Europäische Sicherheit
„Die Menschen in unserem Land schützen“
Die beiden Grünen Sicherheitspolitiker Agnieszka Brugger und Anton Hofreiter zum Krieg in Europa, warum Europa jetzt aufwachen muss und warum mangelnder politischer Wille sie wütend macht.
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© Ferdinando Iannone/Lichtgut
Deutsch-ukrainische Solidaritätskundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz: „Was muss noch alles passieren?“
Von Franz Feyder
Die Lage in der Ukraine nach den Äußerungen von US-Regierungsmitgliedern in den vergangenen Tagen, wie sich Europa für das kriegsgeplagte Land engagieren sollte und die Gefahr einer atomaren Verstrahlung – dazu äußern sich im Interview die beiden Sicherheitspolitiker Agnieszka Brugger und Anton Hofreiter (Grüne).
Frau Brugger, Herr Hofreiter, warum unterstützen Sie die Ukraine, von der der US-Präsident sagt, sie trage eine Mitschuld daran, von Russland überfallen worden zu sein?
Brugger Die Äußerungen von Trump wirken wie einer seiner berühmten verrückten Aussetzer, so absurd wie sie sind. Trotzdem muss man sie maximal ernst nehmen. Die Aussagen der US-amerikanischen Vertreter auf der Münchner Sicherheitskonferenz waren sehr widersprüchlich. Aber die Sorge ist groß, dass Trump ein schlechtes Abkommen verhandelt, das am Ende Putin in die Hände spielt. Wir werden nicht akzeptieren, dass Trump und Putin irgendwelche Scheinlösungen über die Köpfe der Ukraine und Europas miteinander ausdealen. Umso wichtiger ist es, dass Europa jetzt nicht nur klare Haltung zeigt, sondern auch endlich entschlossen handelt.
Hofreiter Das ist schon lange überfällig, dafür braucht es einen gemeinsamen politischen Willen, ein Ende der Vielstimmigkeit, vor allem aber auch mehr Geld für Sicherheit. Ich frage mich, was eigentlich alles noch passieren muss, damit die EU und eine Reihe von Regierungschefs endlich ins Handeln kommen. Spätestens seit den Äußerungen des US-Präsidenten und vieler seiner Repräsentanten in den vergangenen Tagen sollten wir begreifen, dass es fünf nach zwölf ist.
Wie beurteilen sie vor dem Hintergrund der US-Aussagen die Debatte in Deutschland?
Brugger Auch Olaf Scholz und Friedrich Merz drücken sich nach wie vor vor der Debatte, wie viel Geld für die Ukraine und unsere Sicherheit nötig sind und wo es herkommen soll. Da sind wir Grüne sehr klar: Das bemisst sich auch an den Verteidigungsplänen der NATO, die derzeit modernisiert werden. Das läuft wie Robert Habeck ehrlich gesagt hat, auch über drei Prozent der Wirtschaftsleistung hinaus. Das lässt sich auch durch die grausamsten Kürzungen im Haushalt nicht erreichen.
Hofreiter Es wird gerne so dargestellt, dass Europa und Deutschland ausreichend handeln. Dass Russland aber schier unerschöpfliche Möglichkeiten habe. Dazu muss man sich bewusst machen, dass Russland mit zwei Billionen Euro fast ein unwesentlich höheres Bruttoinlandsprodukt als Spanien mit 1,6 Billionen Euro hat. Also jetzt nichts gegen Spanien – aber Deutschland allein hat mit 4,5 Billionen Euro ein deutlich größeres Bruttoinlandsprodukt. Hinzu kommen die anderen Staaten: Frankreich, Polen, die tapferen baltischen Staaten, Norwegen, Schweden – wir kommen auf 17 Billionen Euro. Dazu Großbritannien als Nato-Mitglied mit 3,3 Billionen. Mit 70 Milliarden Euro hat die EU bislang die Ukraine unterstützt – das sind 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Union, einer der reichsten Volkswirtschaften. Das zeigt: Europa könnte und müsste jetzt handeln. Es müsste nur angeführt werden. Da ist Deutschland zentral gefragt …
… zusätzlich hat Deutschland aber noch 28 Milliarden Militärhilfe alleine geschultert.
Hofreiter Ich war in den vergangenen Jahren sehr viel in Europa unterwegs. Mir sagen die Menschen: Wenn ihr Deutsche Führungsverantwortung übernehmt, dann kommt Europa ins Handeln. Wir haben damals bei Corona, wo die Bedrohung geringer war, als sie es jetzt ist, als deutsches Parlament 256 Milliarden Euro für Hilfen mobilisiert. Innerhalb von acht Stunden. Wir sind handlungsfähig, wenn wir uns jetzt dazu entscheiden . Und das müssen wir, denn es geht um Sicherheit und Freiheit für ganz Europa, für die Menschen, die in der Ukraine derzeit sterben.
Eine Botschaft, die schwer zu vermitteln ist angesichts der Desinformation vor allem in sozialen Netzwerken.
Brugger Die viele Desinformation, die immer mehr Menschen auf Telegram oder im Netz angezeigt wird, hat das Ziel, die Grundfesten unsere Gesellschaft, unserer Werte und unserer Demokratie zu erschüttern. Hier müssen wir als Gesellschaft wehrhafter werden. Gleichzeitig gibt es so viele Menschen, die sich der Bedrohungen sehr bewusst sind und sich freiwillig für unsere Sicherheit engagieren, zum Beispiel beim Technischen Hilfswerk oder im neu geschaffenen Heimatschutz der Bundeswehr. Unsere wichtigste Aufgabe als Abgeordnete ist es, die Menschen in unserem Land zu schützen. Deshalb macht mich der mangende politische Wille einiger so wütend. Aus Unterrichtungen, Reisen und Gesprächen wissen wir, wo die Gefahren liegen und was wir dagegen tun müssen. Daher setze ich seit drei Jahren alle Hebel in Bewegung, damit wir endlich das notwendige Geld bereitstellen, unsere Bundeswehr angemessen ausstatten und unsere kritische Infrastruktur schützen. Es macht mich auch nach vielen Jahren Berufspolitik fassungslos,, wenn einige Herren im Kanzleramt und viele Abgeordnete, einfach weitermachen wie bisher.
Hofreiter Das ist meiner persönlichen Natur zutiefst zu wider: Es ist doch unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, Gefahren zu erkennen und zu handeln. Wir sehen Gefahren auf uns zu rollen. Da muss man handeln. Je später wir das tun, desto teurer und unbequemer wird es.
Sprechen wir über Handeln: Immer noch werden die teilweise schon 2014 gegen Russland beschlossenen Sanktionen nicht konsequent durchgesetzt.
Brugger Ja, da ist deutlich Luft nach oben. Im Nuklearbereich, beim flüssigen Erdgas, dem LNG, im Bankensektor der EU, bei Kraftfahrzeugen – es sind jedoch häufig nur einzelne Staaten mit ihren egoistischen, kurzfristigen Interessen dafür verantwortlich, dass wir inkonsequent sind. Hier müssen wir deutlicher und härter mit Staatschefs wie Orban oder Fico umgehen. Das ist auch etwas, was die nächste Bundesregierung sofort tun muss.
Hofreiter Festhalten muss man aber auch: Manche Sanktionen wirken besser, als wir das gemeinhin in Deutschland wahrnehmen. Beispielsweise bei Gazprom. Das weltweit größte Erdgasförderunternehmen war einer der Hauptfinanziers der russischen Kriegsmaschinerie. Die haben 2022 noch einen Gewinn von 15 Milliarden Euro gemacht. Im vergangenen Jahr nur noch 4,9 Milliarden. Geld, das Putin für seine Armee fehlt.
Wenn Sie von der Zukunft der Ukraine träumen, was sehen Sie dann?
Brugger Echten Frieden und Freiheit für die unschuldigen Menschen in der Ukraine, die Rückkehr aller entführten ukrainischen Kinder, verurteilte russische Kriegsverbrecher und die Einsicht bei Autokraten, dass man am Ende mit der Macht des Brutaleren nicht erfolgreich ist.
Hofreiter Ein geeintes Europa, das Putin diesen Krieg nicht gewinnen lässt. Ein Europa, das auf internationale Regeln setzt und nicht auf das Recht des Stärkeren. Die Europäerinnen und Europäer müssen begreifen, dass ein Sieg Russlands massive Auswirkungen für unsere eigene Sicherheit hätte. Ein Sieg Russlands über die Ukraine würde an alle anderen Autokraten die Botschaft senden, dass sich Kriege wieder lohnen.
Brugger Lassen sie mich noch kurz ergänzen: Bei meiner letzten Reise mit Toni Hofreiter in die Ukraine ist uns sehr bewusst geworden, dass Putin vor allem die Energieinfrastruktur des Landes gezielt ins Visier nimmt. Die ist nur zu einem Drittel durch Luftverteidigung geschützt. Er spielt russisch Roulette mit der Gefahr eines nuklearen Unfalls. Aus der Kernschmelze 1986 in Tschernobyl wissen wir, dass das, was in der Ukraine nuklear passiert, sehr schnell die oberschwäbischen Wälder erreicht.