Neue Schulden
Die atemberaubende Kehrtwende des Friedrich Merz
Vor der Wahl hatte der Kanzlerkandidat das glatte finanzpolitische Gegenkonzept von dem vertreten, was er nun mit der SPD vereinbart hat, sagt unser Berliner Korrespondent Norbert Wallet.

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Friedrich Merz (CDU) macht den Weg zu massiven neuen Kreditaufnahmen frei.
Von Norbert Wallet
Es gibt gerade sehr viel Verwunderung über die, sagen wir, strategische Flexibilität, die Friedrich Merz derzeit an den Tag legt. Dabei sollten seine Kritiker genau darauf achten, was sie ihm eigentlich vorwerfen. Seine Meinung zu ändern und endlich die Einsicht zu gewinnen, welche Einschränkung der politischen Gestaltungskraft die Schuldenbremse immer bedeutet hat, ist nicht ehrenrührig, sondern lobenswert.
Nur Macchiavellisten können das als kaltschnäuzig preisen
Die Wähler über den eigenen Sinneswandel im Unklaren zu lassen, ja sogar mit einem glatten konzeptionellen Gegenentwurf um ihre Gunst zu werben, also einen Kurs der strikten Konsolidierung und des finanzpolitischen Maßhaltens zu propagieren, um dann unmittelbar nach der Wahl den Weg zu Kreditaufnahmen in historischem Ausmaß freizumachen – das allerdings ist bemerkenswert.
Hartgesottene Macchiavellisten können das vielleicht als kühn oder kaltschnäuzig preisen. Unter Anwendung aller normalen Maßstäbe ist das eine sehr unfaire Behandlung der Wähler. Das Arsenal der politischen Rhetorik stellte hier noch weit deutlichere Vokabeln zur Verfügung.
Merz kann sich nicht hinter der veränderten Weltlage verstecken. Es geht ja nicht nur um das Militärische, sondern auch um die (längst überfällige) Modernisierung der Infrastruktur. Und die deutschen Brücken waren vor der US-Wahl so marode wie danach.
Der scheidende grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte Merz im Bundestag ausbuchstabiert, wie die veraltete Infrastruktur die wirtschaftliche Entwicklung hemmt. Nun übernimmt Merz praktisch wörtlich Habecks Begründung für das Aufnehmen milliardenschwerer neuer Kredite.
In der Sache ist das der richtige Schritt. Aber der atemberaubende Schwenk wird Merz noch lange verfolgen. Wähler haben ein langes Gedächtnis, und in seiner Partei ist längst nicht jeder glücklich. Die Kanzlerwahl kann noch spannend werden.