„Die Krise macht Versäumnisse sichtbar“

Landtagswahl 2021: Charlotte Klinghoffer liegen die Themen Bildung und Digitalisierung sowie Wirtschaft und Finanzen am Herzen. Zwar tritt die 53-Jährige im Wahlkreis Backnang für die FDP an, sie lehnt aber eine blinde Gefolgschaft der Partei gegenüber ab.

Symbolträchtig steht der Bagger vor dem Max-Born-Gymnasium, in dem Charlotte Klinghoffer einst ihr Abi absolvierte. Die 53-Jährige will als Landtagsabgeordnete für klare Bildungskonzepte und intelligente Digitalisierungslösungen kämpfen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Symbolträchtig steht der Bagger vor dem Max-Born-Gymnasium, in dem Charlotte Klinghoffer einst ihr Abi absolvierte. Die 53-Jährige will als Landtagsabgeordnete für klare Bildungskonzepte und intelligente Digitalisierungslösungen kämpfen. Foto: A. Becher

Von Florian Muhl

BACKNANG. „Hier bin ich zur Schule gegangen“, lacht Charlotte Klinghoffer und deutet hinter sich aufs Max-Born-Gymnasium. „Lang ists her“, schiebt die 53-Jährige nach. Wie lang genau, fällt ihr spontan gar nicht ein. Aber eines weiß sie noch ganz genau: „Die Schulzeit war cool.“ Bis zur Zehnten ging sie allerdings aufs damals mathematisch und naturwissenschaftlich orientierte Tausgymnasium. Weil sie sich aber für die Leistungskurse Französisch und Kunst entschieden hatte, musste Klinghoffer aufs „sprachliche“ MBG wechseln.

„In dem Pavillon sind wir gesessen.“ Klinghoffer muss wieder lachen, als sie auf den kleinen Bau zeigt, der bereits vor ihrer Schulzeit als Provisorium aufgebaut worden war. „...und die Fenster waren damals schon nicht dicht. Und gefroren haben wir damals auch schon.“ Kunst war zum Glück im Hauptgebäude.

Die Landtagskandidatin hat das MBG als Treffpunkt gewählt, weil sie sich für die Themen Bildung und Digitalisierung besonders einsetzen will. Und just am Tag des Pressetermins steht ein Bagger vor dem Gymnasium. Bauarbeiter heben einen Graben aus und verlegen Leerrohre für Glasfaserkabel – Zufall? Oder ein Zeichen? „Digitalisierung und Breitbandversorgung ist der Schlüssel an vielen Stellen. Wenn wir nicht so viele engagierte Rektoren und motivierte Lehrkräfte hätten, dann würde sicherlich vieles nicht so laufen mit den Voraussetzungen, wie sie gegeben sind.“ Das Homeschooling mit den oft niedrigen Internetgeschwindigkeiten sei ein Desaster und werde der Bildungsaufgabe von Schulen auch nicht gerecht. Diesbezüglich sei Deutschland ein Entwicklungsland.

„Beruflich hab ich eigentlich alles erreicht. Ich kann mich meinem Hobby widmen, der Politik.“

Aber aus Sicht der Stadt- und Kreisrätin laufe es an vielen Stellen im Ländle und im Bund nicht rund. Deshalb sei sie auch auf die Idee gekommen, für den Landtag zu kandidieren. „Ausschlaggebend für mich war dieses Chaos im Sommer mit der Problemlösungskompetenz von Bund und Land, dass die wirklich nichts hingekriegt haben. Da hab ich gesagt: So kann ich’s auch.“ Dieses Regelchaos und die Misswirtschaft könne und wolle sie so nicht weiter tragen. Man denke da nur an die gescheiterte Beschaffung von Schnelltests oder die verspätete Verteilung von FFP2-Masken an Risikogruppen.

Klinghoffer bekennt, dass sie in einer anderen Situation sei wie die meisten Bürger. „Beruflich hab ich eigentlich alles erreicht. Ich hab auch das Alter, dass ich sagen kann: Ich kann mich meinem Hobby widmen, der Politik.“ Dann fügt sie ein Argument hinzu, das für sie einen unschätzbaren Wert hat: „Ich bin nicht abhängig; ich muss mich nicht vorführen lassen und kann ganz klar meine Meinung positionieren. Ich brauche mich nicht in ein Eck drücken lassen.“ Sie könne ihre Meinung und vor allem die Sorgen und Nöte der Stadt und des ländlichen Raums mit nach Stuttgart in den Landtag tragen. Und bei Bundesthemen würde dann das Land die Argumente zum Bund tragen. Das sei wie eine Kettenreaktion.

"Das regt mich auf" Charlotte Klinghoffer

Neben Schule und Digitalisierung hat sich die Unternehmerin auch die Themen Wirtschaft und Finanzen auf die Fahne geschrieben, für die sie sich mit klaren Positionen einbringen will. Was Klinghoffer aufregt, sei auch das Homeoffice, „ein riesen Thema“. Die Politik zwinge die Menschen dazu, ihren Arbeitsplatz nach Hause zu verlegen, aber das sei teilweise gar nicht umsetzbar. „Für viele technische Anwendungen braucht es Hochleistungssysteme und einen Firmenanschluss und nicht einen Laptop und den Familienanschluss der Telekom“, schimpft Klinghoffer und sagt erregt: „Weltfremd wie vieles in diesen Zeiten.“

Aus ihrer Sicht habe die Pandemie Defizite ans Tageslicht gebracht. „Die Coronakrise hat wie ein Brennglas all unsere Versäumnisse der letzten vergangenen zehn fetten Jahre für das Land offenkundig gemacht.“ Der Backnanger Unternehmerin fehlt in der Politik die Wirtschaftskompetenz.

Der Landtagswahl sieht Klinghoffer mit großem Optimismus entgegen: „Wenn ich mir keine Chancen versprechen würde, würde ich den ganzen Aufwand auch nicht betreiben.“ Zu den Punkten, die sie auszeichnen, zählt sie: „Wer mich kennt, weiß, dass er auf mich zählen kann, und wenn ich was versprochen hab, dass ich mich dann auch darum kümmere.“ Das sei eine gute Basis, dass sie Wählerstimmen gewinnen könne. Und sie setze auch nicht die Partei in den Vordergrund, sondern ihre Person.

Derzeit ist Klinghoffer noch Mitglied der FDP. Doch gegen sie läuft ein Parteiausschlussverfahren. Sie soll aus der FDP ausgeschlossen werden, weil sie bei der Regionalwahl auf einer konkurrierenden Liste angetreten ist (wir berichteten). Sie bedauere, dass das Bundesschiedsgericht der Liberalen wegen der Coronapandemie noch nicht getagt und deshalb über ihren Ausschluss auch noch nicht entschieden habe. Aber auch ohne Parteibuch könne man kandidieren. Im Mitgliederbrief schrieb Kreisvorsitzender Jochen Haußmann dazu: „Nach dem Landtagswahlrecht ist eine Mitgliedschaft keine Voraussetzung für eine Kandidatur.“ Das heißt: Klinghoffer wird unabhängig vom Ausgang des Verfahrens Landtagskandidatin bleiben.

Fakt ist, dass alle 70 Kandidaten, die bei der Landtagswahl in den 70 Wahlkreisen für die Liberalen antreten, auch FDP-Mitglied sind. Auf der Homepage der Landes-FDP stellen sich die Kandidaten vor. 66 Frauen und Männer sind aufgelistet, Klinghoffer ist nicht dabei. „Oh, das wusste ich noch gar nicht“, sagt die Kandidatin. Absicht oder ein Versehen? „Auf unserer Seite sehen Sie nur die Kandidaten, die über ihre Landing-Page an unsere Seite angebunden sind. Manche haben eigene Seiten erstellt und laufen nicht über unser System“, teilt ein FDP-Sprecher mit.

„Ideale sind mir wichtiger als Parteizugehörigkeit“, sagt Klinghoffer. Sie fühle sich nur ihren Wählern und ihrem Gewissen verpflichtet. „Eine blinde Gefolgschaft der Partei gegenüber lehne ich ab.“

Zur Person

Charlotte Klinghoffer ist 1967 in Stuttgart-Bad Cannstatt geboren und in Backnang aufgewachsen. Sie besuchte die Mörikeschule, das Taus-Gymnasium und ab der 11. Klasse das Max-Born-Gymnasium. Ihre Eltern Leo und Hildegard Klinghoffer waren nach dem Krieg nach Backnang gekommen und hatten hier bis 1984 eine Ledergroßhandlung geführt.

Bei der Firma Harro Höfliger machte sie eine Ausbildung zur Maschinenbauzeichnerin und wurde Kammersiegerin in diesem Berufszweig. Parallel zu ihrer Tätigkeit in der Konstruktion absolvierte sie an der Abendschule den Abschluss als Maschinenbautechnikerin und arbeitete anschließend in diesem Beruf.

Schon in jungen Jahren war Klinghoffer bei den Jungen Liberalen politisch aktiv. Zusammen mit Rainer Elste gründete sie 2004 den Verein Backnanger Bürgerforum und zog im selben Jahr in den Gemeinderat der Stadt Backnang ein. Seit 2019 ist sie auch Kreisrätin und sitzt in der „Gruppe Wilhelm/Klinghoffer“.

Aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen nach dem Tod ihres Vaters und mit Unterstützung eines befreundeten Bestatters wechselte sie 1999 das Metier und eröffnete das Bestattungsinstitut Zur Ruhe in Backnang und beschäftigt 21 Mitarbeiter. In diesem Jahr zog das Bestattungshaus in neue Räumlichkeiten – in das ehemalige Möbelhaus Noller in der Sulzbacher Straße.

2017 heiratete Charlotte Klinghoffer ihren langjährigen Lebensgefährten Jörg Bauer.

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Erstellt:
10. Februar 2021, 11:30 Uhr

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