Die Bürokratie macht vielen zu schaffen
Wir schaffen das! Tatsächlich? Die Unterstützung für geflüchtete Menschen im Raum Backnang wird seit Jahren auch von der Hilfsbereitschaft und dem Engagement verschiedener ehrenamtlicher Gruppierungen getragen. Bei zweien davon haben wir nachgefragt, wie es derzeit um sie bestellt ist.
Von Bernhard Romanowski
BACKNANG. Die Antwort auf die Frage, wo die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe steht und was bislang alles erreicht wurde, sei schwer allgemein zu fassen, sagt Maria Neideck vom Arbeitskreis Asyl Backnang. Ihren persönlichen Eindruck aber könne sie klar formulieren: „Wir können und müssen die Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, über die behördliche Unterstützung hinaus betreuen.“ Viele kommen laut Neideck gut klar hier in Deutschland. Es gebe aber auch „eine erkleckliche Zahl“ an geflüchteten Menschen, die große Schwierigkeiten haben, hier Fuß zu fassen. Hier sieht Neideck den Staat stärker in die Pflicht genommen.
Einige Flüchtlinge kommen demnach nicht hinterher, was die notwendigen Sprachkenntnisse angeht. Die Kurse, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vermittelt, liefen nur nach Schema F und gingen nicht auf die Bedürfnisse der Teilnehmer ein. Da seien Teilnehmer, denen das lateinische Alphabet Schwierigkeiten bereite, andere hätten Probleme, weil sie bildungsfernen Kontexten entstammen. Einzelunterricht sei wichtig, so Neideck mit Bestimmtheit im Ton. Neideck: „Dazu muss man geduldig sein und gucken: Was können die Leute lernen? Was kann ich besteuern? Für den Einzelunterricht können wir Ehrenamtliche ohne Ende gebrauchen.“
Und ebenso wie in anderen Bereichen zeitige auch hier Corona seine Folgen. Sämtliche Angebote fallen derzeit weg. Zwei der Akteure des Arbeitskreises Asyl in Backnang seien über 50, die anderen alle über 70 Jahre alt. „Seit Beginn der Pandemie haben wir uns zwei-, dreimal getroffen. Aber geistig sind wir alle an Bord“, so Neideck weiter. Seit 2015 sei viel geschehen durch die ehrenamtlichen Gruppen im Land mit vielen äußerst engagierten Helfern. Doch die Menschen, die vor fünf Jahren auf der Flucht vor Armut oder Krieg in Deutschland gelandet seien, hätten am meisten profitiert, meint Neideck. Vor fünf Jahren seien es vor allem Syrer gewesen, die nach Deutschland kamen. Diese Menschen hätten zuvor schon sehr nah am europäischen Lebensstil gelebt und seien grundsätzlich „europaaffiner“, wie die Aktivistin es formuliert. Ihnen seien mehr Möglichkeiten angeboten worden von behördlicher Seite. Neideck: „Da konnte das Ehrenamt dann drauf aufbauen.“
Auch Bärbel Raitzig kümmert sich schon seit Jahren und mit großem Einsatz an Zeit und Energie um die Unterstützung geflüchteter Menschen. Sie gehört dem Arbeitskreis Integration in Auenwald an. Auch sie gibt ihre Beobachtung wieder, dass viele der Geflüchteten seit dem Merkel-Diktum „Wir schaffen das!“ von 2015 viel geleistet hätten und auf einem guten Weg seien. „Ich habe mal irgendwo gelesen, dass es rund acht Jahre dauert, bis sich Flüchtlinge in dem für sie fremden Land integriert haben. Insofern stehen wir gerade mittendrin“, so Raitzig zum Status quo in diesem Bereich. Hier sei die Einstellung, die Bereitschaft zur Integration der Geflüchteten wichtig. „Ich kann mir umgekehrt gut vorstellen, dass ich arge Schwierigkeiten hätte, mich anzupassen, wenn ich plötzlich in Marokko oder Nigeria leben müsste“, zeigt Raitzig Verständnis für die Schwierigkeiten, die manche Flüchtlinge hier in Deutschland haben.
Da gebe es durchaus jene, die allzu sehr der Vorstellung von Deutschland als einem Land nachhängen, in dem es schöne Häuser und schicke Autos gibt, aber sich nicht klarmachten, dass einem diese Dinge nicht einfach in den Schoß fallen. Auch der gesellschaftliche Kontext und der Bildungshintergrund spielen laut Raitzig eine große Rolle: „Jemand, der vorher etwa als Schafzüchter auf dem Land gelebt hat, wird arge Probleme haben, hier bei uns anzukommen.“ Als eine der größten Schwierigkeiten erweise sich immer wieder die deutsche Bürokratie. „Das ist für viele Menschen erschlagend. Dafür brauchen sie unsere Unterstützung“, so Raitzig. Sie selbst sei indessen ihrerseits dankbar für all die neuen Dinge, die sie von den neu angekommenen Menschen über deren Kultur lernen kann. „Ich helfe bei den Formularen, dafür lerne ich dann etwa, wie man leckere Gözleme macht. Das ist meine Bezahlung“, so die Auenwalderin. Bei der Integrationsarbeit gehe es also um gegenseitige Akzeptanz. Wobei bestimmte Dinge eben nicht verhandelbar seien.
Die Ehrenamtler wie die Mitglieder des Vereins Kubus und der Zukunftswerkstatt Rückenwind in Backnang seien in der Position, auf die Menschen zuzugehen und ihnen die Notwendigkeit bestimmter Dinge in Deutschland zu vermitteln. Wohingegen die hauptamtliche Flüchtlingssozialarbeit eben auf fixen Zeiten und Formularen beruhe, die jemand beizubringen hat, egal welche persönlichen Schwierigkeiten damit verbunden sind. Doch wie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens hat auch bei der Hilfe für geflüchtete Menschen die Coronapandemie vieles verändert. „In Auenwald waren wir vor der Coronakrise rund 20 Akteure. Jetzt sind es noch fünf bis sechs“, berichtet Raitzig. Das sei nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass viele Helfer schon älteren Semesters und entsprechend auf der Hut vor einer Infektion mit dem Coronavirus seien.
„Auch unser beliebtes Grillfest im Sommer konnte wegen Corona nicht stattfinden“, erzählt Raitzig. Wenn ein Impfstoff zum Einsatz kommt, werde auch die Flüchtlingssozialarbeit langsam wieder mit entsprechenden Angeboten Fahrt aufnehmen. „Das braucht Kraft und Zeit, das hat man ja nach dem ersten Lockdown gesehen“, prophezeit Raitzig, die davon ausgeht, dass dann auch wieder mehr Ehrenamtler zur Verfügung stehen werden.