Die Ein-Mann-Show der Liberalen

Christian Lindner überragt alle in der FDP – Von der Fokussierung auf seine Person will die Partei aber langsam weg

Beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart am Sonntag hat Parteichef Lindner sich optimistisch zum Wahljahr 2019 geäußert. Und wieder mal alle anderen in den Schatten gestellt.

Stuttgart Zweimal hat Christian Lindner kürzlich in Interviews gesagt, dass die FDP jederzeit auch ohne ihn gut weiterleben könne – eine indirekte Anspielung auf ein Luxusproblem der Liberalen, das kurz vorm Dreikönigstreffen dann öffentlich von Ria Schröder, der Vorsitzenden der Jungen Liberalen, angesprochen worden ist: Die Partei müsse „daran arbeiten, dass nicht nur Einzelpersonen im Fokus stehen“. Gemeint ist natürlich Christian Lindner, von einer „One-Man-Party“ war in den Medien die Rede und bekannt ist, dass mancher TV-Sender lieber keinen Liberalen zu einer Talkshow einlädt, wenn die Prominenten Lindner oder Wolfgang Kubicki mal verhindert sind, als einen unbekannten.

Im kleinen Kreis sagt Lindner selbst, dass er gerne FDP-Persönlichkeiten wie Johannes Vogel, Linda Teuteberg, Christian Dürr, Nicola Beer, Stephan Thomae oder Alexander Graf Lambsdorff ins Rampenlicht schieben würde. Kennt die jemand? Nicola Beer immerhin ist FDP-Generalsekretärin und EU-Spitzenkandidatin. Sie kam am Sonntag zum Dreikönigstreffen im Opernhaus in einem gelben Mantel und einer blauen Jacke, und damit war sie die Einzige, die einem vom FDP-Landeschef Michael Theurer am Vortag beim Landesparteitag in Fellbach ausgesprochenen Appell gefolgt war: „Wir müssen vor der Europawahl in den gelb-blauen Kampfanzug schlüpfen.“ Ansonsten fiel die Rede von Beer, in der zur „Wiederbelebung des europäischen Geistes“ aufgerufen wurde, insofern riskant aus, als sie das Publikum in der voll besetzten Oper dazu aufrief, „mit mir die Augen zu schließen“, um über das FDP-Motto „Chancen nutzen“ zu sinnieren. Da lief mancher Gefahr, schon vor dem Mittagessen einzudämmern.

Nicht der wackere Michael Theurer oder der seine Rede mit Aphorismen und seiner Thomas-Strobl-Aversion spickende FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke („Strobl, der politische Dilettant aus Berlin“) sind die Zugnummern beim Dreikönigstreffen, es ist Christian Lindner. Die FDP-Führung hatte, „um mal zu zeigen, wie breit unsere Basis aufgestellt ist“, so Michael Theurer, das Bühnenkonzept geändert. Statt die vier Einzelredner auf die Bühne zu setzen wie früher, saßen jetzt acht liberale Frauen und acht Männer dort auf weißen Lederbänken – eine Bürgermeisterin aus Sachsen, die EU-Spitzenkandidaten, das jüngste Neumitglied und andere. Aber sie alle bildeten eigentlich nur eine Kulisse für den Bundesvorsitzenden. Und der sprach gleich am Beginn seiner Rede das latente Personalproblem der Liberalen an. Man sei erfolgreich und habe ein gutes Jahr der parlamentarischen Arbeit hinter sich: „Jetzt entwickeln wir im Bundestag auch langsam fachliche Profile“, sagt Lindner, und die würden in der Öffentlichkeit auch stärker wahrgenommen.

Das breite Publikum nimmt aber zuerst mal Lindner wahr. Mehr als eine Stunde spricht er im Opernhaus, witzig, provokant und mit überraschenden Wendungen – ständig unterbrochen von Zwischenapplaus. Linder sieht die FDP gut aufgestellt, auch wenn die anstehenden Wahlen gerade im Osten „kein einfaches Pflaster“ seien. Am Anfang des Jahres 2017 hätten die Umfragewerte für die FDP bei sechs Prozent gelegen, heute seien sie bei zehn Prozent. Er lobt die Arbeit der FDP, denn die habe die großen personellen Veränderungen in der Bundespolitik – also die Aufgabe des CDU-Vorsitzes von Angela Merkel – beschleunigt. „Die Ära Merkel geht zu Ende. Ich zolle Angela Merkel als Persönlichkeit meinen Respekt“, sagt Lindner – um sich kurz darauf an Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer abzuarbeiten. Die CDU habe sich gegen Merz’ These entschieden, dass Wohlstand erwirtschaftet werden müsse. „Wenn die das nicht wollen, werden wir das handhaben“, sagt Lindner, und der Saal jubelt. Im Übrigen sei Merz ja als CDU-Ministerpräsident für Baden-Württemberg gehandelt worden, offenbar nach dem Motto: „Merz kann alles. Außer Schwäbisch“ – auch das ist ein Volltreffer. Er frage sich übrigens, so Lindner, ob Merz nicht nur Politik für den „gehobenen Mittelstand“ machen wolle. Dann legt er eine überraschende sozialpolitische Volte hin: Unter dem Titel „Agenda für die Fleißigen“ führt er nicht den Mittelstand auf, sondern listet lauter Menschen am unteren Einkommensrand auf: Rentnerinnen mit geringem Einkommen und kleiner privater Altersvorsorge, Senioren mit Teilrente, Hartz-IV-Empfänger, die etwas arbeiten wollen – ihnen allen will die FDP mit besseren Freibeträgen und einer weniger starken Anrechnung von Einkünften auf die Grundsicherung helfen: „Unser Sozialstaat ist für Fleißige ein Hamsterrad, sie müssen sich immer bewegen, ohne finanziell von der Stelle zu kommen!“ Schließlich noch die Häuslebauer – denen werden mit der Grunderwerbsteuer „Knüppel zwischen die Beine geworfen“.

Christian Lindner, der vor sechs Jahren mit 34 der jüngste Vorsitzende der FDP wurde, ein Politikwissenschaftler, geboren in Wuppertal, spricht frei. Keiner scheint wie er beseelt von der Idee, dass eine freie marktwirtschaftliche Ordnung alles zum Guten richten wird. Der Klimaschutz soll durch Innovationen möglich werden, nicht durch „ökologische Kommandowirtschaft mit Verboten, Quoten und Bevormundung“. Selbst als Gegenmittel für den rechten Populismus in Europa sieht er das ­liberale Konzept, denn das habe Antworten auf die Ängste der auch nicht so gut betuchten Menschen vor Digitalisierung, Migration und Globalisierung. „Wir haben Respekt vor jeder Form der privaten Lebensführung.“ Das schließe auch ein, dass Besitzer von älteren Dieselfahrzeugen nicht mit Fahrverboten belegt und praktisch enteignet werden. Dass da „Konfliktlinien“ zwischen Oben und Unten missachtet worden seien, zeige das Beispiel der Proteste der Gelbwesten in Frankreich.

„Wir laufen niemandem hinterher, aber wir sind jederzeit bereit, politische Verantwortung für unser Land zu übernehmen“, kündigt Lindner an. Vermutlich wird es die FDP bei neuen Koalitionsoptionen mit Annegret Kramp-Karrenbauer zu tun haben, doch ihr gegenüber zieht Lindner gleich rote Linien: „Dass Kramp-Karrenbauer die Ehe für alle in einem Satz mit Inzest und Polygamie nennt, ist nicht konservativ, das ist reaktionär.“ Sollte die CDU eine gesellschaftspolitische Rückabwicklung vornehmen, mache die FDP da nicht mit. Im Übrigen seien die Archive voll mit „törichten“ wirtschaftspolitischen Ideen von Kramp-Karrenbauer für Steuererhöhungen und Eingriffe in die Selbstregulierung der Wirtschaft. „Der Staat muss sich an den Wünschen der Menschen orientieren – nicht umgekehrt“, ruft der oberste Liberale. Am Ende erhält er Applaus im Stehen. „Das ist ein brillanter Redner“, sagt einer im Hinausgehen. Das FDP-Treffen war wieder Lindners Show. Am Montag wird er 40 Jahre alt.

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Erstellt:
7. Januar 2019, 03:14 Uhr

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