Die Taylor Swift der Politik
Kamala Harris lässt Donald Trump wie einen Altrocker auf Abschiedstournee aussehen.
Von Eidos Import
Selbst für amerikanische Verhältnisse hat sich die Dynamik in diesem Präsidentschaftswahlkampf dramatisch verändert. Und das in einer Weise, die zu Beginn dieses Sommers nicht vorhersehbar war. Da standen sich noch ein verurteilter Straftäter und ein altersschwacher Präsident in einem Unbeliebtheitswettbewerb gegenüber. Zwei alte weiße Männer, die nicht die Zukunft Amerikas verkörperten.
Das Desaster Joe Bidens bei der TV-Debatte und der Attentatsversuch auf Donald Trump schienen die Rückkehr des Ex-Präsidenten ins Weiße Haus unvermeidbar zu machen. Der brauchte nur noch dem Drehbuch seiner Strategen zu folgen, das die Wahlen im November zu einem Referendum über den 81-jährigen Amtsinhaber machte.
Verglichen mit Biden wirkte der 78-jährige Trump agil. Während der Präsident den Eindruck erweckte, die Treppe der Air Force One kaum mehr allein herunterzukommen, stand der blutüberströmte Trump nach dem Kugelhagel aus eigener Kraft wieder auf und streckte die Faust in den Himmel. Das beeindruckte selbst Menschen, die ihn sonst eher nicht schätzten.
Dass dieses ikonische Foto im Wahlkampf bisher nicht zum Einsatz kommt, beschreibt genauer als jede Umfrage, was sich verändert hat. Biden fand die Größe, auf seine Nominierung in Chicago zu verzichten. Er übergab die Fackel an Kamala Harris, die für eine neue Generation in der amerikanischen Politik steht.
Die 59-Jährige vereinte im Blitztempo ihre Partei, wählte mit Tim Walz ihren Vizekandidaten, der das ist, was J.D. Vance an der Seite Trumps bei seinen Auftritten im Holzfäller-Hemd nur vortäuscht: ein Mann aus der Mitte des Volks. Die beiden verbreiteten bei ihrer Tour durch die Swing States Zuversicht und gute Laune. Und machen sich über die „schrägen Typen“ lustig, die Autokraten bewundern, Massendeportationen versprechen, den Klimawandel leugnen und Abtreibungsverbote unterstützen.
Jetzt stimmen die Amerikaner nicht über einen Präsidenten ab, dem selbst die Demokraten nicht mehr zugetraut hatten, eine zweite Amtszeit physisch durchzustehen. Sie haben eine echte Wahl. Das Lachen der knapp 20 Jahre jüngeren Kamala steht der Wut des in die Jahre gekommenen Populisten gegenüber. Die positive Energie auf ihren Kundgebungen lässt die negative Hetze Trumps noch düsterer aussehen.
Kamala Harris mobilisiert dieselben Emotionen, die Barack Obama 2008 zum Sieg verhalfen. Die Sehnsucht vieler Amerikaner, dass es endlich besser werde in der tief gespaltenen Gesellschaft. Damit überzeugt sie keinen Trump-Anhänger, kann aber Menschen erreichen, die sich sonst nicht oder nur wenig für Politik interessieren.
Wenn die Kamalamania nur ein paar Prozent aus der Mehrheit an Nichtwählern oder Unentschiedenen im Wahlvolk erreicht, kann das den Unterschied im Rennen um das Weiße Haus ausmachen. Gemessen an dem Enthusiasmus und den Menschenmengen ist Harris die Taylor Swift der US-Politik. Während Trumps Zirkus mit seinen Superfans eher an die Abschiedstour eines Altrockers erinnert.
Der Parteitag der Demokraten in Chicago baut dem neuen Superstar Harris nun für vier Tage eine Bühne auf, die der Präsidentschaftskandidatin erlaubt, sich vor einem Millionenpublikum zu präsentieren. Je mehr Aufbruchstimmung sie dort erzeugen kann, desto gestriger lässt sie den brabbelnden Trump erscheinen. Die Amerikaner sind erkennbar erschöpft von dem Opferkult und Dauerdrama um den Narzissten. Das ist die große Chance der Kamala Harris, die mit einem gewinnenden Lachen auf den Lippen Kompetenz und Normalität verkörpert