Nordkorea

Die Flucht durch den Todesstreifen

Unter Lebensgefahr ist ein nordkoreanischer Soldat nach Südkorea übergelaufen. Dort ruft die Regierung ganz aktiv das nordkoreanische Volk dazu auf, ihrer „sklavenähnlichem“ Existenz zu entkommen.

Nordkoreanische Soldaten beobachten südkoreanische Soldaten an den Blauen Baracken der demilitarisierten Zone in Panmunjeom/Korea.

© imago//Thomas Imo

Nordkoreanische Soldaten beobachten südkoreanische Soldaten an den Blauen Baracken der demilitarisierten Zone in Panmunjeom/Korea.

Von Fabian Kretschmer

Im Morgengrauen wurde der nordkoreanische Soldat entdeckt, aufgespürt von der Überwachungstechnik des südkoreanischen Militärs. Am östlichen Zipfel der Halbinsel hat er sich den Weg durch das verlassene Grenzgebiet gebahnt; ein Todesstreifen, der diesen Namen unzweifelhaft verdient hat. Nicht nur wird die Gegend von patrouillierenden Wachposten observiert, sondern sie ist auch von tausenden Minen und Panzersperren durchzogen. Und dann lauern noch Malariamücken und Raubtiere auf die Passanten. Es gleicht einem Wunder, dass der Überläufer unversehrt in Südkorea aufgelesen wurde.

Noch sind die Hintergründe des Falls unklar, doch eine direkte Flucht entlang der innerkoreanischen Grenze ist überaus selten. Keine zwei Wochen zuvor ist bereits ein weiterer Nordkoreaner auf mindestens ebenso spektakuläre Weise übergelaufen: Vor der militärisch hochgerüsteten Westküste konnte sich der Mann über die Seeroute auf eine südkoreanische Insel retten.

Psychologische Kriegsführung des südkoreanischen Militärs

Warum innerhalb weniger Tage gleich zwei Nordkoreaner diese lebensbedrohliche Fluchtroute gewählt haben, bleibt Spekulation. Doch es liegt auf der Hand, dass die psychologische Kriegsführung des südkoreanischen Militärs erste Wirkung zeigt: Seit Wochen hat die Armee die Propaganda-Beschallung des abgeschotteten Nordkoreas aufgenommen. Dabei werden riesige Lautsprecheranlagen entlang des Grenzgebiets aufgestellt, die subversive Botschaften aussenden: So werden politische Nachrichten ausgestrahlt, die über die Schattenseiten des Kim-Regimes berichten. Oder aber die Nordkoreaner werden ganz direkt aufgefordert, ihrem „sklavenähnlichen Leben“ zu entkommen. Ein Teil der Propaganda besteht aus scheinbar trivialen K-Pop-Songs. Doch auch die südkoreanische Popmusik dürfte auf viele Nordkoreaner eine anziehende Wirkung entfalten, denn die zuckersüßen Stimmen und die glitzernden Beats verheißen schließlich Wohlstand und Freiheit.

Einer der Nordkoreaner, der bereits in den 90er Jahren im Osten des Landes über die gefährliche innerkoreanische Grenze geflohen ist, ist Jang Yeong-jin. Er hat in seiner Wahlheimat vor allem deshalb für Schlagzeilen gesorgt, weil es dem südkoreanischen Geheimdienst lange Zeit ein Rätsel war, warum ein Nordkoreaner aus gutem Hause und angesehener Stellung eine solch verzweifelte Flucht antreten sollte.

Doch das Motiv des heute 64-Jährigen, wie er einst im Interview sagte, hatte mit seiner Sexualität zu tun. Als er entdeckte, dass er schwul ist, konnte er für sich keine Zukunft mehr in Nordkorea sehen: „Lieber wollte ich sterben, als ein Leben ohne Hoffnung zu führen.“

Spannungen zwischen den zwei Staaten sind wieder massiv gestiegen

Möglicherweise könnte Südkorea in den kommenden Monaten wieder mehrere solcher Flüchtlinge registrieren. Erst vergangenen Donnerstag hat Südkoreas konservativer Präsident Yoon Suk Yeol eine neue Wiedervereinigungsdoktrin vorgestellt. „Wir müssen den Wert der Freiheit proaktiver auf den Norden ausdehnen und substanzielle Veränderungen vorantreiben“, sagte Yoon. Im Klartext bedeutet dies: Südkorea möchte kritische Informationen in das abgeschlossene Land schmuggeln – etwa in Form von Informationsblättern, die via Heißluftballons entsandt werden. Dies wertet das nordkoreanische Regime zweifelsohne als Akt der Subversion und dürfte seinerseits mit militärischem Säbelrasseln reagieren.

Ohnehin sind die Spannungen zwischen den zwei Staaten in diesem Jahr massiv gestiegen. Nordkorea hat bereits dutzende Raketen getestet und beliefert zudem Wladimir Putins Kriegsmaschinerie mit hunderttausenden Artilleriegeschossen, welche in der Ukraine nachweislich eingesetzt wurden.

Gleichzeitig sieht das Vereinigungsministerium in Seoul zunehmend Risse innerhalb des Kim-Regimes. So soll die Führung in Pjöngjang während der massiven Flutschäden vom Juli unter Druck geraten sein, da der Katastrophenschutz des Landes ganz offensichtlich versagt hat. Südkoreanische Medien haben von bis zu 1000 Toten in Nordkorea berichtet, wobei die Informationslage sehr dünn ist. Machthaber Kim Jong Un hat während der vergangenen Wochen mehrere hochrangige Parteikader aus den betroffenen Provinzen geschasst – offensichtlich, um dem Volk einen Sündenbock für die Tragödie zu präsentieren und die eigene Verantwortung abzuschütteln.

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Erstellt:
20. August 2024, 17:12 Uhr
Aktualisiert:
20. August 2024, 18:01 Uhr

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