Abkommen
Die EU überwindet ihr Schweizer Trauma
Bern und Brüssel wollen die Zusammenarbeit neu regeln. Nach Jahren der zähen Verhandlungen ist ein Abkommen nun unterschriftsreif, doch das allerletzte Wort hat das Schweizer Volk.
Von Knut Krohn
Selbst Europas Optimisten üben sich beim Thema Schweiz in größter Vorsicht. „Nichts ist vereinbart, bevor nicht alles vereinbart ist“, betont ein EU-Diplomat. In Brüssel kämpft manch ein Unterhändler noch immer mit einem tief sitzenden Schweiz-Trauma. Dabei standen die Chancen für ein Abkommen zwischen Bern und der EU selten so gut wie jetzt. Und doch erinnern viele an den Moment vor drei Jahren, als Bern die sich endlos hinziehenden Verhandlungen mit der EU für ein übergreifendes Rahmenabkommen kurz vor dem ersehnten Ende unvermittelt abbrach. Brüssel war brüskiert angesichts dieser Volte. Zur Begründung aus Bern hieß es damals, das geplante Abkommen habe keine Chance, die Schweizer Bürger zu überzeugen.
Eine Ohrfeige für die Diplomaten aus Brüssel
Im Moment werden die Beziehungen also weiter durch mehr als 100 bilaterale Abkommen geregelt, die allerdings eines nach dem anderen auslaufen. Der Grund: nach der blamablen Berner Ohrfeige war man in Brüssel nicht mehr gewillt, die Verträge in mühseliger Kleinarbeit einzeln zu verlängern. Das aber bereitet der kleinen Schweiz mehr Probleme als der mächtigen Europäischen Union, dem größten Handelspartner der Eidgenossen. Aus diesem Grund wurden im Frühjahr 2024 die Gespräche erneut aufgenommen.
Nun steht der zweite Anlauf kurz vor dem wahrscheinlich erfolgreichen Ende. Anstatt eines alles umfassenden Rahmenabkommens habe die EU zugestanden, übergreifende Regeln in die einzelnen Abkommen zum Binnenmarktzugang der Schweiz aufzunehmen, beschreibt Andreas Schwab das nicht ganz einfach darzustellende Ergebnis. Der CDU-Mann ist Abgeordneter im Europaparlament und Vorsitzender der Delegation, die sich mit den Beziehungen zur Schweiz befasst. Als Baden-Württemberger, ein Bundesland, aus dem jeden Tag rund 60.000 Menschen über die Grenze pendeln, ist Schwab natürlich brennend an einer Beilegung der Streitigkeiten interessiert.
Die Schweiz will Zugang zum EU-Binnenmarkt
In dem Abkommen soll in mehreren Kapiteln vor allem der Zugang der Eidgenossen zum riesigen EU-Binnenmarkt oder auch die Personenfreizügigkeit geregelt werden. Zudem erhält die Schweiz eine Zusicherung zur Teilnahme an den für sie wichtigen EU-Forschungsprogrammen. Auch wird sich Bern vertraglich verpflichten, einen Kohäsionsbeitrag an ärmere EU-Staaten zu zahlen. Das hat das Land bereits früher getan, die Transferleistung war aber freiwillig.
„Europa und die Schweiz sind engste Nachbarn und auch wirtschaftlich miteinander verwoben“, erklärt Andreas Schwab erleichtert. „Die bilateralen Abkommen aus den neunziger Jahren können den heutigen Anforderungen der Zusammenarbeit nicht mehr vollständig genügen. Deshalb ist es ein wichtiges Zeichen, wenn die Verhandlungen nun zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden.“ Das nutze der Schweiz und Europa gleichermaßen.
Die Gegner des Abkommen formieren sich
Das alles sei reine Augenwischerei empören sich die eidgenössischen Gegner einer Zusammenarbeit mit der Europäischen Union. Nun sei zwar alles in einzelnen Absätzen festgeschrieben, man müsse aber das Ganze sehen und am Ende sei der Vertrag auch nichts anderes als das verhasste Rahmenabkommen. In ihrem Furor planen die Kritiker bereits ihre Abwehrschlacht.
Dass der Schweizer Bundesrat wahrscheinlich am Freitag sein Einverständnis für den Vertrag geben wird, gilt als gesichert. Zur formellen Bestätigung wird sogar die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Bern bei der Bundespräsidentin Viola Amherd erwartet. Danach aber wird das Abkommen noch dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Hier sehen die gut organisierten und mit viel Geld ausgestatteten Gegner ihre große Chance. Es kann also sein, dass auf die Unterhändler in Brüssel nach diesem Erfolg doch noch traumatisches Ereignis wartet.