Die Schwestern lieben die Bibliothek

Wir schaffen das! Tatsächlich? (3): Die vier Kinder von Familie Alshekh Ahmad leben seit dreieinhalb Jahren in Deutschland und besuchen Regelklassen an der Grund- sowie Realschule. Sie sagen, dass sie gut sind in der Schule und Anschluss gefunden haben.

Gemeinsam erledigen die Geschwister ihre Hausaufgaben am Wohnzimmertisch (von links): Dilyar, Kaniwar, Heva und Aljin Alshekh Ahmad gehen mit Begeisterung zur Schule. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Gemeinsam erledigen die Geschwister ihre Hausaufgaben am Wohnzimmertisch (von links): Dilyar, Kaniwar, Heva und Aljin Alshekh Ahmad gehen mit Begeisterung zur Schule. Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

BACKNANG. Zelkha Ahmad ist in Syrien nicht zur Schule gegangen. Sie hat auf die Schafe ihrer Eltern aufgepasst, erzählt die vierfache Mutter in gebrochenem Deutsch. Seit Kurzem drückt die Kurdin nun die Schulbank: In einer auf acht Monate angesetzten Maßnahme soll sie nicht nur ihr Deutsch verbessern, sondern sich auch auf einen Einstieg ins Berufsleben vorbereiten. „Ich liebe Schule“, sagt Zelkha Ahmad inbrünstig und mit Nachdruck: „Ich will Deutsch lernen.“ Sie ordnet ihre Kenntnisse ein: Das Lesen der lateinischen Buchstaben klappt schon, das Verstehen der Sprache ein bisschen, das Schreiben noch nicht. Bei den Hausaufgaben hilft ihr eines ihrer Kinder, meistens die zehnjährige Heva, die Zweitälteste.

Heva und ihre Schwester Aljin, elf Jahre, gehen in die 5. Klasse der Max-Eyth-Realschule. Ihre beiden Brüder Dilyar, neun Jahre, und Kaniwar, sieben Jahre, sind Dritt- beziehungsweise Zweitklässler an der Schillerschule. Sie alle sagen, dass sie gut in der Schule sind. Alle vier sind sich auch einig, dass ihnen in und an der Schule alles gut gefällt. Lieblingsfächer – außer Sport? Schulterzucken und scheues Lächeln. Aljin, die Älteste, ist in Syrien nicht zur Schule gegangen. In Deutschland hat sie erst die Vorbereitungsklasse (VKL) in Unterweissach besucht, ist dann in die 1. Klasse am damaligen Wohnort der Familie in Auenwald gekommen. Nach dem Umzug nach Backnang hat sie die VKL in der Schillerschule besucht und ist anschließend in die 2. Klasse der Schillerschule gewechselt. An ihrer jetzigen Schule mag sie besonders die Bibliothek. Sie liest alle Bücher gerne, am liebsten Lustiges. Aljin findet Schule nicht anstrengend: „Schule macht Spaß“, auch an den drei Nachmittagen in der Woche, die sie und ihre Schwester dort verbringen. Was sie von Beruf einmal werden möchte, weiß Aljin noch nicht – im Gegensatz zu Heva. Die Zehnjährige möchte einmal Autorin werden zusammen mit ihrer besten Freundin Michaela, die in Laufentfernung wohnt und mit der sie sich nachmittags gern zum Spielen verabredet. Auch der Drittklässler Dilyar hat schon eine Vorstellung seiner Zukunft: Er will Fußballspieler werden, so wie sein Lieblingsspieler Lewandowski. In den Pausen kickt er mit seinem besten Freund Paul und den anderen Klassenkameraden auf dem Schulhof. An zwei Nachmittagen in der Woche trainiert er mit seinem Verein, dem FC Viktoria Backnang. Und an den Wochenenden fährt ihn sein Papa mit dem Auto zu den Auswärtsspielen. Vor Ausbruch der Coronapandemie, als noch unbegrenzt viele Zuschauer dabei sein konnten, ist oft die komplette Familie mit zu den Spielen gefahren. Neulich hat Dilyars Mannschaft 14:1 gegen Murrhardt verloren, erzählt der Neunjährige, und alle Familienmitglieder, die aufgereiht auf dem Ecksofa sitzen, lachen. Auch sein jüngerer Bruder Kaniwar spielt Fußball im Verein. Allerdings hat er andere Vorstellungen, was er werden möchte. „Youtuber“, schmunzelt Kaniwar und versteckt sich schüchtern hinter dem Rücken seines Vaters, der neben ihm sitzt und bei diesem Berufswunsch auch anfängt zu lachen.

Die Geschwister sprechen miteinander Deutsch.

Heji Alshekh Ahmad und seine Familie stammen aus der Region Kobane, im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei gelegen. Seine dortige Existenz als selbstständiger Lebensmittelhändler hat er kriegsbedingt aufgegeben und ist zusammen mit seinem Neffen Fawaz geflohen. 2015 ist der Familienvater nach Deutschland gekommen: „Am 31. Juli. Dieses Datum vergesse ich nicht.“ Seine Frau und die vier Kinder folgen ihm im Februar 2017 nach. Seit dreieinhalb Jahren sind sie nun in Deutschland. Heji Alshekh Ahmad hat einen Job im Bereich Lager/Logistik gefunden. Stolz erzählt er, dass einer seiner Söhne schon mehrere Einladungen zu Kindergeburtstagen von Klassenkameraden bekommen hat. Seine Frau Zelkha nimmt Angebote wahr zum Austausch mit anderen Frauen, die Deutsch lernen möchten. Sein Neffe Fawaz, der einen syrischen Realschulabschluss hat, dort in einer Apotheke gearbeitet und dann in Backnang seinen Hauptschulabschluss nachgeholt hat, befindet sich im dritten Lehrjahr zum Augenoptiker und engagiert sich in seiner Freizeit ehrenamtlich für den Verein Kubus. Die vier Geschwister sagen, dass sie sich in Backnang zu Hause fühlen.

Nach Unterrichtsende kommen sie zum Mittagessen nach Hause. Köfte mögen sie alle gerne, Hamburger auch, Pommes nur der Jüngste nicht. Hevas Lieblingsessen sind Weinblätter mit Reis. Vor Corona gab es die Hausaufgabenbetreuung an der Schillerschule, die momentan allerdings nicht stattfindet. Seitdem erledigen die Kinder ihre Hausaufgaben gemeinsam am Esstisch. Einmal in der Woche kommt die Oma von Klassenkameraden der beiden Grundschüler zu Besuch, um mit den Kindern das Lesen zu üben. Die Familie von Heji Alshekh Ahmad lebt mittlerweile nahezu selbstständig. Wenn sie Hilfe braucht, weiß sie, wohin sie sich wenden kann. Die Lehrerin zum Beispiel hilft, wenn die Kinder die Aufgabenstellung bei den Hausaufgaben nicht verstanden haben. „Dann lasse ich die Aufgabe aus“, sagt Heva. „Die Lehrer helfen. Sie sind alle sehr nett.“ Miteinander sprechen die Geschwister ausschließlich Deutsch, mit anderen Kindern – auch Flüchtlingskindern – ebenso. „Nur mit uns Erwachsenen sprechen sie Kurdisch“, sagt Heji Alshekh Ahmad.

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Erstellt:
25. Oktober 2020, 10:00 Uhr

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