Geschichte eines Erregers

Syphilis kam doch aus der Neuen Welt

Rückkehrer aus der „Neuen Welt“ brachten im 15. Jahrhundert nicht nur Gold und andere Schätze nach Europa. Sie bescherten uns auch die Syphilis, wie DNA-Analysen von Gebeinen aus präkolumbischer Zeit belegen. In den Skelettresten aus Amerika fanden sich ausgestorbene Verwandte des heutigen Syphilis-Erreger.

Indianer in Florida versorgen ihre an Syphilis erkrankten Mitbrüder im Jahr 1591.

© Imago/GRANGER Historical Picture Archive

Indianer in Florida versorgen ihre an Syphilis erkrankten Mitbrüder im Jahr 1591.

Von Markus Brauer

Die erste Syphilis-Epidemie, die dokumentiert und historisch belegt ist, begann im Jahr 1495 in Europa. Zu jener Zeit war die Krankheit noch unbekannt. Heute tritt sie weltweit auf.

Da die Seuche kurz nach der Rückkehr von Christoph Kolumbus aus Amerika auftrat, vermuteten Experten lange, sie könnte durch Kontakt mit Menschen der Neuen Welt nach Europa eingeschleppt worden sein. Die Vermutung lag nahe, da damals viele übertragbare Krankheiten in umgekehrter Richtung von Europa nach Amerika eingeschleppt wurden.

Drei Stadien der Erkrankung

  • Syphilis ist eine sexuell übertragbare Infektionskrankheit. Die Symptome sind vielfältig und die Überlebenden behalten oft bleibende körperliche und geistige Schäden, beispielsweise Veränderungen an Knochen oder Zähnen.
  • Bei der Krankheit unterscheiden Mediziner drei Erkrankungsstadien. Zunächst bildet sich ein schmerzloses Geschwür an der Eintrittsstelle des Erregers. Zu den ersten Symptomen zählen Geschwüre im Genitalbereich oder im Mund. Diese sondern eine stark ansteckende Flüssigkeit ab. Bei sexuellen Handlungen kann es so zur Übertragung kommen.
  • Später können Symptome wie Fieber, geschwollene Lymphknoten, Haarausfall und Hautausschläge auftreten
  • Unbehandelt sind mehrere Jahre nach der Ansteckung Schädigungen des Gehirns und der Blutgefäße möglich. Es gibt aber auch viele symptomlose Fälle.
  • Syphilis wird durch das Bakterium Treponema pallidum hervorgerufen und lässt sich mit Penizillin gut behandeln.
  • Nach dem Abheilen der Geschwüre verläuft die Krankheit in Schüben. Unbehandelt führt Syphilis zu Hautausschlägen und später auch zu Organschäden. Davon kann auch das Gehirn betroffen sein – mit neurologischen Folgen.
  • Noch um 1900 galten viele Psychiatrie-Patienten mit der Diagnose als unheilbar krank. Heute ist bekannt, dass sich Betroffene leichter mit HIV anstecken. Seit 2001 ist die Krankheit meldepflichtig.

Stammt der Syphilis-Erreger aus Europa?

Doch Knochenfunde aus dem europäischen Mittelalter weckten in den vergangenen Jahren Zweifel an dieser Theorie. Denn diese Skelettreste stammen aus der Zeit vor 1492 und wiesen dennoch Läsionen auf, die typisch für Syphilis-Kranke sind. Das legte nahe, dass die Syphilis in Europa schon vor Kolumbus Rückkehr auftrat und dass die Epidemie Ende des 15. Jahrhunderts unabhängig von der „Entdeckung“ und Eroberung Amerikas durch europäische Seefahrer ausbrach.

Allerdings konnte weder der Ursprung in Amerika noch der in Europa bisher eindeutig bestätigt werden. „Allein anhand der Läsionen können wir die Krankheit und ihre Herkunft nicht eindeutig identifizieren“, sagt Koautorin Casey Kirkpatrick vom Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Wo und wann die Krankheit zuerst ausbrach, blieb daher weiterhin unklar.

Alte Knochen geben Hinweise auf Seuchen-Ursprung

Ein Team um Rodrigo Barquera vom MPI für evolutionäre Anthropologie hat diese Frage nun geklärt. Es untersuchte dafür in Nord- und Südamerika gefundene Knochen und Zähne mit Syphilis-ähnlichen Spuren aus der Zeit vor Kolumbus. Die Studie ist im Fachmagazin „Nature“ erschienen.

#Syphilis originated in the Americas before the arrival of #Columbus & European #colonialism made it globally dominant. New study @Nature by an intl. research team led by Kirsten Bos & Johannes Krause @MPI_EVA_Leipzig. @jrockdrigohttps://t.co/jD8zoNrMWP & https://t.co/1TrbBcBDhDpic.twitter.com/Gu2QB1WGSf — MPI-EVA Leipzig (@MPI_EVA_Leipzig) December 18, 2024

Die seltenen Skelettreste stammen aus Mexiko, Chile, Peru und Argentinien, aus der Zeit um und vor 1492. Aus den Überresten isolierten die Forschenden die DNA der Krankheitserreger und verglichen das Erbgut mit heute kursierenden Erregern.

Das Team rekonstruierte und identifizierte so fünf alte Genome von Bakterien der Spezies Treponema pallidum – dem Erregerkomplex, zu dem auch der Syphilis-Erreger gehört. „Obwohl die Untersuchung aufgrund des schlechten Erhaltungszustands einige analytische Herausforderungen mit sich brachte, konnten wir die Beziehungen zwischen diesen ausgestorbenen Formen und den Stämmen, die heute weltweit die Gesundheit beeinflussen, sicher bestimmen“, erklärt Barqueras Kollege Lesley Sitter.

Syphilis-Familie stammt doch aus Amerika

Es zeigte sich, dass die isolierte Knochen-DNA von ausgestorbenen Verwandten des heutigen Syphilis-Erregers und anderen Erregern aus derselben Krankheitsfamilie stammt – Frambösie und Bejel. Alle drei Krankheiten werden von Unterarten von Treponema pallidum verursacht.

„Wir fanden ausgestorbene Schwesterlinien für alle bekannten Formen dieser Krankheitsfamilie. Syphilis, Frambösie und Bejel sind also moderne Überbleibsel von Erregern, die einst in Amerika kursierten“, erläutert Barquera.

Die Genomdaten belegen demnach, dass diese Infektionskrankheiten tatsächlich schon vor der Ankunft Kolumbus in Amerika verbreitet waren. „Die Daten zeigen eindeutig, dass die Syphilis und ihre bekannten Verwandten ihren Ursprung in Amerika haben“, berichtet Seniorautorin Kirsten Bos vom MPI für evolutionäre Anthropologie.

Sprung über den großen Teich und globale Ausbreitung

Die DNA-Daten aus Amerika zeigen auch, dass die Syphilis- und Frambösiefälle in der indigenen Bevölkerung dort um das Jahr 1500 explosionsartig anstiegen. Dabei haben sich offenbar auch die europäischen Eroberer mit den Syphilis-Erregern angesteckt.

„Ihre Einschleppung nach Europa ab dem späten 15. Jahrhundert stimmt mit diesen Daten überein“, erläutert Bos. Somit legen die Ergebnisse auch nahe, dass die Syphilis mit Kolumbus‘ Rückkehr aus der Neuen Welt nach Europa eingeschleppt wurde.

Die weltweite Ausbreitung von Syphilis, Frambösie und Co in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten ist demnach ebenfalls erst der Kolonialzeit zuzuschreiben. Der Sklavenhandel und die Ausbreitung der Europäer nach Amerika und Afrika dürften dies begünstigt haben, so das Team. „Während die indigenen Bevölkerungsgruppen Amerikas an den frühesten Formen dieser Krankheiten litten, spielten die Europäer eine entscheidende Rolle bei ihrer weltweiten Verbreitung“, so Bos.

Gab es noch andere Syphilis-Bakterien?

Wie das Syphilisbakterium Treponema pallidum nach Amerika kam, ist indes weiter unklar. Es könnte zuvor von einem Tier auf Menschen in Amerika übergesprungen sein, mutmaßen Barquera und seine Kollegen. Oder es wurde während der ersten Besiedlung des Kontinents von Menschen aus Asien eingeschleppt.

Unklar ist auch noch, welcher Erreger die Syphilis-ähnlichen Spuren auf den in Europa gefundenen Knochen aus dem Mittelalter hinterlassen hat. Das Team vermutet, dass diese Knochenläsionen von anderen Infektionskrankheiten oder anderen Syphilis-Verwandten stammen, die noch nicht identifiziert wurden.

„Die Suche nach diesen früheren Formen geht weiter und alte DNA wird dabei sicher eine wertvolle Ressource sein“, sagt Seniorautor Johannes Krause vom MPI für evolutionäre Anthropologie. „Wer weiß, welche älteren verwandten Krankheiten mit Menschen und anderen Tieren um die Welt gereist sind, bevor die Syphilis-Erregerfamilie auftauchte.“

Syphilis heute

WHO Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt Alarm wegen Rückschritten im Kampf gegen sexuell übertragbare Krankheiten. Die jährlichen Neuinfektionen mit Syphilis stiegen von rund 7,1 Millionen im Jahr 2020 auf 8 Millionen im Jahr 2022. Die größten Zuwächse wurden auf dem amerikanischen Kontinent und in Afrika verzeichnet. 230.000 Menschen starben 2022 an der bakteriellen Krankheit.

Infektion Laut WHO- Bericht stecken sich täglich insgesamt mehr als eine Million Menschen mit Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien oder Trichomoniasis an. Diese vier sexuell übertragbaren Krankheiten sind allesamt heilbar.

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Erstellt:
19. Dezember 2024, 15:44 Uhr
Aktualisiert:
20. Dezember 2024, 11:11 Uhr

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