Augenzeugenbericht aus Valencia
Während die einen am Strand baden, filmen die anderen die Jahrhundertflut
Valencia erlebte das größte Überflutungsunglück seit den 1950er Jahren. Und die Katastrophe wäre beinahe noch viel verheerender ausgefallen. Ein Augenzeugenbericht.
Von Sandra Hartmann
In den 1950er Jahren wurde Valencia schon einmal so überflutet, erinnert sich Taxifahrer Ilian auf dem Weg zum Flughafen. Seit Donnerstag ist dieser nach dem verheerenden Sturmereignis wieder geöffnet. Die Tram und Metro fahren nach wie vor nicht. Auch die digitale Taxizentrale sowie Uber konnte man bis Freitag nicht telefonisch erreichen. Das Internet funktioniert im Norden seit Tagen gar nicht mehr.
Während er erzählt, fährt sein Taxi vorbei an Autos, die von den Wasserfluten vergangene Woche einfach weggeschwemmt wurden wie Matchboxautos. Nun stehen sie auf Gehwegen aneinandergereiht und warten auf ihre Besitzer. Männer in orangefarbenen Warnwesten und Besen laufen durch die Straßen. „Die Menschen helfen den Betroffenen beim Aufräumen“, erklärt Ilian. Die Straßen sind verwüstet. Viele Häuser im Norden der Stadt zerstört.
Noch immer erschüttert und überwältigt von der Situation zeigt er ein Video von einer seiner Taxikolleginnen. Auf dem Video sieht man, wie gewaltige Wassermassen sich ihren Weg durch die Straßen bahnen und Autos bis zum Dach umspülen. Teilweise schauen nur noch die Dächer heraus. Man sieht eine Person, wie sie auf einem Taxidach sitzt.
Die Videos wirken vor allem für die Menschen surreal, die zur selben Zeit in Valencias Altstadt oder am Strand unterwegs waren. Denn: Hier ist alles in Ordnung. Zwei regenreiche Sturmnächte gab es dort. Mehr nicht. Keine zerstörten Häuser, keine überfluteten Straßen. Tagsüber baden Menschen im Meer, Kinder spielen am Strand. Am Mittwochabend sucht die Polizei mit einem Hubschrauber stundenlang nach einem Menschen im Meer. Ob das etwas mit den Überflutungen im Norden Valencias zu tun hat, deren Schlamm- und Wassermassen ihren Ausgang am angrenzenden Hafen suchen – man weiß es nicht.
Fakt ist: Valencia wurde von einem verheerenden Sturm mit Regenmassen heimgesucht. Der Fluss, der durch Valencia fließt, trat über die Ufer und auch die Kanäle konnten die Wassermassen nicht verarbeiten. So geschah das, was auch der Hohenlohekreis bei dem Unwetterereignis im Jahr 2016 nur in einem etwas kleineren Rahmen erlebte: Wassermassen traten über die Ufer und die Bäche und Kanäle fluteten binnen kürzester Zeit Straßen und Häuser, rissen Autos mit sich, ganze Ortschaften wir Braunsbach soffen regelrecht ab – ähnlich wie nun der Norden Valencias.
Luftaufnahmen, von einem Flugzeug geschossen, zeigen, wie zweigeteilt die Stadt nach diesem Naturschauspiel ausschaut: links die braunen Wassermassen, die sich ins Meer ergießen und vieles zerstört haben, rechts völlig intakt die Innenstadt und der Strand mit der Promenade und den Touristenhotels. Dazwischen der Fluss Turia, der mit seinen Wassermassen die Stadt in zwei Hälften geteilt hat.
Valencias grüne Oase war nur möglich durch die Austrocknung des Flusses
Laut Medienberichten gab es Einwohner, die wohl nicht rechtzeitig vor dem Unwetter gewarnt worden seien. Touristen jedenfalls wurden mehrmals täglich auch Tage nach dem Unwetter noch gewarnt über ihre Handys, ohne dass man sich hierfür hätte irgendwo registrieren müssen. Unter anderem wurde auch vor starken Unterwasserströmungen im Meer gewarnt.
Taxifahrer Ilian erzählt, dass nach einer ähnlichen Überflutung Valencias in den 1950er Jahren Valencias Hauptfluss Turia trockengelegt wurde – zumindest in der Altstadt. Das ehemalige Flussbett wurde in eine grüne Oase verwandelt. Der Fluss wurde umgeleitet in den Norden. Dort nun geschah ein ähnliches Überflutungsereignis wie bei dem Unwetter 1957. Die Geschichte wiederholt sich – nur woanders.
Die Altstadt wäre ebenfalls zerstört worden
Valencia ist heute berühmt für seine beeindruckend angelegten Park- und Wasseranlagen, die futuristische Kulturgebäude umspielen, im Herzen der Stadt. Brücken zeugen heute noch von dem Fluss, der sich vormals durch die Innenstadt geschlängelt hat. Hätte man das Flussbett in der Altstadt damals nicht trockengelegt, wäre diese ebenfalls von den Wassermassen überrollt worden, ist sich Taxifahrer Ilian sicher.