Die Vendée Globe 2024/2025
Die Extrem-Regatta
Die Vendée Globe gilt als die härteste Segelregatta der Welt. Nach der Durchquerung des stürmischen Polarmeeres nähert sich die zehnte Auflage nun wieder ihrem Ausgangspunkt in Frankreich. In füheren Rennen hatten nicht alle Skipper die Erdumrundung überlebt.
Von Stefan Brändle
40 Skipper, darunter sechs Frauen, sind am 10. November in Les Sables d’Olonne in Westfrankreich zur zehnten Ausgabe der Vendée Globe gestartet. Bei schwachen Winden durchquerten sie den Atlantik südwärts und umschifften das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika. Danach durchquerten sie den Indischen Ozean und den Pazifik so südlich wie möglich, um die Distanzen kurz zu halten. Zum Eismeer der Antarktis mussten sie einen Mindestabstand einhalten.
Im Südpolarmeer trimmten sie die Segel zu den „Roaring Forties“, den brüllenden Vierzigern zwischen 40. und 50. Breitengrad: Dort löst ein Sturm den anderen ab. Die Wellen sind bis zu 20 Meter hoch, die peitschenden Winde so laut wie Flugzeugdüsen. Die Segelprofis schlafen mit den Füßen voran, um Schläge abzufedern, wenn das Boot gegen einen Eisberg, Treibgut oder einen Wal prallt. Die meisten Skipper folgen einem sehr eigenen Schlafrhythmus, zum Beispiel 15 Minuten alle vier Stunden. Derzeit befinden sich die führenden Skipper im Atlantik. Mitte Januar werden sie in Les Sables d’Olonne zurückerwartet.
Die Regeln sind strikt: Man segelt allein und nonstop, lässt sich nicht helfen und läuft keinen Hafen an. Nach den Unfällen der ersten Vendée Globe 1989 wurden zusätzliche Vorschriften erlassen: Der Schiffsrumpf muss nun mit Leuchtfarbe bemalt sein, um Rettungsaktionen zu erleichtern; die Schiffe müssen sich von selbst wieder aufrichten. An den Grenzen des Südmeeres strapazieren die Solosegler auch ihre menschlichen Grenzen.
Mörderische See
1989 erreichten nur sieben von 13 Gestarteten den Ausgangshafen Les Sables d’Olonne in der Vendée südlich der Bretagne. Einer reparierte seine havarierte Jacht selbst, einer änderte den Kurs, um einem Kollegen zu helfen. Gewinner wurde der Franzose Titouan Lamazou in 109 Tagen, acht Stunden und 48 Minuten.
Beim zweiten Rennen 1992 kam der sympathische Brite Nigel Burgess kurz nach dem Start ums Leben, als ihn vermutlich ein Sturm über Bord fegte. Seine Leiche wurde in seinem Rettungsanzug in den Wellen treibend geborgen. Etwas später wurde Bertrand de Broc in einem Unwetter im ganzen Gesicht verletzt, wobei er sich die halbe Zunge abbiss. Von einem Arzt per Telex angewiesen, gelang es ihm, die Zunge selber wieder anzunähen. Er hatte dafür lediglich einen Taschenspiegel und eine Nadel.
1996 erlitt der Franzose Raphaël Dinelli 2000 Seemeilen südlich von Australien Schiffbruch. An einem Seil hielt er sich anderthalb Tage lang auf dem Rumpf des umgeschlagenen Bootes, bis es unterging, dann wechselte er auf sein Rettungsfloß. Schließlich eilte ihm der britische Skipper Pete Gross zu Hilfe, um ihn bei hohem Wellengang zu retten.
Im gleichen Rennen kenterte auch das Boot des Briten Tony Bullimore in heftigen Sturmböen. Der Verunfallte hielt sich fünf Tage lang in einer Luftblase, ohne Licht und Essen, bis ihn ein australisches Kriegsschiff ausfindig machte. Als die Besatzung das kieloben treibende Boot betrat, staunte sie nicht schlecht, als sie aus dem Inneren des Rennbootes Klopfzeichen des Überlebenden vernahm.
Weniger Glück hatte der Kanadier Gerry Roufs in der dritten und mörderischsten Ausgabe der Vendée Globe. Seine Rennjacht zerbrach in 20-Meter-Wellen. Von Roufs fehlte jede Spur.
2020 zerbrach Kevin Escoffiers Boot in einer haushohen Welle der Roaring Forties. Der Franzose konnte gerade noch einen Notruf senden und sein Rettungsfloß aufblasen. Vier Skipper eilten ihm in der aufgewühlten See zu Hilfe, darunter der im Rennen führende Yannick Bestaven.
Gewonnen haben die Regatta bisher nur Franzosen. Bis zu 300 000 Zaungäste feiern die eintreffenden Skipper in Les Sables d’Olonne wie Helden, selbst wenn sie mitten in der Nacht mit Leuchtfackeln eintreffen. Am populärsten ist der bretonische Mehrfachteilnehmer Jean Le Cam (65), der schon mehrere Vendée Globes überstanden hat. 2008 wurde er am Kap Hoorn (Südamerika) von einem Konkurrenten gerettet; 2020 fischte er dann unter gefährlichsten Bedingungen einen anderen Skipper auf.
Ein Deutscher gilt als Favorit
Bis heute haben nur 114 von 200 Gestarteten das Ziel erreicht. Gefragt, was ihr persönliches Ziel in der Regatta sei, antworten die meisten Skipper: „Ankommen.“ Gewinnen ist Nebensache nach 45 000 Kilometern allein auf hoher See, Monaten höchster physischer und psychischer Belastung, nach Sturmtiefs, Eisböen und Wellen, die einem verunfallten Skipper so hoch vorkamen „wie die Alpen“.
Zu den Favoriten der zehnten Regatta-Auflage gehört Boris Hermann (43). Der Hamburger hatte die Vendée Globe 2020 als erster Deutscher abgeschlossen und kam auf den guten fünften Platz. Dabei ist auch die Deutsch-Französin Isabelle Joschke (47). Die in München geborene Tochter eines Deutschen und einer Französin kam relativ spät zur Vendée Globe. Vor vier Jahren hatte sie erstmals an der Vendée Globe teilgenommen. Sie erlitt damals aber einen Bootsschaden und verpasste die Wertung. Im aktuellen Rennen liegt sie in der Mitte des noch 35-köpfigen Feldes. Fünf Skipperinnen und Skipper haben bis jetzt aufgegeben.