Die Familie darf nicht zusammenkommen

Wir schaffen das! Tatsächlich? (6): Gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern ist Ahmad Alafandi 2015 aus Syrien geflohen, zunächst in die Türkei. Von dort ging es für ihn weiter nach Deutschland. Jetzt können sie sich nicht mal mehr besuchen.

Ahmad Alafandi kann seine drei Kinder Tarek (links), Lugain und Mustafa (rechts) sowie auch seine Frau Bushra nur auf dem Handy sehen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Ahmad Alafandi kann seine drei Kinder Tarek (links), Lugain und Mustafa (rechts) sowie auch seine Frau Bushra nur auf dem Handy sehen. Foto: A. Becher

Von Florian Muhl

ALLMERSBACH IM TAL. Die Lage von Ahmad Alafandi ist verzwickt, erscheint aussichtslos. Der Syrer wollte seine Frau und die drei Kinder vor fünf Jahren in Sicherheit bringen, wählte die Türkei als erst einmal sicheres Ziel, ging dann allein nach Deutschland, um dann seine Familie nachzuholen. Aber das ging und geht genauso wenig, wie jetzt für ihn die Reise zurück in die Türkei, um seine Familie wiederzusehen. Der 50-Jährige ist dankbar für alle Hilfe, die ihm hier entgegengebracht wurde, besonders vonseiten des Asylkreises Allmersbach im Tal. Aber er ist frustriert und resigniert. Hätte er all das, was ihm widerfahren ist, vorher gewusst, wäre er bei seiner Familie in der Türkei geblieben.

Alafandi spricht noch nicht gut Deutsch. Zum Termin bringt er einen Dolmetscher mit. Es ist Ahmad Khaled. Die beiden kennen sich seit 2015. Alafandi war damals aus Aleppo geflohen, Khaled aus Damaskus. Im Flüchtlingslager in Allmersbach, das im ehemaligen Penny-Markt eingerichtet worden war, kamen sie zusammen. Khaled hat mittlerweile seine Familie, Frau und vier Kinder, nach Deutschland nachholen können. Der 31-Jährige arbeitet Vollzeit als Lehrer. Er übersetzt, was Alafandi von seiner Flucht berichtet.

Ahmad Alafandi war glücklich in Aleppo. Nach dem Abitur hat er im Marketing in der Lebensmittelbranche gearbeitet. Seine Frau hat er sich nicht selbst gesucht. Wie in Syrien üblich, haben das seine Mutter, seine drei Schwestern und gute Bekannte getan. Sie sitzen beim Kaffee zusammen und überlegen, welche Frau zu ihm passen könnte. Haben sie eine auserkoren, wird er allerdings auch gefragt. Und er war mit der Wahl sehr zufrieden. Er war 27 Jahre alt, als er die 30 Jahre alte Lehrerin Bushra heiratete. Gleich nach der Hochzeit zogen die beiden zusammen. Zuerst haben sie zwei Buben bekommen, Mustafa kam 1999 zur Welt und Tarek ein Jahr später. 2004 kam noch ein Mädchen dazu, Lugain.

Im März 2011 ist dann der Krieg ausgebrochen und die Familie schlug sich durch. Sie alle wären auch geblieben, wenn der Familienvater nicht eines Tages, im Mai 2015, einen Tipp von einem Freund erhalten hätte, der damals beim Geheimdienst arbeitete. „Wir haben dich auf unserer Liste“, hatte er mahnend gesagt und hinzugefügt: „Du solltest so schnell wie möglich verschwinden.“ Warum sein Name auf der Geheimdienstliste steht, kann sich Alafandi denken, aber er will es nicht in der Öffentlichkeit sagen.

Gleich am nächsten Tag das Auto und die Wohnung verkauft.

Alafandi nahm den Hinweis sehr ernst, verkaufte gleich am nächsten Tag seine Wohnung und sein Auto und kündigte seinen Job. Dann stand die Flucht an. Türkei war das erste Ziel. Von dort habe er gehört, dass es Arbeit gebe. Die Familie packte zusammen, was sie tragen konnte, fuhr mit dem Taxi in den Libanon, von dort mit dem Schiff in die Türkei, von der Hafenstadt Mersin nach Istanbul, wo sie am 22. Mai ankam. Alafandi hat dort eine Wohnung gemietet und Arbeit gesucht. Aber drei Monate später hatte er noch immer keine Beschäftigung gefunden. Das Leben war teuer, das Geld wurde weniger, es musste sich was ändern. Er hatte in Istanbul gehört, dass es in Deutschland besser sei als in der Türkei. So trennten sich die Wege. Er wollte auf eigene Faust nach Deutschland gehen und die Familie später nachholen. Sie dachten an etwa ein halbes bis längstens ein Jahr der Trennung. Das verbliebene Geld wurde hälftig aufgeteilt. Für einen gefälschten Pass, den er zur Einreise nach Deutschland brauchte, zahlte Alafandi in der Türkei 12000 Euro. Er flog nach Nürnberg und landete im nahe gelegenen Zirndorf.

Die mittelfränkische Stadt Zirndorf war mehrere Jahrzehnte der Standort des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, heute Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das erklärt, warum hier lange Zeit auch das „Sammellager für Ausländer“ des Bundes angesiedelt war. Heute befindet sich an gleicher Stelle die Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE), eine von zwei Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates Bayern. Nach einer Woche ging’s weiter nach Ellwangen, wo sich eine Außenstelle des Bundesamtes und die Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) befindet. Einen Tag später wurde er nach Heidelberg in die LEA gebracht.

Dort hatte er drei Wochen später, am 7. Oktober 2015, seine persönliche Anhörung, das Interview, wie Alafandi sagt. Noch am selben Tag erfolgte die Weiterfahrt nach Allmersbach im Tal. Dort wurde der Syrer zusammen mit rund 75 anderen Flüchtlingen im umgebauten Penny-Markt untergebracht. Es sollte sein Zuhause für mehr als ein Jahr werden. Ein Sprachkurs wurde besucht. Und er wartete sehnsüchtig auf Post aus Heidelberg. Was war das Ergebnis seiner Anhörung? Doch es kam keine Nachricht. Weder in den nächsten Tagen, auch nicht Wochen, auch nicht Monaten. Alafandi wurde mehr als ungeduldig. Einen Sozialarbeiter hatte er mehrfach gebeten, per E-Mail in der LEA nachzufragen. Doch der Sozialarbeiter habe immer nur geantwortet, er müsse warten. Von anderen Flüchtlingen, mit denen Alafandi in Heidelberg war, hatte er erfahren, dass alle schon ihren Bescheid bekommen haben. Nur er noch nicht. Der 50-Jährige machte sich selbst auf den Weg, fuhr nach Heidelberg, wurde aber am Eingangstor der LEA abgewiesen. Er solle sich schriftlich an die Verwaltung wenden. Insgesamt etwa zehnmal war Alafandi auf eigene Faust nach Heidelberg gefahren. Immer mit demselben Ergebnis.

Große Unterstützung gab es vom Allmersbacher Arbeitskreis Asyl.

Mittlerweile gab es Unterstützung vom Allmersbacher Arbeitskreis (AK) Asyl. Eine ehrenamtliche Helferin hatte an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bampf) geschrieben. Ein kleiner Erfolg. Alafandi erhielt einen weiteren Termin für eine persönliche Anhörung. Sein Termin war am 12. Juli 2016 in Ellwangen. Von dort kam der Bescheid sehr rasch. Genau einen Monat später. Doch er war für den Syrer niederschmetternd. Subsidiärer Schutz wurde ihm zuerkannt, aber der Asylantrag abgelehnt. Subsidiärer Schutz greift ein, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Mit diesem Bescheid war es ihm auch nicht möglich, die Familie nachzuholen. Ein weiterer Visumsantrag wurde abgelehnt, ein Rechtsanwalt konnte auch nicht helfen. „Mit diesem Bescheid ist mein Leben kaputt gegangen“, sagt Alafandi beziehungsweise übersetzt Khaled.

Vor vier Jahren ist seine Frau Bushra schwer am Herz erkrankt, hat mit dem Kreislauf Probleme und hat Diabetes. Anfang Januar 2017 ist Alafandi mit seinem syrischen Reisepass in die Türkei geflogen und hat seine Familie für drei Wochen besucht. Mit einem weiteren Visum ist er Anfang 2018 ein zweites Mal in die Türkei geflogen. Sein Versuch, dort türkische Papiere zu bekommen, ist allerdings gescheitert. Anfang 2019 war sein Visum abgelaufen. So lebte er ständig mit der Angst, von der türkischen Polizei aufgegriffen und nach Syrien abgeschoben zu werden. So entschloss er sich im August 2019, zurück nach Deutschland zu fliegen. Eine weitere Reise in die Türkei ist jetzt nicht mehr möglich, weil sein syrischer Pass mittlerweile abgelaufen ist. Und seine Frau und seine Kinder dürfen nicht nach Deutschland kommen.

Alafandi ist frustriert. Seine einzige Freude ist, dass seine drei Kinder Türkisch gelernt haben, die beiden Jungs das Abitur geschafft haben, jeweils in einer Universität eingeschrieben sind, aber nicht studieren können, weil sie arbeiten müssen, um Geld zu verdienen. Denn das Leben und die Medikamente für die Mutter sind teuer. Was der Familie bleibt, ist der Kontakt via Handy und Laptop.

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Erstellt:
14. November 2020, 06:00 Uhr

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