Dialysepatienten: Die Krankheit fährt mit in den Urlaub

Einfach mal spontan wegfahren – das ist für Dialysepatienten nicht möglich. Verreisen können sie aber trotzdem, denn viele Dialysezentren versorgen auch auswärtige Gäste. Wegen des Personalmangels ist dieser Service aber in Gefahr.

Helmut Wurche kommt dreimal pro Woche zu Ramona Münzenmaier ins Backnanger PHV-Dialysezentrum. Wenn er verreisen möchte, sucht er sich für die Blutwäsche eine Praxis an seinem Urlaubsort. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Helmut Wurche kommt dreimal pro Woche zu Ramona Münzenmaier ins Backnanger PHV-Dialysezentrum. Wenn er verreisen möchte, sucht er sich für die Blutwäsche eine Praxis an seinem Urlaubsort. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Helmut Wurche ist gerade aus dem Tannheimer Tal zurückgekommen. Zusammen mit seiner Frau, seiner Tochter und der 13-jährigen Enkelin hat er dort eine entspannte Urlaubswoche verbracht. Große Bergtouren unternimmt der 90-Jährige zwar nicht mehr, aber er geht noch immer gerne spazieren. Außerdem, so erzählt er, habe er mit seiner Gästekarte kostenlos die Gondeln und Sessellifte nutzen können.

Alle zwei Tage musste sich Wurche allerdings für einen Nachmittag ausklinken: Dann ging es für ihn mit dem Taxi ins 30 Kilometer entfernte Füssen. Im dortigen Dialysezentrum wurde für jeweils vier Stunden sein Blut gereinigt. Für den Backnanger ist das seit vier Jahren Alltag: Als Folge seines Bluthochdrucks sind seine Nieren geschädigt. Für den Rest seines Lebens muss er dreimal pro Woche zur Dialyse.

Dass er trotzdem in den Urlaub fahren kann, empfindet Helmut Wurche als ein Stück Lebensqualität. „Das gehört für mich schon dazu“, sagt der rüstige Senior, der früher als Hausarzt und Chiropraktiker tätig war. Deshalb ist er froh, dass auch seine Krankenversicherung den Tapetenwechsel unterstützt. Wenn er verreisen wolle, genüge ein Anruf in einer Dialysepraxis am Urlaubsort. Gibt es dort freie Plätze, nehmen diese meist auch Feriengäste auf. Das Backnanger Dialysezentrum übermittelt dann auch die Patientenakte dorthin. So hat das Personal vor Ort alle Informationen, um das Dialysegeräte richtig einzustellen und den Gast in gewohnter Qualität zu versorgen.

Zum Andrea-Berg-Konzert kommen auch Dialysepatienten nach Backnang

Im Backnanger PHV-Dialysezentrum in der Karl-Krische-Straße und seiner Außenstellen in Marbach am Neckar werden insgesamt rund 150 Personen versorgt. Die meisten von ihnen müssen dreimal pro Woche zur Blutwäsche. Einfach mal eine Sitzung ausfallen lassen, ist auch in den Ferien nicht möglich. Aber man kann die Dialyse am Urlaubsort machen. Ramona Münzenmaier schätzt, dass etwa 20 bis 30 Prozent ihrer Patienten diese Möglichkeit nutzen.

Auch im Backnanger Dialysezentrum sind gelegentlich Auswärtige zu Gast. „Wenn Andrea-Berg-Konzert ist, wissen wir schon genau, wer wieder zu uns kommt“, erzählt die Zentrumsleiterin lachend. Kürzlich sei sogar ein Patient aus Chile bei ihnen zu Gast gewesen. Grundsätzlich ist die Dialyse weltweit möglich. Auf beliebten Ferieninseln wie Mallorca oder Teneriffa gibt es sogar eigene Dialysezentren für Touristen. Ramona Münzenmaier kennt auch eine Kollegin, die im Urlaub Reisende auf Kreuzfahrtschiffen an die Maschinen anschließt und betreut.

Die meisten der überwiegend älteren Patienten beschränken sich allerdings auf deutschsprachige Reiseziele. Das ist auch bei Ursula Heinrich so. „Ich will verstehen, was die Maschine macht“, sagt die 61-Jährige aus Oberweissach. Wenn sie sich mit dem Personal nicht richtig verständigen könnte, wäre ihr unwohl. Außerdem misstraut sie auch den hygienischen Standards in manchen Ländern.

Insgesamt viermal wurde ihr eine Niere transplantiert

Ursula Heinrich ist bereits seit ihrem 19. Lebensjahr auf die Blutwäsche angewiesen. Eine nicht erkannte Entzündung hat in jungen Jahren ihre Nieren zerstört. Insgesamt viermal wurde ihr seitdem eine Niere transplantiert. Danach konnte sie zeitweise ein normales Leben führen: „Das bedeutete Freiheit.“ Doch keines der Spenderorgane tat länger als acht Jahre seinen Dienst. Danach ging es jedes Mal wieder zurück zur Dialyse, zuletzt im Jahr 2016. „Das war schon hart“, erinnert sich die Frührentnerin. Denn obwohl sie froh darüber ist, dass sie trotz ihrer Krankheit verreisen kann, bedeute Dialyse eben auch erhebliche Einschränkungen. „Es ist nur ein halber Urlaub, denn jeden zweiten Tag ist man ja weg“, sagt Ursula Heinrich. Das sei auch für die Reisebegleitung nicht einfach. Hinzu kommt, dass sie sich nach der Blutwäsche erst einmal schlapp fühlt. Und auch beim Essen und Trinken müssen sich Dialysepatienten zügeln. Lebensmittel, die viel Kalium enthalten, wie zum Beispiel Bananen, sollten sie ebenso meiden wie zuckerhaltige Getränke oder größere Mengen Alkohol.

Sorgen macht den Patienten der zunehmende Personalmangel in den Dialysezentren. Der könnte dazu führen, dass auswärtige Gäste vielerorts bald gar nicht mehr aufgenommen werden. „Als ich kürzlich an der Ostsee war, hat man mir dort im Dialysezentrum schon gesagt, dass das nächstes Jahr voraussichtlich nicht mehr geht“, erzählt Ursula Heinrich. Ramona Münzenmaier befürchtet, dass so etwas künftig häufiger vorkommen wird, denn wie der gesamte Pflegesektor suchen auch die Dialysezentren dringend Personal. Das gilt auch für die Backnanger Einrichtung, trotzdem wurden hier bis jetzt noch keine Gastpatienten abgelehnt. „Wir haben es immer möglich gemacht“, sagt die Leiterin. Denn sie weiß, wie wichtig dieses kleine Stück Freiheit für die kranken Menschen ist.

Dialyse

Betroffene In Deutschland sind rund 80.000 Menschen dauerhaft auf Dialyse angewiesen. Sie ist immer dann notwendig, wenn die Nieren ihre Reinigungsfunktion nicht mehr richtig erfüllen. Ursachen für chronisches Nierenversagen können zum Beispiel Diabetes oder Bluthochdruck sein.

Blutwäsche Bei einer Dialyse wird dem Körper Blut entnommen und im Dialysegerät über eine Membran gefiltert. So werden dem Körper Giftstoffe und eingelagertes Wasser entzogen. Anschließend wird das gereinigte Blut wieder in den Körper zurückgeführt. Die Dialyse ist in der Regel dreimal pro Woche nötig und dauert jeweils zwischen vier und fünf Stunden.

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Erstellt:
9. August 2023, 14:30 Uhr

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