„Die Lokalzeitung ist der Herzschlag der Stadt“
Backnanger Einzelhändler Sigrid Göttlich und Martin Windmüller sind als externe Blattkritiker in der Redaktion zu Gast
Von Lorena Greppo
BACKNANG. Obwohl sie als Vertreter des Backnanger Einzelhandels wie auch des Stadtmarketing-Vereins ähnliche Anforderungen an die Zeitung stellen, zeigen Sigrid Göttlich und Martin Windmüller als externe Blattkritiker auch, dass das Zeitunglesen eine individuelle Angelegenheit ist. Auf das Online-Angebot der Backnanger Kreiszeitung angesprochen, äußert Martin Windmüller den Wunsch nach einer App: „Das wäre viel komfortabler.“ „Ich nutze Zeitungs-Apps eher selten“, sagt Sigrid Göttlich hingegen. Sie sei auf Instagram und Facebook unterwegs. Wenn sie dort etwas Interessantes sieht, schaue sie es sich direkt dort an. „Ansonsten brauche ich die Haptik meiner Print-Zeitung.“ Und auch was Online-Werbung angeht, sind sich beide uneinig. „Bei anderen Zeitungen hat man es oft, dass direkt unter dem ersten Artikel eine Anzeige steht. Das würde ich mir auch wünschen“, merkt Windmüller an. „Mich nervt so was total“, erwidert Göttlich darauf.
Aber nicht in allem sind die beiden unterschiedlicher Meinung, ihre Lesegewohnheiten ähneln sich sogar sehr: Die Titelseite überfliegen, dann die Zeitung umdrehen und von hinten nach vorn lesen – so machen es beide morgens. „Wenn die Zeit eng wird, lasse ich den überregionalen Teil weg“, erklärt die Geschäftsführerin des Modehauses Accente. Vieles davon habe man bis dahin auch schon online oder im Fernsehen mitbekommen. Der Lokalteil ist auch für Martin Windmüller das größte Plus der Zeitung. „Das ist die Trumpfkarte, die Sie ausspielen müssen“, rät er den Redakteuren. Den Wert dieser Arbeit müsse man besser herausstellen, denn „die Lokalzeitung ist der Herzschlag der Stadt“. Insofern nehmen beide Vertreter des Backnanger Einzelhandels auch die Kampagne „Journalismus zeigt Gesicht“ wohlwollend zur Kenntnis. „Ein Grundproblem heutzutage ist, dass die Bereitschaft, Geld für Zeitungsartikel auszugeben, enorm gesunken ist“, zeigt der Geschäftsführer des Bettenhauses Windmüller auf. Insofern habe die Aktion ein wichtiges Anliegen, wenn auch – das räumt er ein – nicht jeder Artikel der Kampagne besonders spannend dahergekommen ist.
Kritik übt Windmüller auch an der Gemeinderatsberichterstattung in Backnang: „Früher wurde kontroverser berichtet, das habe ich gerne gelesen.“ Göttlich vermisst den sarkastischen Ton der Rubrik „Nebenbei notiert“. Neuere Formen im Blatt, wie etwa die Samstagskolumne „Sozusagen“, der Rückblick „Vor 50 Jahren“ oder die Rubrik „Übrigens“ kommen bei beiden jedoch gut an. Windmüller outet sich zudem als großer Fan der Leserbriefe und hofft, dass das Engagement der Schreiber anhält. „Es ist doch ein Highlight, wenn ein Herr Püttmer einen Leserbrief schreibt“, merkt er schmunzelnd mit Anspielung auf die Ereignisse der vergangenen Woche an.
Was bei vielen anderen Lesern ein großer Kritikpunkt ist, sehen Göttlich und Windmüller gelassen: Den Umfang des Sportteils. „Ich picke mir das raus, was mich interessiert und das lese ich dann“, erklärt Göttlich. Im überregionalen Teil schaue sie immer mal wieder in die VfB-Artikel rein, im lokalen Teil etwa in die Berichte des HCOB. Beide wissen darum, dass Berichte aus unterklassigeren Ligen wohl vor allem von Betroffenen und Akteuren gelesen werden. „Aber der Effekt, dass die Akteure, die so viel Arbeit in eine Sache reinstecken, den eigenen Namen in der Zeitung finden, wollte ich nicht missen“, so Windmüller. Insofern halten es beide auch für vertretbar, dass nach dem Backnanger Silvesterlauf eine gefühlt endlose Tabelle mit Ergebnissen in der Zeitung erscheint.
Auch mit der Länge der Artikel haben die Blattkritiker keine Probleme. „Wenn der Artikel interessant ist, lese ich ihn zu Ende“, erklärt Sigrid Göttlich. Und wenn andere Leser bei der Hälfte genug haben, bleibe es ihnen schließlich unbenommen, früher auszusteigen. Was sie hingegen versucht, weitestgehend zu ignorieren, sind Polizeiberichte: „Mit so viel Negativem möchte ich nicht in den Tag gehen.“