Emil Behring Der Berliner Medizin Pionier Emil Bering (1854-1917) suchte nach einem Mittel, das zum einen Diphtherie- Erkrankte heilen konnte, zum anderen bei Gesunden einer Ansteckung vorbeugte. Er experimentierte an Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen und Schafen. Dafür infizierte er die Tiere mit geringen Mengen des Gifts und gewann aus ihrem Blut ein Serum, das kranke Tiere heilte und gesunde immun machte. Der Durchbruch kam, als es Behring gelang, Antikörper in Pferdeblut heranzuzüchten und das Serum bei Menschen anzuwenden. 1894 begann die Serienproduktion, 1904 gründete Behring seine eigene Fabrik in Marburg, wo er auch als Professor an der Universität lehrte.
Paul Ehrlich Zwar war es Behring, der die Heilseren austüftelte, die Hunderttausenden das Leben retteten. Aber ohne Paul Ehrlichs (1854-1915) Hilfe wäre die Serienreife nie gelungen. Denn erst der Behring in spannungsreicher Freundschaft verbundene Ehrlich erfand eine Methode, die Konzentration des Wirkstoffs zu bestimmen und das Medikament zu standardisieren. Den Nobelpreis bekam Ehrlich 1908 für diese Hilfestellung für Behring – der 1901 als Erster überhaupt mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet wurde – nicht für seine wichtigste Arbeit, das 1910 eingeführte Syphilis-Mittel „Salvarsan“.